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Vom "War for Talents" zum Wettlauf um Kompetenzen

Um den "War for Talents" zu gewinnen, reicht der Fokus auf Talente allein nicht mehr aus. Der Blick richtet sich zunehmend auch auf notwendige Skills im Unternehmen, die Attraktivität der Arbeit und die Passung bestehender Karrieremodelle.

Veränderungen wie diese führen zu der Frage, wie wir Arbeit neu organisieren müssen. Herkömmliche Modelle wie traditionelle Jobarchitekturen müssen neu gedacht werden, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Mittelpunkt zu stellen und skillorientierte Organisationen zu ermöglichen.

Herausforderungen: Fachkräftemangel und Kompetenzlücken

Am Markt fordern Arbeitnehmende, die über die gefragten Skills verfügen, erhebliche Gehälter und bekommen diese schlussendlich auch gezahlt. Denn der Druck, der sich durch den Fachkräftemangel auch auf die Auslastung der Mitarbeitenden niederschlägt, lässt viele Unternehmen und Führungskräfte nachgeben. Hintergrund für die Verschärfung sind notwendige Transformationen in fast allen Branchen und Industrien, die nach der Coronapandemie keinen Aufschub mehr dulden. Laut des "Future of Jobs Reports 2020" des World Economic Forums werden sich weltweit eine Milliarde Jobs (das sind zwei Drittel aller Arbeitsplätze) fundamental durch Technologie und Digitalisierung verändern.

Das spiegelt auch die Mercer-Studie "Global Talent Trends 2022", wonach 79 Prozent der CEOs prognostizieren, dass künftiges Wachstum in ihrer Organisation durch sogenannte Skill Gaps (Kompetenzlücken) massiv gebremst wird. Dass dies nicht mehr nur Zukunftsmusik ist, zeigen aktuelle Zahlen des Ifo-Instituts, wonach der Retail-Bereich aufgrund von Fachkräftemangel 37 Prozent Umsatzeinbußen verzeichnete.

Damit ist die Herausforderung klar: Die Veränderungen und Skill Gaps sind so flächendeckend, dass Sie nicht punktuell mit der Suche nach Talenten gelöst werden können.

Wahrnehmen von internen Potenzialen

Der heutige Blickwinkel auf die Workforce ist häufig der auf einen Job, dem ein Mitarbeitender zugeordnet ist. In Zukunft wird es aber wichtig, noch genauer und differenzierter auf die Tätigkeiten zu schauen – nämlich im Detail auf bestehende Skills und Fähigkeiten der Mitarbeitenden und der gesamten Belegschaft des Unternehmens. Damit werden Skills und Rollen wichtiger und eine 1:1 Zuordnung von einem Mitarbeitenden zu einem Job verliert an Bedeutung.

Parallel sieht sich die Mehrheit der deutschen Unternehmen in Zukunft mit hybriden Modellen konfrontiert. Das heißt, Teile der Organisation sind traditionell als Linienorganisation organisiert, während andere Bereiche wie beispieslweise IT, HR, Retail, Sales oder auch die Forschungs- und Entwicklungsbereiche zu agilem Arbeiten übergehen. Hier gilt es, Lösungen zu finden, die für beide Bereiche funktionieren. Sie verbinden die traditionelle und künftige Arbeitswelt sinnvoll, denn auch hier stoßen starre Karrieremodelle, Jobarchitekturen und unflexible Gehaltsmodelle an ihre Grenzen und verhindern ein Wachstum der Organisation.

Ganzheitliche Career Frameworks als Chance

Die Zukunft liegt darin, Vergütungsmodelle und Jobarchitekturen sowie Karrieremodelle neu zu denken, hin zu ganzheitlichen Career Frameworks. Diese bieten einen Überblick über verfügbare Jobs und deren Vergütung, erforderliche Skills und Fähigkeiten und mögliche Karrierewege für Managerinnen und Manager sowie Expertinnen und Experten innerhalb eines Unternehmens. Das Career Framework dient als Grundlage und Rückgrat für alle HR-Prozesse, indem es eine klare Datenbasis sowie einen Planungs- und Entwicklungsrahmen bietet.

