Kolumne Tech Matters: Es gibt kein Land namens EMEA

Ein amerikanischer Softwareanbieter veröffentlicht eine Marktstudie zu den Trends in HR und bringt unseren Kolumnisten Thomas Otter damit auf die Palme. Denn so richtig scheint dort keiner verstanden zu haben, dass das Kürzel EMEA als Herkunftsbezeichnung bei der Softwareauswahl nicht trägt. Es lohnt sich, genauer hinzuschauen.

Sehr geehrter US-Softwareanbieter,

Vielen Dank für Ihre Veröffentlichung einer Marktstudie über Trends im Personalwesen, hilfreich kategorisiert in einen EMEA/US-Vergleich von Zeit, Kosten bis zur Einstellung und so weiter.

Es gibt jedoch kein Land namens EMEA. Es hat keinen Präsidenten, keine Königin, keinen König und kein Parlament. Es gibt keine Sprache namens EMEA. Es gibt keine EMEA-Währung. Es gibt keine EMEA-Kultur. Es gibt keine EMEA-Konformität oder EMEA-Gehaltsabrechnung. Es gibt keine EMEA-Geschäftspraktiken.

Niemand, der östlich von Cape Cod oder westlich von Indien lebt, würde sich selbst als "EMEA" bezeichnen. Es gibt keine EMEAner oder EMEAnerinnen. Es gibt keine EMEA-Flagge und auch keine EMEA-Hymne, zu der man stehen oder knien kann.

EMEA steht für Europa, den Nahen Osten und Afrika. Es ist ein halbwegs brauchbares Konstrukt zur Organisation in der Buchhaltung oder bei Vertriebsgebieten. Belassen wir es doch dabei!

Ich habe diesen Kommentar vor ein paar Jahren geschrieben, aber er gilt immer noch. Denn HR- und IT-Führungskräfte in Deutschland sollten zwei Dinge beachten, die manchmal im Spannungsfeld stehen:

  1. Software wählen und implementieren, die für den deutschen Markt geeignet und mit den Vorschriften konform ist.
  2. Neue und innovative Technologien auswählen und implementieren.

Mehr Auswahl bei Software als je zuvor

Durch das Wagniskapital, das in deutsche HR-Tech-Unternehmen fließt, gibt es mehr innovative lokale Optionen als je zuvor. Inzwischen gibt es deutsche HR-Tech-Einhörner und zahlreiche vielversprechende Startups. In einigen Bereichen prägen und führen deutsche Anbieter den Markt an, beispielsweise bei Tools für die Mitarbeiterkommunikation (lesen Sie dazu: Kauft HR-Software "Made in Germany"!).

Zudem gibt es eine starke HR-Tech-Szene in Frankreich, Finnland, Polen, Großbritannien, Irland, der Schweiz und weiteren Ländern, sodass Unternehmen nicht mehr nur zwischen lokalen und US-Anbietern wählen müssen, sondern Alternativen haben. Besonders beeindruckend ist das französische HR-Tech-Cluster in und um Paris - auch, weil die französische Regierung bessere Arbeit bei der Förderung von Startups leistet als die deutsche.

Seien Sie als HR-Verantwortliche also aufgeschlossen und gehen Sie nicht davon aus, dass alle Innovationen aus dem Silicon Valley kommen. Fordern Sie stattdessen, dass US-Anbieter den Nachweis erbringen, dass sie den lokalen Markt verstehen. DSGVO-Kompetenz allein reicht nicht aus, ist aber ein guter roter Faden. Fordern Sie mehr von etablierten Anbietern als von Startups in der Frühphase. Was Sie im Umgang mit Startups für HR-Tech vermeiden sollten, können Sie in einer weiteren Kolumne von mir nachlesen.

Akquisen gehört dazu und sollten einkalkuliert sein

Wir werden wahrscheinlich eine Welle von Akquisitionen bei HR-Tech erleben. Bei guter Durchführung können Übernahmen die Lokalisierungsfähigkeit internationaler Anbieter beschleunigen - so hat beispielsweise Phenom People kürzlich Tandemploy übernommen. Rechnen Sie deshalb mit Akquisitionen und entwickeln Sie eine Strategie, um optimal darauf vorbereitet zu sein.

Unternehmen sollten sich in Anwendergruppen engagieren

Um sicherzustellen, dass wichtige lokale Anforderungen in das Produkt integriert werden, sollten Sie sich mit anderen deutschen Kunden austauschen – kooperativ und proaktiv. Warten Sie nicht darauf, dass der Anbieter eine Anwendergruppe gründet.

Sie haben mehr Auswahl als je zuvor, also entwickeln Sie die Disziplin, lokale Anforderungen in Einklang zu bringen und die neuesten und größten internationalen Innovationen zu nutzen. Sie werden vielleicht auch angenehm überrascht sein, wie cool die lokalen Produkte und wie viel besser die internationalen Anbieter geworden sind, um "DE" zu verstehen.


Thomas Otter ist Gründer von Otter Advisory und berät große und kleine Unternehmen, Investoren und HR-Tech-Anbieter. Zuvor leitete er das Produkt-Management bei SAP Success Factors und war Research Vice President bei Gartner für HR Tech. Das Zusammenspiel von HR und Technologie fasziniert, desillusioniert und inspiriert ihn immer wieder.

Schlagworte zum Thema:  HR-Software, HR-Startup, Digitalisierung