Rz. 83

Nach ganz überwiegender Meinung ist das Abwerben von Mitarbeitern erlaubt (vgl. OLG Stuttgart v. 17.12.1999 – I ZR 221/01). Das Recht der Abwerbung folgt aus Art. 12 GG (Freiheit der Berufswahl), unterliegt aber Schranken. Während des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses ist es einem Arbeitnehmer aufgrund der arbeitsvertraglichen Treuepflicht untersagt, Mitarbeiter für ein eigenes oder fremdes Unternehmen abzuwerben. Die Rücksichtnahmeverpflichtung ist in § 241 Abs. 2 BGB ausdrücklich normiert. Soweit dies gleichwohl zielgerichtet und beharrlich erfolgt, kann das eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen (vgl. BAG vom 11.11.1980 – 6 AZR 292/78). Nach Ansicht des LAG Berlin-Brandenburg setzt dies eine vorherige Abmahnung voraus (vgl. Urt. v. 30.8.2012 – 10 Sa 1198/12). Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses endet die Treuepflicht. Es ist ausgeschiedenen Arbeitnehmern zu diesem Zeitpunkt erlaubt, die früheren Kollegen für ein eigenes Unternehmen oder das eines Dritten gezielt anzusprechen und abzuwerben. Bei geschäftlichem Handeln und gezielter Abwerbung kann eine Behinderung von Mitbewerbern gem. § 4 UWG vorliegen.

 

Rz. 84

Gegen Abwerbungsversuche kann sich ein Arbeitgeber in engen Grenzen durch die vertragliche Vereinbarung eines Abwerbungsverbots schützen (s. Rdn 97).

 

Rz. 85

Erst bei Hinzutreten besonderer Umstände wird die Abwerbung unzulässig, nämlich dann, wenn mit der Abwerbung ein verwerflicher Zweck verfolgt wird oder bei der Abwerbung verwerfliche Mittel und Methoden angewendet werden, die das Vorgehen insgesamt als rechts- und sittenwidrig erscheinen lässt (vgl. BAG v. 26.9.2012 – 10 AZR 370/10).

 

Rz. 86

Von einem verwerflichen Zweck kann dann ausgegangen werden, wenn das Ziel der Abwerbung die Behinderung oder Ausbeutung eines Mitbewerbers ist. Davon kann dann ausgegangen werden, wenn der Abwerbende gar nicht beabsichtigt, den Abgeworbenen nach der Aufgabe seines Arbeitsplatzes einzustellen.

 

Rz. 87

 

Beispiel für unerlaubte Zweckverfolgung

Planmäßiges und systematisches Abwerben von Arbeitskräften, insb. von Führungspersonal,
planmäßige und systematische Abwerbung einer ganzen für den Arbeitgeber wesentlichen Abteilung oder Organisation,
Nutzbarmachen von Geschäftsgeheimnissen, die der Abgeworbene unredlich aufgezeichnet oder gespeichert hat,
Abwerbung, um durch vergleichende Werbung und Hinweis auf die Kenntnisse der abgeworbenen Arbeitnehmer den Ruf des fremden Unternehmens nutzbar zu machen.
 

Rz. 88

Von einem verwerflichen Mittel ist dann auszugehen, wenn die damit verbundenen Begleitumstände rechts- oder sittenwidrig sind. Davon ist insb. auszugehen, wenn der Abgeworbene zum Vertragsbruch verleitet werden soll, etwa zum Ausspruch einer fristlosen oder nicht fristgerechten (grundlosen) Eigenkündigung (OLG Brandenburg v. 6.3.2007, NZA-RR 2008, 79–81). Das Ausnutzen eines fremden Vertragsbruches ohne eigenes Zutun ist dagegen nicht unlauter.

 

Rz. 89

 

Beispiele für unerlaubte Mittelverwendung

Versprechen von Wechselprämien,
Gewährung von Kündigungshilfen,
Androhen von Nachteilen,
die Abwerbung durch den Arbeitnehmer mit Betriebsmitteln des Arbeitgebers auf dessen Kosten innerhalb des Betriebes,
die Abwerbung des Arbeitnehmers an seinem Arbeitsplatz oder während der Arbeitszeit in einem nicht mehr sozial adäquaten zeitlichen Umfang (vgl. Rdn 92),
unerwünschte Besuche in der Wohnung des Arbeitnehmers,
fehlerhafte Angaben zu den Bedingungen des neuen Arbeitsverhältnisses,
unwahre oder irreführende Angaben über den bisherigen Arbeitgeber,
siebenmalige Anrufe auf privatem Handy des Arbeitnehmers (vgl. OLG Frankfurt/M. v. 9.8.2018 – 6 U 51/18).
 

Rz. 90

 

Beispiele für zulässige Abwerbung:

Zeitungsinserate,
Einsetzen von Personalberatern,
erste kurze telefonische Kontaktaufnahme am Arbeitsplatz zur Interessenforschung (vgl. Rdn 91),
Skizzieren des neuen Arbeitsumfeldes verbunden mit einem konkreten Beschäftigungsangebot,
Aufforderung zur Bewerbung.
 

Rz. 91

Von besonderer Relevanz in der Praxis ist die telefonische Kontaktaufnahme einer Personalberatung (Headhunter) zu Arbeitnehmern an deren Arbeitsplatz während der Arbeitszeit. Mit dieser Problematik hat sich die Rspr. und insb. auch der BGH schon mehrfach befasst. Dabei geht es regelmäßig um die Frage, in welchem Umfang Personalberater oder Headhunter Arbeitnehmer an ihrem Arbeitsplatz ansprechen dürfen und wann in einem solchen Verhalten ein Wettbewerbsverstoß zu sehen ist. Hierzu hat der BGH im Rahmen seiner ersten Entscheidung (v. 4.3.2004, NZA 2004, 794–798) bereits entschieden, dass es nicht wettbewerbswidrig ist, wenn ein Arbeitnehmer von einem Personalberater am Arbeitsplatz in einem zur ersten Kontaktaufnahme geführten Telefongespräch nach seinen Interessen an einer neuen Stelle befragt und diese neue Stelle kurz beschrieben wird. Wenn sich der Personalberater aber bei einem solchen Gespräch darüber hinwegsetzt, dass der Arbeitnehmer daran kein Interesse hat oder das Gespräch über eine knappe Beschreibung der zu...

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