Im Kern beinhaltet das Career Framework also beständige Rollenbeschreibungen, die sowohl einem Hierarchie- und Erfahrungslevel zugeordnet sind, als auch einer Jobfamilie als fachliche Ausrichtung. Weiterhin ist das Framework die Basis für Grading und Gehaltsbenchmarking sowie ganzheitliche Vergütungsstrategien. Hat man diese Grundlage geschaffen, geht es in Zukunft darum, diese Career Frameworks in HR-Prozesse zu integrieren und neu zu gestalten.

Skills und Entwicklung als neue Währung der Mitarbeitenden

Schaut man in die bestehende Praxis, so werden diese Grundlagen/Jobarchitekturen oft im Hintergrund als Benchmarking oder Auswertungstool in der HR-Arbeit genutzt. Notwendige Skills sind häufig nicht berücksichtigt oder nicht mit zentralen Prozessen wie Performance Management und Workforce Planning verknüpft. Gelebte Praxis im Performance Management bedeutet eher: Fokus auf Leistungsbeurteilung und Feedback mit Blick auf die vergangenen Ergebnisse. Kompetenzen, Skills und die eigene Entwicklung kommt dabei fast immer zu kurz.

Aber gerade hier liegt für die Zukunft ein grosser Hebel. Und die Rolle der HRler müsste dabei viel mehr im Enablement aller Beteiligten liegen als im Steuern und Überwachen des Prozesses. Darüber hinaus ist das Career Framework idealerweise auch die Planungsgrundlage für Geschäftsführung und Entscheidergremien: Wie arbeiten wir in Zukunft und wie sehen unsere künftigen Rollen aus? Wo haben wir die notwendigen Skills, wo erwarten wir künftig Lücken? Müssen wir den Aufbau von Kompetenzen skillintern und extern in Kombination sehen?

Fakt ist auch hier, dass die Planungsprozesse häufig einen starken Fokus auf Kosten- und Ressourcenplanung für FTE und Budgetplanungen haben. Wichtig ist aber, dass die Verfügbarkeit von Skills in den Planungsfokus der Geschäftsleitung rückt und sich damit der Blick von der reinen Kostenplanung auf eine ganzheitliche Personalplanung unter Beteiligung von HR erweitert. In der Zukunft wird das Career Framework zum Verbindungsstück zwischen Strategie, Ausrichtung der Workforce, Organisationsentwicklung und Personalentwicklung.

Career Frameworks: Herausforderungen bei der Gestaltung und Einführung

Der Mehrwert von ganzheitlichen Career Frameworks liegt also auf der Hand. Unsere Studien (siehe oben) zeigen jedoch, dass überraschenderweise nur die Hälfte aller Unternehmen über ein Career Framework verfügt. Die Gründe dafür sind unter anderem mangelnde Transparenz über Karrierewege sowie Silodenken, Neidfaktoren und Besitzansprüche von Entscheidern und Mitarbeitenden.

Wichtig bei der Gestaltung und Einführung ganzheitlicher Career Frameworks und der neuen Prozesse ist, verschiedene Parteien an einen Tisch zu bekommen und sich auf die Mitarbeitererfahrungen und Skills zu fokussieren. Klar braucht es die Unternehmensleitung – aber eben auch ausgewiesene HR-Spezialisten. Diese müssen in der Lage sein, die Career Frameworks sowie Prozesse neu zu gestalten und gleichzeitig den notwendigen Mindset-Shift in Richtung Entwicklung und Skills-based-Organisation kulturell zu begleiten und zu gestalten. Denn der Wettlauf um die Kompetenzen hat begonnen und wird in Zukunft darüber entscheiden, welche Unternehmen sich auf der Erfolgsseite befinden.