Berufsausbildung bereitet zu wenig auf Digitalisierung vor

Die Digitalisierung verändert die Berufswelt und somit auch die Berufsausbildung: Oft sind Curricula schon veraltet, bevor der Ausbildungszyklus abgeschlossen ist. Sind heutige Ausbildungskonzepte in diesem Kontext noch zeitgemäß? Professor Arnold Picot nimmt Stellung zu zukunftsfähigen Formaten.

Haufe Online Redaktion: Die Digitalisierung ist eine der großen Herausforderungen in Unternehmen. Welche Konsequenzen hat sie für die Berufsausbildung?

Arnold Picot: Die Digitalisierung wirkt sich sowohl auf Ausbildungsinhalte als auch Ausbildungsmethoden aus. Bei den Inhalten entsteht die schwierige Aufgabe, sowohl die klassischen Grundlagen wie Zinsrechnung und Zeichnen zu lehren als auch aufzuzeigen, in welchem Maß diese Operationen heute in der Praxis von automatisierten Systemen übernommen werden. Zudem muss der Umgang und die Nutzung solcher Programme vermittelt werden sowie die Reflexion darüber, wie diese Systeme und Hilfsmittel in Arbeitsprozesse eingebaut sind und wo dabei die Verantwortung  der  berufstätigen Menschen liegt. Außerdem muss in den Ausbildungsinhalten berücksichtigt werden, dass sich die Tätigkeitsprofile durch die Digitalisierung ständig ändern. Bei den Lehrmethoden hingegen bietet die Digitalisierung vielfältige Unterstützungsmöglichkeiten: Übungs- und Simulationsprogramme, E-Learning und Online-Kurse, virtuelle Zusammenarbeit von Teams und Arbeitsgruppen.

Haufe Online Redaktion: Ist denn in diesem Zusammenhang die heutige Ausbildung in Schule und Betrieb überhaupt noch zeitgemäß?

Picot: Heutige Schulen sind vielfach noch zu stark auf die Anforderungen des 19. und 20. Jahrhunderts ausgerichtet: Informationen waren nicht leicht zugänglich; Wissen hatte viel mit Macht zu tun. In Folge dessen stand die Abfrage von Wissen durch Noten und Prüfungsergebnisse im Vordergrund und tut es häufig immer noch. Doch unzeitgemäße Ausbildungsinhalte sind nicht nur ein Problem der Schulen, sondern auch der mangelnden Ausbildung der Ausbilder in den Betrieben. Zunehmend erkennen die Verantwortlichen zwar die Notwendigkeit zur Anpassung – aber es geht langsam.

Haufe Online Redaktion: Was kennzeichnet ihrer Meinung nach eine zeitgemäße Berufsausbildung?

Picot: Wichtig ist es zu prüfen, welche Qualifikationen künftig in einer digitalen Arbeitswelt erforderlich sind: In einer Zeit, in der Daten und Informationen im Überfluss verfügbar sind, ist es wichtig, die richtigen Fragen zu stellen und mögliche Antworten filtern und beurteilen zu können. Denken in Systemen und Zusammenhängen, Kreativität, Beurteilungsvermögen, Eigeninitiative und weniger schieres Faktenwissen sind gefordert.  Die Schulen bereiten hierauf noch zu wenig vor. In bestimmten Bereichen wie in Kunsthandwerk, Gärtnerei oder technischem Service bleiben aber natürlich nach wie vor auch manuelle Fähigkeiten gefragt.

Haufe Online Redaktion: Welche Voraussetzungen müssen Azubis denn in dieser digitalen Arbeitswelt im Einzelnen mitbringen?

Picot: Auszubildende müssen zum einen die neuen digitalen Arbeitswerkzeuge beherrschen können. Zum anderen eröffnet ihnen die damit verbundene Flexibilisierung der Arbeitswelt neuartige Freiheitsgrade zur individuellen Gestaltung von Arbeit und erfordert damit Selbstmanagement und Selbstorganisationsfähigkeiten. Zudem müssen die Jugendlichen in der Lage sein zu beurteilen, welche digitalen Arbeitswerkzeuge in welchen Situationen am besten eingesetzt werden können und wo man sich ihrer nicht oder nur begrenzt bedienen sollte. Erforderlich sind also Medienkompetenzen, die die technische Anwendung in gleicher Weise betreffen wie die organisatorische Umsetzung.

