Warum Resilienz allein es nicht richtet

Durch Arbeitsverdichtung, Arbeitszunahme, schlechte Führung oder wachsende Unsicherheit steigt in vielen Unternehmen das Stresslevel. Das führt bei den Beschäftigten zu einer größeren Anfälligkeit für Erschöpfungskrankheiten. Einen scheinbaren Ausweg bietet die Resilienz, die Mitarbeitende anpassungs- und widerstandsfähiger machen soll. Doch Unternehmen wälzen damit ein Problem auf ihre Mitarbeitenden ab, dessen Ursachen sie auch strukturell bekämpfen könnten.

Dass der Begriff Resilienz seit einigen Jahren boomt, ist kaum zu übersehen. Gerade im Zusammenhang mit Klimawandel und Pandemie ist viel von Resilienz zu hören und zu lesen. In schwierigen Zeiten wie unseren wird die "Kunst der Krisenfestigkeit" zwangsläufig zu einer begehrten Tugend. Auch in der Arbeitswelt gewinnt Resilienz immer mehr an Attraktivität. Als resilient gilt hier, wer auch unter Bedingungen radikaler Unsicherheit produktiv und leistungsfähig bleibt. Nicht zuletzt scheint Resilienz auch eine Lösung für die seit vielen Jahren auf hohem Niveau rangierenden psychisch bedingten Arbeitsausfälle zu bieten: Den "Leiterkrankungen" (Voss/Weiß, 2013) der Gegenwartsgesellschaft – Stress, Burn-out und Depression – sollen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch Verbesserung ihrer Resilienz vorbeugen.

Andererseits wollen auch Organisationen resilient(-er) werden und auf diese Weise den unkalkulierbaren Stürmen auf globalisierten Weltmärkten trotzen. Kein Wunder also, dass viele Unternehmen versuchen, die Resilienz ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu fördern, etwa durch resilienzorientiertes Coaching oder Workshops. Insbesondere im betrieblichen Gesundheitsmanagement scheint Resilienz regelrecht zu boomen. Und auch außerhalb der Arbeit lässt sich, digital oder analog, an der eigenen Resilienz arbeiten: Um das Themenfeld Stress hat sich eine kaum zu überblickende Ratgeberindustrie entwickelt, die verspricht, Erschöpfung zu verhindern und Wohlbefinden zu steigern. Wo immer in diesem Zusammenhang von Resilienz die Rede ist, wird die Botschaft vermittelt, dass man es zu einem Gutteil selbst in der Hand hat, wie belastbar man aktuell ist und zukünftig sein wird. 

Resilienz: Das Stehaufmännchen als Ikone der Gegenwart 

Doch was ist das eigentlich, Resilienz? Mit Resilienz gemeint ist nicht nur die Fähigkeit von Menschen, unter bedrohlichen Bedingungen gesund, stabil und handlungsfähig zu bleiben. Auch Regenwälder, Küstenstädte oder Sozialsysteme können mehr oder weniger resilient sein. Entsprechend breit ist das Anwendungsfeld: Ob Psychologie oder Pädagogik, Wirtschaft oder Politik, Viruspandemie oder Depression – für alle nur denkbaren Probleme bietet sich Resilienz als Lösung an. Aktiviert man im Netz die Bildersuche zum Stichwort Resilienz, stößt man immer wieder auf eine Figur: das Stehaufmännchen. Es symbolisiert, dass man am Auf und Ab des Daseins nicht leiden, sondern es spielerisch nehmen soll. Wer die zugehörigen Texte liest, erfährt zudem, dass Rückschläge und Krisen uns stärker machen und wachsen lassen, im besten Fall sogar über uns selbst hinaus.

Glaubt man der einschlägigen Ratgeberliteratur, dann heben sich resiliente Menschen durch ihre emotionale Flexibilität in Stresssituationen von ihren weniger resilienten Mitmenschen ab: Sie können ihren Erregungszustand situativ anpassen und "verkämpfen" sich nicht, sondern akzeptieren die Welt, wie sie ist. Die gute Botschaft wird meist direkt mitgeliefert: Resilienz ist kein Schicksal, sie lässt sich erlernen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Mensch tatsächlich auf die eine oder andere Weise unter Druck steht: ohne Krisen keine Resilienz. Nicht umsonst bieten deshalb nicht nur Coronapandemie oder Flutkatastrophen, sondern auch die moderne Unternehmenswelt exzellente Voraussetzungen für das, was Judith Rodin, ehemalige Präsidentin der Rockefeller-Stiftung, so treffend die "Dividende der Resilienz" genannt hat: der Mehrwert, der aus der erfolgreichen Bewältigung von Stresssituationen resultiert. 

