PflVersG § 3 Nr. 9 S. 2 i.V.m. § 426 BGB; AKB § 7 I Abs. 1 S. 3 § V Abs. 1

Leitsatz

1. Wenn der Krafthaftpflichtversicherer im Rahmen seiner Deckungsversagung auf § 28 VVG Bezug nimmt, obwohl tatsächlich noch altes VVG gilt, wird die aktuelle und für den VN günstigere Vorschrift gleichwohl nicht Vertragsbestandteil.

2. Leistungsfreiheit des VR nach VVG a.F. tritt nach der sog. Relevanzrechtsprechung nur ein, wenn dem VN ein erhebliches Verschulden zur Last fällt.

3. An einem erheblichen Verschulden fehlt es, wenn dem VN nicht bewusst war, dass Beweissicherungsinteressen des VR durch das Entfernen vom Unfallort zumindest erschwert werden. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der VN am geschädigten Fahrzeug hinter der Windschutzscheibe einen in Plastikfolie eingeschlagenen Zettel befestigt, auf welchem sämtliche Kontaktdaten notiert wurden und über dem die Unfallsituation fotografisch festgehalten wurde.

LG Hamburg, Urt. v. 18.7.2011 – 331 S 71/10

Sachverhalt

Die Bekl. verursachte am 16.11.2008 als Pkw-Fahrerin einen Verkehrsunfall. Zwischen 21.30 und 22.00 Uhr prallte sie mit dem von ihr gelenkten Fahrzeug bei einem Wendemanöver gegen die linke Seite des am rechten Fahrbahnrand abgestellten Pkw der Geschädigten. Die Bekl. befestigte einen in Plastik eingeschlagenen Zettel an der Windschutzscheibe des Fahrzeugs, auf welchem sie ihren Namen, ihre Telefonnummer und ihr Autokennzeichen notiert hatte. Darüber hinaus hielt sie die Unfallsituation, d.h. die Stellung der Fahrzeuge, fotografisch fest. Sodann entfernte sie sich. Die Geschädigte fand am nächsten Tag, gegen 10.30 Uhr, den Zettel an ihrer Windschutzscheibe vor und verständigte die Polizei.

Die Kl., bei der das von der Bekl. gelenkte Fahrzeug seit dem Jahre 1999 haftpflichtversichert ist, hat den Schaden am Pkw der Geschädigten i.H.v. insg. 2.014,75 EUR reguliert. Diesen Betrag machte sie mit Schreiben v. 18.6.2009 gegenüber der Bekl. geltend. In ihrer Deckungsschutzversagung bezog sie sich fälschlicherweise auf § 28 VVG.

2 Aus den Gründen:

"… Der Kl. steht gegen die Bekl. kein Regressanspruch gem. § 3 Nr. 9 S. 2 PflVersG i.V.m. § 426 BGB zu."

Die Bekl. hat jedenfalls nicht vorsätzlich gegen die Aufklärungsobliegenheit aus § 7 Abs. 1 Nr. 2 AKB verstoßen.

Zwar ist die in dieser Klausel erkennbar weit gefasste Aufklärungsobliegenheit stets verletzt, wenn der Versicherte den objektiven und subjektiven Tatbestand einer Unfallflucht i.S.v. § 142 BGB verwirklicht hat. Die Bekl. hat vorliegend den objektiven Tatbestand des § 142 StGB verwirklicht, indem sie sich nach dem von ihr verschuldeten Unfall vom Unfallort entfernte, bevor sie zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und Geschädigten Feststellungen zu ihrer Person, ihrem Fahrzeug und der Art ihrer Beteiligung ermöglicht hat. Vorliegend ist indes der subjektive Tatbestand des § 142 StGB nicht erfüllt. Unstreitig hat die Bekl. an dem geschädigten Fahrzeug hinter der Windschutzscheibe einen in Plastikfolie eingeschlagenen Zettel befestigt, auf welchem sie ihren Namen, ihre Telefonnummer und ihr Autokennzeichen notiert hatte. Die Bekl. hat in der mündlichen Verhandlung v. 11.7.2011 weiter dargelegt, dass ihr Ehemann mit einem Fotoapparat die Unfallsituation festgehalten hat und sie sich ebenfalls die Autonummer der Geschädigten notiert hatte. Die Bekl. hat weiter bekundet, dass sie jedenfalls dann, wenn die Geschädigte sich nicht gemeldet hätte, sie sich am nächsten Tag bei der Polizei gemeldet hätte. Aufgrund des Eindrucks, den das Gericht von der Bekl. in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, geht das Gericht nicht davon aus, dass die Bekl. aus Eigeninteresse die Unwahrheit gesagt hat. Die Aussage der Bekl. war ruhig und bestimmt. Widersprüche waren nicht vorhanden. Ein bedingter Vorsatz würde aber voraussetzen, dass der Bekl. bewusst war, dass das Beweissicherungsinteresse durch das Entfernen vom Unfallort zumindest erschwert wird. Aufgrund der Aussage der Bekl. geht das Gericht nicht davon aus, dass diese in Kauf genommen hat, dass durch das Entfernen vom Unfallort Feststellungen erschwert würden. Im Gegensatz zu anderen Entscheidungen hat die Kl. vorliegend den am Fahrzeug angebrachten Zettel mit einer Folie befestigt, so dass sie davon ausgehen konnte, dass dieser Zettel nicht etwa weggeweht werden kann. Zusätzlich hat sie die Stellung der Fahrzeuge fotografisch festgehalten. Weitere Feststellungen hätten auch Polizeibeamte am Unfallort nicht treffen können. Aus genannten Gründen liegt eine Verletzung der Aufklärungspflicht gem. § 7 Abs. 1 AKB nicht vor.“

3 Anmerkung:

Die Entscheidung des LG beinhaltet zwei interessante Aspekte:

Zum einen hat auch die Berufungsinstanz es für unbeachtlich gehalten, dass der klagende VR bei seiner Deckungsschutzversagung fälschlicherweise auf das für den VN günstigere VVG 2008 Bezug genommen hat. Das LG hat sich nicht der Auffassung der Bekl. angeschlossen, dass durch eine fehlerhafte Bezugnahme auf für den VN günstigere Vorschriften der den Deckungsschutz versagende VR ebenso einen Vertrauenstatbestand schafft, als hätte er ...

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