1 (Nicht)Abhilfe durch die erlassende Behörde

 

Rz. 1

Die erlassende Behörde, bei der der Widerspruch eingereicht worden ist, muss zunächst prüfen, ob einem Widerspruch abzuhelfen, d. h. die angefochtene Entscheidung zugunsten des Widerspruchsführers zu ändern ist. Die Behörde muss abhelfen, wenn der Widerspruch ganz oder teilweise begründet ist. Die Abhilfe erfolgt durch einen Verwaltungsakt. Wird in vollem Umfang abgeholfen, ist der Widerspruch damit erledigt. Im Abhilfebescheid ist nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X auch über die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu entscheiden (vgl. BSG, SozR 4-1300 § 63 Nr. 4). Ein betroffener Dritter kann gegen einen Abhilfebescheid, der den zunächst erlassenen Verwaltungsakt zu seinen Lasten ändert, Widerspruch einlegen (BSGE 17 S. 261, 264). Die Nichtabhilfe geschieht formlos, sie ist aber in den Akten zu vermerken, der Widerspruchsführer ist nicht notwendig zu unterrichten. Sind Ausgangs- und Widerspruchsbehörde nicht identisch, hat zunächst eine Überprüfung durch die Ausgangsbehörde zu erfolgen, die in eine Abhilfe- oder Nichtabhilfeentscheidung mündet. Der Widerspruchsbescheid leidet ansonsten unter einem Verfahrensmangel, der zu seiner Aufhebung führen kann. Die Ausgangsbehörde kann ebenso wie die Widerspruchsbehörde einen Verstoß gegen § 84 Abs. 1 durch eine Entscheidung in der Sache heilen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 85 Rn. 2c m. w. N.; a. A. Zeihe, § 84 Rn. 10b).

2 Zuständige Widerspruchsbehörde

 

Rz. 2

Wer zuständige Widerspruchsbehörde ist, richtet sich nach § 85 Abs. 2. Nach Nr. 1 entscheidet die nächsthöhere Behörde oder, wenn diese eine oberste Bundes- oder Landesbehörde ist, die Ausgangsbehörde. Die obersten Bundes- und Landesbehörden sollen dadurch weitgehend von Einzelfallentscheidungen entlastet werden (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 85 Rn. 3). Ist die Ausgangsbehörde selbst eine oberste Bundes- oder Landesbehörde, findet nach § 78 Abs. 1 Satz 2 überhaupt kein Vorverfahren statt. Nach § 219 können die Länder Abweichungen von § 85 Abs. 2 Nr. 1 zulassen.

 

Rz. 3

Nach Nr. 2 entscheidet in Angelegenheiten der Sozialversicherung die von der Vertreterversammlung in der Satzung bestimmte Stelle. Zu den Angelegenheiten der Sozialversicherung gehört die überwiegende Zahl der Streitigkeiten vor den Sozialgerichten, nämlich alle Streitigkeiten aus der gesetzlichen Kranken-, Renten-, Unfall- und Pflegeversicherung. Die Widerspruchsstelle muss dem Sozialversicherungsträger angegliedert sein, die Bildung gemeinsamer Widerspruchsstellen für mehrere Versicherungsträger ist nicht zulässig (vgl. BSGE 24 S. 134, 136). Die Vertreterversammlung kann durch Satzung bestimmen, dass ein Ausschuss oder einzelne Angestellte wie z. B. ein Vorstandsmitglied über den Widerspruch entscheiden, § 36a SGB IV.

 

Rz. 4

Im Vertragsarztrecht kann als Widerspruchsstelle bei Streitigkeiten zwischen Vertragsärzten und ihren Vereinigungen der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung bestimmt werden (vgl. BSGE 8 S. 256). In Zulassungsstreitigkeiten gilt als Vorverfahren das Verfahren vor dem Berufungsausschuss, § 97 Abs. 3 Satz 2 SGB V. Dabei handelt es sich aber nicht um ein Widerspruchsverfahren, sondern um ein eigenständiges Verfahren in einer zweiten Verwaltungsinstanz (vgl. BSG, SozR 3-2500 § 96 Nr. 1; BSG, SozR 3-5520 § 44 Nr. 1). Das gilt auch für Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung vor dem Beschwerdeausschuss, § 106 Abs. 5 Satz 6 SGB V (vgl. BSGE 74 S. 59, 61).

 

Rz. 5

Nach Nr. 3 entscheidet in Angelegenheiten der Bundesagentur für Arbeit mit Ausnahme der Angelegenheiten nach dem SGB II die von dem Vorstand bestimmte Stelle. Danach ist Widerspruchsstelle der Leiter der Dienststelle, die den Verwaltungsakt erlassen hat, i. d. R. ist das die Agentur für Arbeit auf der örtlichen Verwaltungsebene. Ist die Entscheidung durch einen Ausschuss erlassen, ist dieser Widerspruchsstelle (Beschluss des Verwaltungsrats v. 24.7.2004, ANBA 04 S. 1159). Zu den Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit zählen nicht nur die Aufgaben nach dem SGB III, sondern auch die übrigen Aufgaben des § 51 Abs. 1 Nr. 4. Für Aufgaben nach dem SGB IX errichtet die Bundesagentur einen besonderen Widerspruchsausschuss, § 120 SGB IX.

 

Rz. 6

Nach Nr. 4 entscheidet in Angelegenheiten der kommunalen Selbstverwaltung die Selbstverwaltungsbehörde, soweit nichts anderes bestimmt ist. Es handelt sich um eine Folgeänderung zur Einführung der Rechtswegzuständigkeit für die Sozialhilfe und das Asylbewerberleistungsgesetz in § 51 Abs. 1 Nr. 6a. Die Regelung stimmt wortgleich mit § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO überein.

 

Rz. 7

Für die Angelegenheiten der Grundsicherung modifiziert Abs. 2 Satz 2 die Grundregel des Satzes 1 Nr. 1 dahingehend, dass die Ausgangsbehörde selbst über den Widerspruch entscheidet. Das können nach § 6 Abs. 1 SGB II die Bundesagentur für Arbeit oder kreisfreie Städte und Kreise sein. Letztere können auf der Grundlage landesrechtlicher Bestimmungen Gemeinden oder Gemeindeverbände zur Durchführung ihrer Aufgaben hinzuziehen. In diesen Fällen erlassen die Kreise den Widerspruchsbescheid, § 6 Abs. 2 Satz 1 ...

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