Rz. 9

Der Erstkontakt mit dem potenziellen Mandanten erfolgt in den meisten Fällen via Telefon oder E-Mail oder immer öfter via Social Media bis hin zur WhatsApp. Diesen Erstkontakt allein den Anwaltssekretariaten zu überlassen, ist regressträchtig. Im Hinblick auf die Frist des § 4 KSchG und auf § 174 BGB ist es daher dringend geboten, den potenziellen Mandanten direkt zur Terminvereinbarung und zur Abklärung eventueller Fristen mit dem Rechtsanwalt zu verbinden bzw. die Mail weiterzuleiten. Im Rahmen des Erstgesprächs können auch bereits die Kommunikationsdaten des Mandanten sowie des potenziellen Gegners erfasst werden, dies ermöglicht es, Interessenkonflikte in einem frühen Stadium aufzuklären. Ist es ausnahmsweise nicht möglich, direkt den potenziellen Mandanten mit dem Anwalt zu verbinden, so sollte der Anwalt tunlichst noch am selben Tag zurückrufen. Bei der Terminvergabe muss beachtet werden, dass Mandanten meist nicht in der Lage sind, zu beurteilen, ob Fristen abzulaufen drohen. Insbesondere können Mandanten selten beurteilen, ob eine Zurückweisung nach § 174 BGB sinnvoll ist, wann eine Kündigung etwa während eines Urlaubs zugegangen ist, etc. Vor diesem Hintergrund sollte möglichst kurzfristig ein Termin vergeben werden.

 

Rz. 10

Wie in allen anderen Rechtsgebieten auch, darf das Mandat nicht angenommen werden, wenn ein Interessenkonflikt i.S.d. § 43a Abs. 4 BRAO besteht.[3] Verstöße gegen diese Berufspflicht können nicht nur zivilrechtliche Folgen sondern auch berufsrechtliche und strafrechtliche Sanktionen (§ 356 StGB) nach sich ziehen.

 

Rz. 11

Leider ist es nicht immer ganz einfach, festzustellen, ob ein solcher Fall des Interessenwiderspruchs vorliegt. Der Rechtsanwalt darf nicht denselben historischen Vorgang einmal in diesem und dann im entgegengesetzten Sinne würdigen.[4] Wann es sich um dieselbe Rechtssache in diesem Sinne handelt, ist Gegenstand umfangreicher Rechtsprechung.[5] Maßgeblich ist nach der Rechtsprechung der sachlich-rechtliche Inhalt der anvertrauten Interessen, also das anvertraute materielle Rechtsverhältnis, das bei natürlicher Betrachtungsweise auf ein inhaltlich zusammengehöriges, einheitliches Lebensverhältnis zurückzuführen ist. Weiter muss der Rechtsanwalt in derselben Sache den Mandanten vertreten. Schließlich muss der Rechtsanwalt interessengegensätzlich handeln, d.h., tatsächlich widerstreitende Interessen vertreten, indem er etwa einer Partei Rat und Beistand leistet, nachdem er einer anderen Partei in derselben Sache im entgegengesetzten Sinn bereits Rat und Beistand gewährt hat.[6]

 

Rz. 12

Regelmäßig unterliegt es nicht der Dispositionsbefugnis der Parteien, einen Interessengegensatz zu beseitigen, auch die Einwilligung an und für sich räumt das pflichtwidrige Handeln des Vertreters nicht aus der Welt.[7] Etwas anderes kann gelten, wenn gerade die Einwilligung den Interessengegensatz aufhebt. Grundsätzlich erfasst das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen die Rechtsanwälte der Sozietät, sofern kein Fall des § 43a Abs. 4 S. 4 BRAO vorliegt.[8]

 

Rz. 13

Jenseits aller rechtlichen Fragestellungen tut der Anwalt gut daran, jedwede Verbindung mit der Gegenseite von Anfang an offenzulegen, möchte er das für das Führen des Mandats notwendige Vertrauen nicht leichtfertig zerstören.

 

Rz. 14

 

Praxishinweis

In der Praxis wird ebenfalls keine Sozietät eine Geschäftspolitik fahren, die es zulässt, dass ein Anwalt den Arbeitgeber XY arbeitsrechtlich berät und ein anderer Anwalt aus der Sozietät Arbeitnehmer dieses Arbeitgebers in Rechtstreitigkeiten gegen diesen Arbeitgeber vertritt. Selbst wenn die Beratung eines Arbeitgebers nicht im Arbeitsrecht, sondern etwa im Gesellschaftsrecht erfolgt, so sollte die Übernahme eines kündigungsschutzrechtlichen Mandates eines Arbeitnehmers dieses Unternehmens zuvor offen mit allen Beteiligten erörtert werden.

[3] Vgl. ferner § 3 Abs. 1 BRAO, wonach der Rechtsanwalt nicht tätig werden darf, "wenn er eine andere Partei in derselben Rechtssache im widerstreitenden Interesse bereits beraten oder vertreten hat"; dazu ausführlich: Offermann-Burckart, AnwBl 2008, 446.
[4] BGH v. 23.10.1990, NJW 1991, 1176.
[5] OLG Frankfurt a.M. v. 18.12.2014 – 5 UF 186/14; OLG Koblenz v. 29.11.2006, NJW-RR 2007, 1003; OLG München v. 2.10.1996, NJW 1997, 1313; OLG Karlsruhe v. 24.6.2001, NJW 2001, 3197; OLG Karlsruhe v. 19.9.2002, NJW 2002, 3561.
[8] Kleine-Cosack, AnwBl 1998, 417 ff. Das Verbot greift aber u.U. bei Sozien des Rechtsanwalts, vgl. § 3 Abs. 2 BORA.

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