PQ State of the Art: Umgang mit Fehlern in Unternehmen

Das schnelle und häufige Scheitern scheint heutzutage dem schlichten guten Gelingen den Rang abzulaufen, denn tatsächlich können Organisationen aus Fehlern sehr viel mehr lernen als aus dem vordergründig reibungslosen Ablauf. Der Beitrag liefert einen Überblick zur wissenschaftlichen Literatur, die sich mit dem Umgang mit Fehlern und Scheitern auf individueller Ebene und in Organisationen befasst.

Geschichten vom Scheitern sind in. Während lange Zeit über Fehler und Misserfolge lieber geschwiegen wurde, sind sie nun salonfähig, werden teilweise sogar zelebriert. Kaum ein Startup kommt ohne "Fail fast, fail often"-Mantra aus. Ganz neu ist diese Ansicht nicht, denn schon Thomas Edison behauptete stolz von sich, nicht 10.000 mal gescheitert zu sein, sondern erfolgreich 10.000 Wege gefunden zu haben, wie eine Glühbirne nicht funktioniert. Zumindest auf den zweiten Blick ist dieser Ansicht viel abzugewinnen, denn Fehler und Misserfolge scheinen tatsächlich mehr Informationen und neue Einsichten liefern zu können als ein reibungsloser, ganz den Erwartungen entsprechender Verlauf. Gleichzeitig kann es aber auch kein Organisationsziel sein, tatsächlich möglichst viele Fehler zu begehen. 

In diesem Beitrag möchten wir eine Übersicht der wissenschaftlichen Literatur geben, die sich mit dem Umgang mit Fehlern und Scheitern auf individueller Ebene und in Organisationen befasst. Unsere Darstellung bezieht sich zunächst auf den umfassenden Übersichtsartikel von Dahlin, Chuang und Roulet (2018). Aufgrund der Vielzahl einzelner Faktoren in diesem Kontext gibt es nur wenige Metaanalysen und wir gehen deshalb stärker als üblicherweise in unseren State-of-the-art-Artikeln auf die Ergebnisse einzelner Studien ein. Es fehlen insbesondere belastbare quantitative Metastudien zur lernenden Organisation, weshalb wir abschließend exemplarisch auf zwei effektive organisationale Techniken zur Unterstützung einer Fehlerkultur eingehen: Trainingsmaßnahmen, die gezielt Fehler anregen, und Debriefing-Techniken im Rahmen einer positiven Fehlerkultur.  

Lernen aus Fehlern: Möglichkeiten, Motivation und Fähigkeit

Fehlern wie auch Misserfolgen beziehungsweise Scheitern ist gemeinsam, dass sie Abweichungen von den erwarteten und gewünschten Zielen beinhalten. Während Fehler nicht korrekt ausgeführte Aufgaben oder Routinen sind, beschreiben Misserfolg und Scheitern unerwünschte Ergebnisse, meistens das Nichterreichen eines oder mehrerer Ziele. Mit anderen Worten: Fehler passieren im Prozess, Scheitern ist dagegen Prozessergebnis. Wichtig ist diese Unterscheidung vor allem, weil Ziele trotz Fehlern erreicht werden können, sich umgekehrt aber auch ein Misserfolg einstellen kann, obwohl keine wesentlichen Fehler gemacht wurden. Keine Person und keine Organisation ist frei von Fehlern und Misserfolgen, unterscheiden können sie sich aber im Umgang mit ihnen, gerade um aus ihnen zu lernen, also ähnliche Fehler in der Zukunft zu vermeiden, oder sogar Innovationen aus vermeintlichen Fehlern abzuleiten.

Im Folgenden diskutieren wir die wichtigsten Mechanismen, wie aus Fehlern gelernt werden kann. Dabei verwenden wir die Systematik von Dahlin, Chuang und Roulet (2018), die zwischen Möglichkeiten (opportunities), Motivation und Fähigkeiten (abilities) unterscheiden, wie Individuen und Organisationen aus Fehlern lernen können.

Welche Möglichkeiten gibt es, aus Fehlern und Misserfolgen zu lernen?

