1 Leitsatz

Wann eine bauliche Veränderung eine Wohnanlage grundlegend umgestaltet, ist gesetzlich nicht definiert. Diese Frage ist im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände zu entscheiden. Bezugspunkt sei die Anlage als Ganzes. Eine grundlegende Umgestaltung wird deshalb nur im Ausnahmefall und bei den nach § 20 Abs. 2 WEG privilegierten Maßnahmen zumindest typischerweise gar nicht anzunehmen sein.

2 Normenkette

§ 20 Abs. 1, Abs. 4 WEG

3 Das Problem

Die Wohnungseigentümer gestatten Wohnungseigentümer Z, anstelle eines Balkons eine Terrasse zu errichten, ein Doppelfenster durch eine verschließbare Tür zu ersetzen und eine Rollstuhlrampe zu erstellen.

Gegen diesen Beschluss geht Wohnungseigentümer K vor. Das AG erklärt den Beschluss für ungültig. Selbst wenn ein behindertengerechter Zugang nicht durch das Treppenhaus, sondern nur über die Gartenseite herstellbar wäre, so sei ein Zugang auch dadurch herstellbar, dass eine Rampe oder ein Lift vom Gartenbereich auf den Balkon errichtet werde. Die Aufschüttung einer Terrasse stelle eine Erhöhung des Wohnwertes dar. Von der umfangreichen Maßnahme gingen erhebliche Beeinträchtigungen der übrigen Eigentümer in Bezug auf die einheitliche Optik und Funktion der Anlage aus, die in keinem angemessenen Verhältnis zu dem Nutzen stünden. Darüber hinaus sei der Beschluss in Teilbereichen nicht bestimmt genug. Zudem verstoße er gegen § 20 Abs. 4 WEG. Das Herausbrechen der Fensterfront nebst Einbau einer Türanlage mit einer auf einem Podest errichteten Terrasse und Zuwegung stelle eine erhebliche optische und funktionale Umgestaltung dar und gebe der Wohnungslage ein neues Gepräge bzw. neues Gesicht.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer mit ihrer Berufung. Die Gestaltung der Terrasse führe nicht zu einer grundlegenden Umgestaltung der Wohnungseigentumsanlage. Auch für eine unbillige Benachteiligung des K sei nichts vorgetragen.

4 Die Entscheidung

Die Berufung hat keinen Erfolg! Der Beschluss würde zu einer grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage führen. Wann eine bauliche Veränderung eine Wohnanlage grundlegend umgestalte, sei gesetzlich allerdings nicht definiert. Diese Frage sei im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände zu entscheiden. Bezugspunkt sei die Anlage als Ganzes. Eine grundlegende Umgestaltung werde deshalb nur im Ausnahmefall und bei den nach § 20 Abs. 2 WEG privilegierten Maßnahmen zumindest typischerweise gar nicht anzunehmen sein. In der Literatur werde als Beispiel für eine grundlegende Umgestaltung beispielsweise die Umwandlung eines parkartigen Gartens einer Wohnanlage in eine asphaltierte Parkplatzfläche benannt, wohingegen die Errichtung eines Aufzugsturms oder einer Photovoltaikanlage ebenso wenig ausreichend sein sollen wie der Anbau von Balkonen. In der Rechtsprechung sei eine grundlegende Umgestaltung verneint worden bei Abbruch nicht genutzter Schornsteine und Kaminzüge (Hinweis auf AG Hamburg, Urteil v. 10.5.2022, 9 C 277/21), dem Ausbau eines bisherigen Dachbereichs zur Dachterrasse (Hinweis auf AG Saarbrücken, Urteil v. 9.3.2022, 36 C 292/21), der Installation eines Rauchabzugs (Hinweis auf AG Hannover, Urteil v. 9.3.2021, 482 C 8604/21), der Beseitigung eines Sichtschutzelements zwischen 2 Balkonabschnitten (Hinweis auf AG Bonn, Urteil v. 4.5.2022, 211 C 38/21) und bei dem Bau eines Außenaufzugs an das Hinterhaus eines Jugendstilgebäudes (Hinweis auf LG München I, Urteil v. 24.11.2022, 36 S 3944/22 WEG).

Unter Berücksichtigung der vorgenannten Gesichtspunkte und ausgehend von einem objektiven Vorher-Nachher-Vergleich sei im Fall eine grundlegende Umgestaltung gegeben. Die Maßnahme sei zwar nicht mit der Errichtung eines Parkplatzes auf einer Gartenfläche zu vergleichen, verändere aber den Charakter der Wohnanlage als Ganzes erheblich. Die Maßnahme verändere nicht nur die einheitlich und symmetrisch über beide Geschosse gestaltete rückwärtige Fassade des Objekts, die für das Aussehen der Wohnanlage im rückwärtigen Bereich prägend sei. Vielmehr würde durch einen Umbau, wie er gestattet worden sei, die charakteristische Gestaltung der Wohnanlage erheblich beeinträchtigt werden.

Die Beklagte könne sich auch nicht auf § 20 Abs. 2 WEG und dessen Wertungen berufen. Denn die Terrasse könne nicht als privilegierte Maßnahme i. S. v. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG angesehen werden, obwohl dadurch ein barrierefreier Zugang geschaffen werde. Denn die Terrasse sei zur Herstellung eines barrierefreien Zugangs zur Wohnung weder erforderlich noch angemessen.

5 Hinweis

Problemüberblick

Im Fall geht es darum, durch eine bauliche Veränderung für eine Wohnung einen barrierefreien Zugang über die Terrasse zu schaffen. Das LG meint unter Heranziehung der üblichen Definitionen und zutreffender Maßgaben, es liege insoweit eine grundlegende Umgestaltung vor. Ob es so ist, ist eine Frage des Einzelfalls und der konkreten Umstände vor Ort. Abstrakt lässt sich insoweit nur darauf hinweisen, dass eine grundlegende Umgestaltung nur im Ausnahmefall und bei den nach § 20 Abs. 2 WEG privilegierten Maß...

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