Haufe Online Redaktion: Wie können Ausbilder und Führungskräfte die Jugendlichen beim Erlangen dieser Kompetenzen am besten unterstützen?

Picot: Um neben den inhaltlich-fachlichen Fähigkeiten auch eine Offenheit gegenüber neuartigen Arbeitsformen und Arbeitsmodellen zu vermitteln, müssen sie Anreizsysteme, Führungskompetenzen und Führungsmodelle ändern – beispielsweise hin zu einer ergebnisorientierteren und konsensualen Führung sowie mehr Coaching. Darüber hinaus sollten die Ausbilder – vielleicht in der Schule schon – vermitteln, wie die Digitalisierung gegenwärtig Wirtschaft, Arbeit und Gesellschaft verändert. Zudem sollten sie den Jugendlichen die Möglichkeit geben, ihre privaten Vorlieben bei digitalen Medien ins berufliche Umfeld umzusetzen. Ein Beispiel ist der Einsatz sozialer Medien in den Betrieben an Stelle von E-Mails, welche die Jugendlichen eher ungern nutzen. Oft lohnt sich zur Inspiration der Blick ins Ausland: In Südkorea beispielsweise arbeiten die Schüler von Anfang an mit digitalen Geräten und gewinnen und auf diese Weise eine selbstverständliche Medienkompetenz.

Haufe Online Redaktion: Was müssen Ausbildungskonzepte und Curricula künftig bieten, um mit der Digitalisierung Schritt halten können?

Picot: Curricula müssen insbesondere die Kompetenzfelder technologische Kompetenzen, persönliche Kompetenzen, den Umgang mit Daten und Fachwissen möglichst integriert abdecken. Um Veränderungen in Tätigkeitsprofilen schneller abbilden zu können, müssen Ausbildungskonzepte und Curricula zudem deutlich flexibler gestaltbar werden. Des Weiteren wird es entscheidend sein, die Möglichkeit des lebenslangen Lernens verstärkt in Ausbildungskonzepte zu integrieren. Ferner sollten die Schüler und Auszubildende vermehrt Projekte unter Anleitung selbständig durchführen, in denen sie erfahren und Lösungsbeiträge dafür liefern, wie Digitalisierung und neue Methoden eingesetzt werden können.

Haufe Online Redaktion: Wie kann das in der Praxis aussehen?

Picot: Lehrlinge in der intelligenten Fabrik bei Infineon in Dresden lernen zum Beispiel von Anfang an durch Roboter gesteuerte Prozesse; ähnlich werden Auszubildende bei BMW, Siemens oder Volkswagen sehr früh mit automatisierten Produktionsstraßen vertraut gemacht. Aber auch kleine Ingenieurs- oder Internetunternehmen setzen Auszubildende oftmals sehr frühzeitig bei  Betrieb und Gestaltung digitaler Systeme ein, weil diese jungen Leute einen selbstverständlichen Umgang mit neuen Medien gewohnt sind, und daher nicht nur rasch die digitale Arbeitswelt kennen lernen, sondern sich  auch zügig nützlich einbringen können.

Das Interview führte Andrea Sattler, Redaktion Personal.

Arnold Picot ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Mehr zum Thema "Digitalisierung" lesen Sie im Beitrag "Auf Vier geht's los" in Ausgabe 12/2014 des Personalmagazins.

Darüber hinaus finden Sie in der Personalmagazin-App zu Ausgabe 12/2014 zwei Videos zum Thema "Industrie 4.0": Bundeskanzlerin Merkel nimmt zu den Folgen Stellung, und die Firma Wittenstein zeigt ihren Produktionsablauf 4.0 auf.

Schlagworte zum Thema:  Ausbildung, Digitalisierung