Damit Mitarbeiter aus Fehlern lernen können, müssen ers­tens detaillierte Informationen über die verschiedenen Fälle vorliegen, in denen es zu Fehlern kam, da sie nur so sinnvoll im Kontext verstanden werden können (information-based opportunity). Diwas, Staats und Gino (2013) bspw. untersuchten Misserfolge bei Medizinern und fanden heraus, dass sowohl die Anzahl der eigenen Misserfolge wie auch die der Kollegen dazu führten, das eigene Verhalten stärker zu reflektieren, wodurch letztlich mehr Veränderungen aus Fehlern abgeleitet und die Verfahren stärker verbessert werden konnten. Zweitens muss bei Mitarbeitern genügend Zeit vorhanden sein, Informationen aus den Fehlern zu verarbeiten, damit aus Misserfolgen gelernt werden kann (time-based opportunity). Hier konnten Studien zeigen, dass eine höhere Autonomie der Mitarbeiter bei der Arbeit dazu führt, dass sie sich Zeit für eine Fehleranalyse nehmen können und so schneller aus Fehlern und Misserfolgen lernen (Stern/Katz-Navon/Naveh, 2008).

Ähnlich verhält es sich auch für Organisationen. Hier konnten verschiedene Studien zeigen, dass die Lernkurve bei Fehlern ähnlich aussieht wie auch für andere Bereiche und Fehler oder Misserfolge in der Organisation oder auch in der Branche dazu führen, dass in der Zukunft weniger Fehler gemacht werden. Besonderen Einfluss haben dabei Misserfolge, die besonders groß, sichtbar und aus der nahen Vergangenheit waren. Interessant ist dabei, dass auch Organisationen nicht nur aus den eigenen Fehlern und Misserfolgen lernen, sondern ebenfalls von Fehltritten anderer Organisationen (Dahlin et al., 2018).

Wie hoch ist die Motivation, aus Fehlern und Misserfolgen zu lernen?

Lernen aus Fehlern oder Misserfolgen ist nur möglich, wenn Mitarbeiter und Organisationen sich bemühen, die Gründe für das Scheitern sorgfältig zu analysieren und auch aktiv nach Verbesserungsmöglichkeiten zu suchen, die ein erneutes Scheitern in der Zukunft verhindern helfen. Die dazu notwendige Motivation ist nicht immer vorhanden. Für Mitarbeiter ist es wichtig, dass sie ihre Organisation als unterstützend bei der Etablierung und Einhaltung von Regeln und Praktiken zur Sicherheit bei der Arbeit wahrnehmen (safety climate). Herrscht ein solches Klima im Unternehmen, achten Mitarbeiter eher darauf, aus Fehlern zu lernen und sich an Sicherheitsvorschriften zu halten.

Ebenfalls wichtig für die Motivation der Mitarbeiter, aus Fehlern zu lernen, ist deren Sichtweise auf die Gründe für Fehler und Misserfolge. Individuen haben die Tendenz, Erfolge eigenen Fähigkeiten und Anstrengungen zuzuschreiben, Gründe für Misserfolge dagegen eher in der Umwelt zu suchen. Diese zentrale Erkenntnis aus Attributionstheorien zeigt sich auch beim Lernen aus Fehlern und Misserfolgen: Wenn ein Mitarbeiter die Ursache für das Scheitern nicht in der Umwelt, sondern bei sich selbst sieht, verbessert sich die Leistung nach dem Scheitern mehr, als wenn die Hauptursache außerhalb, zum Beispiel beim Team, gesehen wird.

In Organisationen besteht die Tendenz, Fehler oder Misserfolge einzelnen Mitarbeitern zuzuschreiben und weniger nach anderen Ursachen zu suchen (Khatri/Brown/Hicks, 2009). Folglich ist die Motivation für Mitarbeiter gering, Fehler im eigenen Umfeld überhaupt an die Organisation weiterzuleiten. Helfen kann hier ein positives organisationales Klima, welches einen stärkeren Fokus auf Verbesserungen organisationaler Prozesse und nicht so sehr auf Fehlerzuschreibung legt.

Wie hoch ist die Fähigkeit, aus Fehlern und Misserfolgen zu lernen?

Letztlich müssen Fehler und Misserfolge überhaupt als solche identifiziert werden, um aus ihnen lernen zu können. Mitarbeitern hilft dabei die Fähigkeit, sich von den negativen Gefühlen zu distanzieren, welche durch den Fehler oder Misserfolg hervorgerufen werden. Hierbei kann auch ein Umfeld helfen, welches sich durch sehr gute Beziehungen zu den Kollegen auszeichnet und in dem sich Mitarbeiter unterstützt fühlen. Ähnlich positiv wirkt sich auch ein Führungsstil aus, der klare Richtungen vorgibt und in dem Coaching eine wichtige Rolle spielt. In Abbildung 1 sind wesentliche Faktoren auf der individuellen und organisationalen Ebene zusammengefasst (vgl. Dahlin et al., 2018).

