1. Zeitpunkt

Voraussetzung für den Eintritt der Bewilligungsreife ist das Vorliegen eines ordnungsgemäßen und vollständigen Antrags auf PKH i.S.d. § 166 VwGO i.V.m. § 117 ZPO. Weitere Voraussetzung ist, dem Gegner rechtliches Gehör zu gewähren, wenn dies nicht aus besonderen Gründen unzweckmäßig erscheint, § 118 Abs. 1 ZPO (Lissner/Dietrich/Schmidt, a.a.O., Rn 515). Für die Bewilligung von PKH ist grds. der Sach- und Streitstand maßgeblich, der zum Zeitpunkt der Entscheidung über das PKH-Gesuch vorliegt (BeckOK ZPO/Vorwerk/Wolf/Reichling, a.a.O., § 119 Rn 10).

PKH kann dabei grds. nur für ein bevorstehendes oder bereits laufendes Verfahren bewilligt werden. Der ordnungsmäße und vollständige Antrag muss daher vor Abschluss der Instanz vorliegen. Liegt dagegen eine den Anforderungen der § 166 VwGO i.V.m. § 117 ZPO genügende Erklärung erst zeitlich danach vor, so scheidet eine nachträgliche rückwirkende Bewilligung aus (Zimmermann-Kreher, BeckOK VwGO/Posser/Wolff/Decker, 67. Edit., Stand: 1.10.2023, § 166 VwGO Rn 48; BeckOK ZPO/Vorwerk/Wolf/Reichling, a.a.O., § 117 Rn 10).

Vorliegend hat nach Ansicht des OVG der Kläger am 1.9.2021 mit der ergänzenden Klagebegründung und der Vorlage der PKH-Unterlagen alles zur Bewilligung der PKH Erforderliche getan. Der PKH-Antrag war zu diesem Zeitpunkt, spätestens nach einem Monat – in diesem Zeitraum hatte der Beklagte im vorliegenden Fall die Möglichkeit, auch zu der ergänzenden Klagebegründung Stellung zu nehmen – entscheidungsreif. Ausgehend hiervon und unter Berücksichtigung der oben vorgenommenen Berechnung der wirtschaftlichen Verhältnisse lagen am 1.9.2021 unzweifelhaft die Voraussetzungen zur Bewilligung von PKH und damit der Zeitpunkt der Entscheidungsreife vor.

2. Rückwirkende Bewilligung

Grds. soll die zu bewilligende PKH der bedürftigen Partei, hier dem Kläger, ermöglichen, die erst noch beabsichtigte Rechtsverfolgung durchführen zu können. Dies ist – wie bereits oben erläutert – grds. dann nicht mehr möglich, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Instanz, für die PKH begehrt wird, bereits beendet ist (LAG Halle (Saale), Beschl. v. 7.11.2022 – 5 Ta 108/21). Hat das Gericht vor Abschluss der Instanz über das vorliegende PKH-Gesuch obgleich der bereits eingetretenen Bewilligungsreife noch nicht entschieden, so kann dieser Umstand jedoch nicht zulasten der bedürftigen Partei gehen (Sodan/Ziekow/Neumann/Schaks, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl., 2018, § 166 VwGO Rn 43).

Erledigt sich das Verfahren, bevor über das PKH-Gesuch entschieden wurde, so ist maßgeblicher Zeitpunkt zur Entscheidung der Zeitpunkt der Bewilligungsreife des PKH-Gesuchs (BVerfG NVwZ-RR 2020, 137). Ausnahmsweise kann noch nach Abschluss der Instanz rückwirkend PKH bewilligt werden, wenn der PKH-Antrag zum Zeitpunkt der Erledigung des Verfahrens i.S.d. Bewilligung entscheidungsreif war (BVerfG, Beschl. v. 14.4.2010 – 1 BvR 362/10; OVG Lüneburg, Beschl. v. 16.11.2023 – 14 PA 103/23; LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 23.5.2023 – L 32 AS 248/23 B ER PKH; OVG Münster, Beschl. v. 22.6.2023 – 19 E 365/23).

Würde in einem solchen Fall trotz vorliegender Bewilligungsreife des PKH-Gesuchs und vorliegender hinreichender Erfolgsaussicht die PKH nicht gewährt werden, so stünde die bedürftige Partei vor dem Risiko, wegen einer für sie nicht sicher vorhersehbaren Erledigung Kosten eines bis dahin an und für sich hinreichenden erfolgversprechenden Verfahrens tragen zu müssen. Dieses Kostenrisiko würde ihr im Vergleich zu einem Bemittelten den Zugang zum Rechtsschutz erschweren und verstieße gegen die verfassungsrechtlich verbürgte Rechtsschutzgleichheit (BVerfG NVwZ-RR 2020, 137), da das Gericht die PKH ja bereits vor Beendigung des Verfahrens hätte bewilligen müssen (OVG Lüneburg, Beschl. v. 19.1.2021 – 8 PA 6/21).

Ist der PKH-Antrag dagegen auch nach Abschluss der Instanz nicht bewilligungsreif, so ist der PKH-Antrag zurückzuweisen (OVG Schleswig, Beschl. v. 16.11.2023 – 3 LA 57/20).

Ohne jeden Zweifel lagen im vorliegenden Fall am 1.9.2021 mit Vorlage der ergänzenden Klagebegründung und der Vorlage der PKH-Unterlagen, spätestens einen Monat später, die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen zur Bewilligung von PKH sowie die entsprechende Erfolgsaussicht und damit die Bewilligungsreife vor. Eine Rückwirkung der PKH kann nur bis zu diesem Zeitpunkt erstreckt werden (Zöller/Schultzky, ZPO, 35. Aufl., 2024, § 119 Rn 5; LAG Halle (Saale), a.a.O.). Der Kläger hat daher vorliegend alles ihm Zumutbare unternommen, um dem Gericht eine Entscheidung über den bewilligungsreifen PKH-Antrag zu ermöglichen. Eine rückwirkende Bewilligung der begehrten PKH für das erstinstanzliche Verfahren ist daher im vorliegenden Fall ausnahmsweise möglich (Riese, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand: 44. EL März 2023, § 166 VwGO Rn 133; VGH München, Beschl. v. 12.6.2019 – 11 C 19.233).

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