Regeneration als Anforderung an Mitarbeitende

Und tatsächlich: Vor dem Hintergrund der soziologisch umfassend erforschten Vermarktlichung von Arbeit – der unternehmerische Wettbewerbsdruck wird, etwa in Form von Zielvereinbarungen oder Kennzahlen, immer häufiger direkt an abhängig Beschäftigte weitergegeben – erscheint individuelle Resilienz als erheblicher Vorteil. Neben ständiger Erreichbarkeit, überbordenden Arbeitsmengen und schlechter Führungskultur ist es vor allem das Klima ständiger Unsicherheit, das die Anfälligkeit von Beschäftigten für Erschöpfungserkrankungen erhöht. Dauernde Umstrukturierungen von Unternehmensstrukturen, Teams, Aufgaben und Anforderungen stellen enorme Anforderungen an die psychische Robustheit der Einzelnen. Der Clou der Resilienz liegt nun darin, objektive Belastungsfaktoren in subjektive Wachstumsgelegenheiten umzudeuten: ohne Krise keine Resilienz. Dabei wird Resilienz jedoch nicht nur als Angebot, sondern immer öfter auch als Anforderung formuliert.

Resiliente Organisationen: flexibel, angepasst, belastbar 

Zentral für das Konzept der Resilienz ist der Begriff der Adaption. Dabei geht es allerdings nicht um Anpassung im altbekannten Sinne von Gehorsam und Unterwerfung. Vielmehr wird eine Art Hyperflexibilität empfohlen, also die permanente Bereitschaft, sich auf unkalkulierbare, krisenhafte oder sogar katastrophale äußere Bedingungen einzustellen. Die Bedingungen selbst werden dabei als nicht veränderbar verstanden – egal, ob es sich um die Folgen von Erdbeben, Börsencrashs oder Austeritätspolitik handelt. Auch Organisationen, so die weitere Annahme, können besser oder schlechter mit extern verursachten Krisen, Schocks und Katastrophen umgehen – ihre Resilienz entscheidet im Zweifel über ihr Überleben. Die individuelle und die organisationale Resilienz scheinen dementsprechend deckungsgleich zu sein. Ein Unternehmen wäre dann umso resilienter, je resilienter seine Mitarbeitenden sind. Die Existenz einer solchen Win-win-Situation ist empirisch bislang allerdings nicht belegt – und angesichts der breiten Definition des Resilienzkonzepts auch schwer zu messen. Vor allem aber ist ein "resilientes Unternehmen" nicht zwangsläufig eines, das die psychische Gesundheit seiner Mitarbeitenden schont: Was für die Jahresbilanz gut ist, kann für die individuellen Stressbilanzen durchaus problematisch sein – und sich im Zweifel auch nicht einfach unter Expertenanleitung wegtrainieren lassen. 

Von der Verhältnisprävention zur Verhaltensprävention

Nicht zufällig mehren sich deshalb inzwischen auch kritische Stimmen. Denn zum einen ist häufig nicht sehr klar, was genau im jeweiligen Kontext eigentlich mit Resilienz gemeint ist. Zum anderen könnte die Anforderung, die eigene Belastbarkeit zu verbessern, paradoxerweise selbst als Belastung erlebt werden. Aus dem Blick gerät zudem potenziell, dass nicht nur das Individuum, sondern auch das Unternehmen für die psychische Gesundheit der Beschäftigten verantwortlich ist. Der Hype um Resilienz fügt sich somit geschmeidig in den seit Jahren beobachteten Trend einer Verschiebung im betrieblichen Gesundheitsmanagement ein – von der Verhältnis- zur Verhaltensprävention (Becker, 2021): Während die betriebliche Aufmerksamkeit für Formen gelingender individueller Stressbewältigung steigt, scheinen die Rahmenbedingungen von Arbeit – Personalbemessung, Arbeitsmengen, Arbeitszeiten, Führungsstile und so weiter – kaum veränderbar.

Die von der europäischen Arbeitsschutzrichtlinie vorgeschriebene systematische Erhebung von Ausprägungen und Ursachen psychischer Fehlbelastung im Betrieb wird von vielen Unternehmen umgangen. Resilienz bietet sich an, diese Lücke zu füllen. Es ist schließlich in der Regel nicht nur deutlich kostengünstiger, sondern auch ungefährlicher, Gesundheitstage, Yogakurse oder eben Resilienztrainings anzubieten, anstatt etwas an unrealistischen Zielvorgaben, entgrenzten Arbeitszeiten, problematischen Führungsstilen oder zu knapper Personalbemessung zu verändern. 

Alles in allem trägt die Popularität von Resilienz in der Arbeitswelt also einerseits dazu bei, die Verantwortung für ein gelingendes belastungsbezogenes "Grenzmanagement" von Arbeit und Leben immer mehr in den Verantwortungsbereich der Einzelnen zu verschieben. Andererseits werden belastende und unsichere Arbeitsbedingungen implizit zu unveränderlichen Rahmenbedingungen erklärt. Der Hype um Resilienz ist dementsprechend auf den ersten Blick ebenso verständlich, wie er auf den zweiten Blick kritisch hinterfragt werden sollte.

Dieser Beitrag ist in ungekürzter Version in Personalmagazin Ausgabe 1/2022 erschienen. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Personalmagazin-App.


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