Einflussfaktoren auf das Lernen aus Fehlern

Der richtige Umgang mit Fehlern in Organisationen

Nach der individuellen Perspektive auf die Mitarbeiter wollen wir uns nun organisationalen Maßnahmen zuwenden. Der positive Zusammenhang zwischen organisationalem Lernen und dem Unternehmenserfolg ist durch eine Metastudie von Swee C. Goh und Kollegen (2012) gut belegt. Dabei zeigt sich ein mittelstarker Effekt organisationalen Lernens auf den Erfolg, der bei nichtfinanziellen Messgrößen für den Erfolg mit r = 0,53 etwas größer ausfällt als bei finanziellen Erfolgsgrößen (r = 0,42). Welche Maßnahmen durch die Organisation sind in diesem Zusammenhang nachweisbar effektiv? Sollten Organisationen versuchen, eine Null-Fehler-Kultur zu etablieren, sollten Fehler als unvermeidliches Übel angesehen werden oder sollte sogar zum Fehlermachen aufgefordert werden? Forschung in diesem Bereich zeigt zwei Bereiche auf, in denen Organisationen durch den richtigen Umgang mit Fehlern bessere Ergebnisse erzielen können: Trainings zum Fehlermanagement (error management trainings) und eine positive Fehlerkultur (error culture).

Trainings zum Fehlermanagement sind wirksam

Bei Trainings zum Fehlermanagement werden Fehler als natürliches Nebenprodukt des Lernens verstanden, die sogar einen Informationswert haben können, zum Beispiel in welchen Bereichen noch Wissenslücken bestehen und die eigenen Fertigkeiten noch ausgebaut werden müssen. Trainings zum Fehlermanagement zeichnen sich entsprechend dadurch aus, dass nur wenige Vorgaben zum richtigen Vorgehen gemacht werden und die Lernenden sich aktiv in einer Umgebung ausprobieren, in der Fehler wahrscheinlich sind. Fehler werden entsprechend als Feedback verstanden, die dem Lernenden aufzeigen, welche Bereiche noch nicht richtig verstanden wurden.

In einer Metaanalyse haben Keith und Frese (2008) Studien zusammengefasst, in denen Trainings zum Fehlermanagement mit alternativen Trainingsformen verglichen wurden. Wichtigste Ergebnisgröße waren dabei die Trainingsergebnisse, gemessen über das Ausmaß des im Training Gelernten. Insgesamt können sie eine Überlegenheit des Fehlertrainings feststellen, denn obwohl die Leistung während des Fehlertrainings bei Trainings zum Fehlermanagement eher schlechter ist, steigt die Leistung nach dem Training stärker an als bei Vergleichstrainings. Insgesamt zeigt sich über alle Studien hinweg ein Effekt von d = 0,44, also eine mittlere Effektstärke (siehe Abbildung 2). Interessant ist zudem, dass Trainings zum Fehlermanagement einen noch stärkeren Effekt gegenüber Vergleichstrainings haben, wenn nach dem Training neue Aufgaben bewältigt werden müssen, die sich maßgeblich von den Trainingsaufgaben unterscheiden (analogical vs. adaptive transfer). Weiterer wichtiger Faktor ist die Art des Feedbacks, denn gerade wenn klares Feedback gegeben wird, haben Trainings zum Fehlermanagement einen besonders positiven Einfluss. Die höhere Wirksamkeit der Trainings zum Fehlermanagement scheint dabei sowohl durch den Fokus auf das Ausprobieren während des Trainings zu stammen wie auch auf die positive Konnotation von Fehlern an sich, zum Beispiel durch Statements wie "The more errors you make, the more you learn!"

