Ab dem 1.1.2024 gilt derjenige als bedürftig, dem ein geringeres Einkommen als 20,00 EUR im Monat, gemessen an der obigen Berechnungsmethode, verbleibt. Zwar erscheint es legitim, die Freibeträge anzupassen, denn der starke Anstieg der Regelsätze bei Sozialhilfe und Bürgergeld um rund 12 % wirkt sich nach § 115 ZPO auch auf die Freibeträge bei PKH und damit auch auf die Beratungshilfe aus. Nachdem aber bereits vor einem Jahr – zum 1.1.2023 – die Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 des SGB XII[2] geändert und der Bereich des sog. Schonvermögens deutlich erhöht wurde, stellt sich die Frage: Welche Mandate können noch "normal" abgerechnet werden? Der Begriff der "kleineren Barbeträge" wurde zum 1.1.2023 massiv erhöht. Gem. § 115 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 90 SGB XII hat der Rechtsuchende zur Bestreitung anfallender Rechtsanwalts- bzw. Gerichtskosten neben seinem Einkommen sein gesamtes Vermögen einzusetzen. Vorhandenes Vermögen kann jedoch nur dann eingesetzt werden, soweit dieses durch Veräußerung, Belastung oder Beleihung oder auf andere Weise in flüssige Geldmittel umgesetzt werden kann. Was als Vermögen zu betrachten ist, wird durch die Verweisung auf § 90 SGB XII deutlich. Eine eigene Definition in § 115 ZPO hat der Gesetzgeber nicht getroffen. Gem. § 115 Abs. 3 ZPO ist § 90 SGB XII entsprechend anzuwenden. Die Prüfung des Begriffs "Vermögen" erfolgt daher anhand der sozialrechtlichen Vorschriften. Der Rechtspfleger ist im Beratungshilfeverfahren aber nicht zwingend an die sozialrechtliche Auslegung der Begriffe gebunden.[3] Angesichts der jüngsten Änderung der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 des SGB XII erscheint ein Abweichen von diesen Normen auch in Anbetracht der Konzeption des BerHG angebracht. Die Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 des SGB XII listet nunmehr einen "kleineren Barbetrag" von 10.000,00 EUR als Schonvermögen aus. Folglich kann ein Sparguthaben bereits bis 10.000,00 EUR dazu führen, dass man immer noch "mittellos" i.S.d. PKH und der Beratungshilfe gilt. Mit der Anpassung der Freibeträge zum 1.1.2024 muss man sich aber nun ernsthaft die Frage stellen, welche Mandate noch lukrativ und "herkömmlich" abgerechnet werden können.

44.407,00 EUR verdienen deutsche Arbeitnehmer pro Jahr im Median – das hat das Jobportal Stepstone für 2023 ermittelt.[4] Ein Großteil der Bevölkerung wird also darunter liegen. Geht man nun davon aus, dass ein Vermögen von 10.000,00 EUR bei der Berechnung der Bedürftigkeit außen vor bleibt, und nun deutlich gestiegene Freibeträge gelten, dürfte für die Anwaltschaft klarwerden: Ein Großteil dieses Bevölkerungsanteils könnte als potentielle Kunden wegfallen, dafür aber in den Genuss der Beratungshilfe kommen. Dies mag unter dem Blickwinkel einer sozialen Lupe für die Bürgerinnen und Bürger toll sein. Für die Anwaltschaft gehen dabei jedoch wichtige Aufträge verloren.

Bereits in AGS 2023, 296, 299 wurde folgendes Berechnungsbeispiel aufgestellt:

 

Beispiel

Der Rechtsuchende R möchte sich in einem Nachbarschaftsstreit anwaltlich beraten und vertreten lassen. Wir gehen von einem relativ niedrigen Streitwert von 2.000,00 EUR aus.

Die Verdienstmöglichkeiten eines Rechtsanwaltes, der außergerichtlich ohne Inanspruchnahme von Beratungshilfe aufgesucht wird, betragen:

 
1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV 215,80 EUR
(Wert: 2.000,00 EUR)  
Auslagen, Nr. 7002 VV 20,00 EUR
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV 44,80 EUR
Gesamt 280,60 EUR

Die Gebühren in der Beratungshilfe betragen hingegen:

 
Geschäftsgebühr, Nr. 2503 VV 93,50 EUR
Auslagen, Nr. 7002 VV 18,70 EUR
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV 21,32 EUR
Gesamt 133,52 EUR

Das damalige Beispiel zeigt, dass der Anwalt durch die Beratungshilfe bereits bei geringen Streitwerten weniger verdient. Würde er hingegen normal (d.h. ohne Inanspruchnahme der Beratungshilfe) abrechnen können, wäre dies nicht nur ein Gewinn für ihn – auch der "Notgroschen" des rechtsuchenden Bürgers würde bei anwaltlichen Kosten von 280,60 EUR nicht ernsthaft angegriffen werden und den Charakter eines Notgroschens verlieren.[5] Das damalige Beispiel hat nicht an Aktualität verloren. Tatsächlich werden durch die Freibeträge immer mehr Bürgerinnen und Bürger und den Genuss der Beratungshilfe kommen.

Ein Antragsteller mit einem Netto-Gehalt von 2.000,00 EUR – immerhin mehr, als z.B. ein studierter Rechtspfleger nach der Ausbildung verdient – wird in der Allgemeinheit noch als zumindest auskömmlich verdienend angesehen. Gleichwohl wird ein solcher Bürger zukünftig keine Sorgen mehr haben, um anwaltlichen Rat nachsuchen zu müssen, insbesondere, wenn Unterhaltsverpflichtungen bestehen. Vom Einkommen sind sodann also i.d.R. (stark vereinfacht ausgedrückt) Miete, sonstige berücksichtigungsfähige Posten sowie dann die sog. PKH-Freibeträge abzuziehen. Arbeitet der Rechtsuchende, so ist ein entsprechender Mehrbetrag zu berücksichtigen, § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1b ZPO. Hier erfolgt für Erwerbstätige über die notwendigen berufsbedingten Aufwendungen (§ 82 A...

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