A. Allgemeines

 

Rz. 1

Eine einmal erteilte Vollmacht ist gem. § 168 S. 2 BGB grundsätzlich frei widerruflich, und zwar unabhängig vom Bestand des Rechtsverhältnisses, aufgrund dessen sie erteilt worden ist. Nur soweit in diesem Rechtsverhältnis besondere Widerrufsvoraussetzungen oder -fristen vorgesehen sind, müssen diese beachtet werden.[1]

 

Rz. 2

Der Widerruf der Vollmacht kann nur ausnahmsweise vertraglich ausgeschlossen werden, wenn der Bevollmächtigte ein eigenes Interesse an der Vollmachtserteilung hatte und der Fortbestand eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung für ihn hat. Im Rahmen von Vorsorgevollmachten steht hingegen immer das Interesse des Vollmachtgebers im Vordergrund, so dass ein vertraglicher Ausschluss wegen Sittenwidrigkeit gem. § 138 BGB unwirksam wäre.[2] Da keines der marktgängigen Formulare die Unwiderruflichkeit vorsieht, sind solche gewagten Individualabreden stets ein Indiz für eine Missbrauchskonstellation. Ein schwacher Vollmachtgeber ist bereit, sich ohne Reißleine in Abhängigkeit zu begeben.[3] Auch einem stillschweigenden Ausschluss hat die Rechtsprechung[4] eine klare Absage erteilt, wenn überwiegende Interessen des Vollmachtgebers entgegenstehen.

 

Rz. 3

Sollte auch nur der entfernte Verdacht bestehen, dass der Bevollmächtigte von seiner Verfügungsmacht nicht im Sinne des Vollmachtgebers bzw. seinen Erben Gebrauch macht, ist die Vollmacht unverzüglich zu widerrufen.

 

Rz. 4

Zur Vermeidung irreversibler Vermögensschäden ist nicht nur ein schnelles, sondern auch ein genaues Vorgehen erforderlich. Der Rechtsanwalt, der hiermit beauftragt ist, trägt hier eine hohe und haftungsträchtige Verantwortung.

 

Rz. 5

 

Hinweis

Der mit dem Widerruf einer Vollmacht beauftragte Rechtsanwalt hat nicht zuletzt auf seine eigene ordnungsgemäße, also schriftliche Bevollmächtigung zu achten. Die anscheinend unausrottbare Unsitte, sich "unter anwaltlicher Versicherung ordnungsgemäßer Bevollmächtigung" für den Mandanten zu bestellen, verhindert bei Zurückweisung wegen fehlender Vollmachtsurkunde nach § 174 S. 1 BGB einen wirksamen Widerruf. Der Rechtsanwalt gerät gegenüber seinem Mandanten nicht nur in Erklärungsnot, sondern auch in die Haftung, wenn der so gewarnte Bevollmächtigte noch schnell Verfügungen zu seinen Gunsten trifft bevor ihn der ordnungsgemäße Widerruf erreicht.

 

Rz. 6

Neben der Anleitung zum ordnungsgemäßen Widerruf für Vollmachtgeber soll dieses Kapitel auch Vertretern von Bevollmächtigten dienen, die die Wirksamkeit und Konsequenzen eines erklärten Widerrufs zu beurteilen haben.

[1] Zimmermann, S. 135.
[2] Grüneberg/Ellenberger, § 168 Rn 6.
[3] Verbreitet sind hingegen Formulierungen, wonach die Einrichtung einer Kontrollbetreuung in jedem Fall zu unterlassen sei. Eine solche Anordnung ist im Kern nicht haltbar, aber zeugt von einem sehr großen Vertrauen in den Bevollmächtigten.
[4] BGH NJW-RR 1991, 441.

B. Zum Widerruf berechtigter Personenkreis

 

Rz. 7

Der mit dem Widerruf einer Vorsorgevollmacht beauftragte Rechtsanwalt muss zunächst prüfen, wer hierzu berechtigt ist.

I. Vollmachtgeber

 

Rz. 8

In erster Linie ist selbstverständlich der Vollmachtgeber zum Widerruf der Vollmacht berechtigt, wenn er mit dem Bevollmächtigten nicht mehr zufrieden ist.

Dieser Fall ist in der anwaltlichen Praxis selten, weil sich der geistig rege Vollmachtgeber regelmäßig auch ohne anwaltlichen Beistand zu helfen weiß.

Problematisch sind die häufigeren Fälle, in denen der Vollmachtgeber nicht mehr geschäftsfähig ist bzw. erhebliche Zweifel an seiner Geschäftsfähigkeit bestehen.

Die Initiative zum Widerruf der Vollmacht geht dann oft von Angehörigen aus, die meinen, man müsse nun dringend etwas unternehmen.

 

Rz. 9

 

Hinweis

Bei eigenen Zweifeln an der Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers darf der Rechtsanwalt zwar gutgläubig sein und zügig den Widerruf erklären. Er sollte aber gleichzeitig anregen, zeitnah ein psychiatrisches Attest über die geistige Verfassung beizubringen, mit dem die Geschäftsfähigkeit notfalls bewiesen werden kann.[5]

 

Rz. 10

Da der Widerruf eine einseitige Willenserklärung ist, kann ein nicht geschäftsfähiger Vollmachtgeber keinen Widerruf erklären. Dann wäre ein Betreuungsverfahren zur Bestellung eines Kontrollbetreuers auf den Weg zu bringen.

[5] Die zeitnahe gerichtliche Beweissicherung dürfte schwierig sein, da für eine Feststellungsklage möglicherweise das Feststellungsinteresse fehlt, vgl. OLG Koblenz FamRZ 2003, 542.

II. (Kontroll-)Betreuer

 

Rz. 11

Sofern für den Vollmachtgeber eine Betreuung[6] mit dem Aufgabenkreis der Vermögenssorge angeordnet wurde, ist der Betreuer gem. § 1823 BGB zur gerichtlichen und außergerichtlichen Vertretung berechtigt. Der Widerruf erteilter Vollmachten gehört in diesem Zusammenhang zu den ersten Amtshandlungen des Betreuers. Nur, wenn kein Dritter mehr über das Vermögen des Betreuten verfügen kann, ist die Sicherheit des Vermögens gewährleistet.

 

Rz. 12

Ist hingegen eine umfassende Vorsorgevollmacht erteilt, entfällt damit gem. § 1814 Abs. 3 Ziff. 1. BGB regelmäßig das Bedürfnis nach Einrichtung einer Betreuung. Bei offenkundigem oder vermutetem Missbrauch der Vorsorgevollmac...

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