Effekte von Trainings zum Fehlermanagement

Fehlerkultur und offene Kommunikation von Fehlern

Über Trainings hinaus kann der richtige Umgang mit Fehlern in der Organisation durch eine positive Fehlerkultur etabliert werden, die sich durch eine offene Kommunikation von Fehlern, den Austausch von Fehlerwissen, schnelle Analyse und Hilfe bei sowie einen effektiven Umgang mit Fehlern auszeichnet. In verschiedenen Studien hat sich eine positive Fehlerkultur als nützlich erwiesen, bis hin zu Hinweisen auf einen positiven Zusammenhang zwischen Fehlerkultur und Unternehmensleistung (Van Dyck/Frese/Baer/Sonnentag, 2005). Genauer untersucht sind in diesem Zusammenhang systematische Reviews oder sogenannte "Debriefings". Diese zunächst vor allem im militärischen Kontext eingesetzte Technik führt Gruppen nach einem Ereignis oder einem Projekt systematisch durch einen Reflexionsprozess.

Die wesentlichen vier Merkmale des Prozesses sind (1) das aktive Engagement der Teilnehmer, (2) die Betonung der Entwicklungsperspektive im Gegensatz zu einer Bewertungslogik, (3) die Bezugnahme auf ein spezifisches Ereignis oder Projekt und (4) die Nutzung mehrerer Informationsquellen. Scott I. Tannenbaum und Christopher P. Cerasoli (2013; S. 237-238) untersuchen in ihrer Metaanalyse, in welchem Umfang und durch welche Faktoren solche Debriefings zur Verbesserung der Performance führen. Übergreifend zeigt sich ein mittlerer bis großer positiver Effekt (d = 0,67). Dieser Effekt ist größer, wenn es sich um strukturierte und moderierte Verfahren handelt. Die Autoren schließen daraus, dass Debriefings eine effektive und vergleichsweise kostengünstige Methode zur Verbesserung der individuellen und der Teamleis­tung sind. 

Fehlermanagement: Zusammenfassung und Handlungsempfehlungen
 

  • Das Lernen aus Fehlern ist abhängig von einer Vielzahl verschiedener Faktoren, die sich gruppieren lassen in (1) vorhandene Möglichkeiten, (2) Motivation und (3) Fähigkeiten von Individuen und Organisationen, aus Fehlern zu lernen.
  • Trainings zum Fehlermanagement können den Lernerfolg erhöhen, indem durch eine positive Besetzung des Fehlerbegriffs und durch Möglichkeiten zum Ausprobieren ein besseres Verständnis für das Lernobjekt aufgebaut wird.
  • Offener Umgang mit Fehlern und Austausch von Fehlerwissen fördern eine Fehlerkultur, die sich positiv auf die Leis­tung von Individuen und Organisationen auswirken kann.


Literaturverzeichnis:

Cannon, M. D./Edmondson, A. C. (2005): Failing to learn and learning to fail (intelligently): How great organizations put failure to work to innovate and improve. Long range planning, 38(3), 299-319.

Dahlin, K. B./Chuang, Y. T./Roulet, T. J. (2018): Opportunity, motivation, and ability to learn from failures and errors: Review, synthesis, and ways to move forward. Academy of Management Annals, 12(1), 252-277.

Diwas, K. C./Staats, B. R./Gino, F. (2013): Learning from my success and from others‘ failure: Evidence from minimally invasive cardiac surgery. Management Science, 59(11), 2435-2449.

Goh, S. C./Elliott, C./Quon, T. K. (2012): The relationship between learning capability and organizational performance: a meta-analytic examination. The learning organization, 19(2), 92-108.

Khatri, N./Brown, G. D./Hicks, L. L. (2009): From a blame culture to a just culture in health care. Health Care Management Review, 34(4), 312-322.

Keith, N./Frese, M. (2008): Effectiveness of error management training: a meta-analysis. Journal of Applied Psychology, 93(1), 59.

Stern, Z./Katz-Navon, T./Naveh, E. (2008): The influence of situational learning orientation, autonomy, and voice on error making: The case of resident physicians. Management Science, 54(9), 1553-1564.

Tannenbaum, S. I./Cerasoli, C. P. (2013): Do team and individual debriefs enhance performance? A meta-analysis. Human factors, 55(1), 231-245.

Van Dyck, C./Frese, M./Baer, M./Sonnentag, S. (2005): Organizational error management culture and its impact on performance: A two-study replication. Journal of Applied Psychology, 90(6), 1228.


Dieser Beitrag ist erschienen im Wissenschaftsjournal PERSONALquarterly 1/2020. Die gesamte Ausgabe zum Thema "Freiwilligenarbeit und was New Work daraus lernen kann" können Sie hier lesen.