Entscheidungsstichwort (Thema)

Bußgeldverfahren. Rechtsbeschwerde. Sachrüge. Verfahrensvoraussetzung. Verfahrenshindernis. Verjährung. Verfolgungsverjährung. Verjährungsunterbrechung. Bußgeldbehörde. Verwaltungsbehörde. Verfolgungsbehörde. Anordnung. Vernehmung. Anhörung. Anhörungsbogen. schriftlich. Versand. Einstellung. Verjährungsfrist. Protokollurteil. Hauptverhandlungsprotokoll. Urteil. Urteilsgründe. Ergänzung. Absehen. nachträglich. Dienstbetrieb. Urteilsabsetzungsfrist. Zustellung

 

Leitsatz (amtlich)

Zwar unterbricht im Bußgeldverfahren die Anordnung der Vernehmung des Betroffenen nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG die Verjährung auch dann, wenn sie nicht erfolgreich vollzogen werden kann. Dies gilt jedoch nicht für die Anordnung einer Anhörung, die nicht durchgeführt werden soll. Ein solcher Fall liegt vor, wenn die Anordnung einer Vernehmung den Zusatz "Anhörung angeordnet ohne Versand" enthält, der polizeiliche Sachbearbeiter zeitgleich ein Lichtbild des Betroffenen bei der Verwaltungsbehörde des Wohnsitzes anfordert und erst nach dessen Eingang und Durchführung der Identifizierung des Betroffenen als Fahrzeugführer der Versand des schriftlichen Anhörungsbogens an diesen angeordnet wird.

 

Normenkette

StPO §§ 206a, 260 Abs. 3, §§ 267, 275 Abs. 1 S. 2, § 349 Abs. 4, § 467 Abs. 1, 3 S. 2 Nr. 2; OWiG § 31 Abs. 1 S. 1, § 33 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1, 9, § 46 Abs. 1, § 71 Abs. 1, § 77b Abs. 1-2, § 79 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1-2, Abs. 3 S. 1, Abs. 5 S. 1; StVG § 25 Abs. 2a, § 26 Abs. 3 S. 1 Hs. 1

 

Tenor

  • I.

    Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts vom 10.05.2021 aufgehoben.

  • II.

    Das Verfahren wird eingestellt.

  • III.

    Die Kosten des Verfahrens und die dem Betroffenen erwachsenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen am 10.05.2021 wegen fahrlässigen Nichteinhaltens des erforderlichen Abstands zu einem vorausfahrenden Pkw entsprechend dem Bußgeldbescheid vom 07.12.2020 zu einer Geldbuße von 360 Euro verurteilt sowie ein mit der Vollstreckungserleichterung nach § 25 Abs. 2a StVG verbundenes Fahrverbot für die Dauer eines Monats angeordnet. Mit seiner gegen das Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung materiellen Rechts und macht insbesondere den Eintritt der Verfolgungsverjährung geltend. Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Stellungnahme vom 31.08.2021 beantragt, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 10.05.2021 als unbegründet kostenpflichtig zu verwerfen. Hierzu hat sich die Verteidigung mit Gegenerklärung vom 28.09.2021 geäußert.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Einstellung des Verfahrens, da Verfolgungsverjährung eingetreten ist und damit ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis vorliegt.

1. Folgender Verfahrensablauf liegt zugrunde:

Der dem Betroffenen zur Last liegende Verkehrsverstoß wurde am 31.07.2020 begangen. Die Ermittlungen der Polizeibehörde ergaben, dass Halterin des Fahrzeugs eine GmbH in S. ist. Unter dem 31.08.2020 wurde das Polizeirevier X. ersucht, den verantwortlichen Fahrzeugführer festzustellen und anzuhören. Ausweislich des erholten Handelsregisterauszugs wird die GmbH durch zwei Geschäftsführer vertreten, einer davon ist der Betroffene. Der vom Polizeirevier X. befragte Geschäftsführer gab den Betroffenen als Verantwortlichen für den Fuhrpark an. Der Betroffene erklärte unter dem 26.10.2020 dem Polizeirevier, dass sich nicht eindeutig klären ließe, wer der Fahrer des Fahrzeugs war, da sich mehrere Personen im Auto befunden hätten und die genauen Fahrzeiten nicht dokumentiert wurden. Es könne sich um einen Mitarbeiter des Standorts in Polen handeln. Das Polizeirevier X. teilte deshalb mit Schreiben vom 26.10.2020 der Polizeibehörde in Bayern mit, dass der verantwortliche Fahrzeugführer nicht ermittelt werden konnte. Diese Polizeibehörde ermittelte daraufhin, dass der beim Verkehrsverstoß festgestellte Pkw bereits bei einem Parkverstoß am 09.04.2020 festgestellt worden war und das Verwarnungsgeld in Höhe von 15 Euro vom Konto des Betroffenen bezahlt wurde. Unter dem 27.10.2020 gab der mit der Bearbeitung beauftragte Beamte einen Stempelaufdruck zur Akte mit dem Zusatz "Anhörung o. Versand". Zeitgleich forderte er bei der Stadt B. ein Lichtbild des Betroffenen an, welches dann am 30.10.2020 bei der Polizeibehörde einging. Unter dem 02.11.2020 verfügte derselbe Sachbearbeiter "Anhörung schriftlich". In einer auf Aufforderung der Generalstaatsanwaltschaft erholten Stellungnahme teilte der Sachbearbeiter der Polizeibehörde mit, dass aus seiner Sicht ein relativ gutes Lichtbild vorlag, auf dem auch lediglich eine Person im Fahrzeug zu sehen war, und mit demselben Fahrzeug ein Parkverstoß begangen wurde, für den der Betroffene das Verwarnungsgeld beglichen hatte; deshalb habe für ihn der Verdacht bestanden, dass der Betroffene Dauernutzer des Tatfahrzeugs ist und bei den ...

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