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BFH Urteil vom 10.07.1953 - III 139/52 S

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewertung, Vermögen-, Erbschaft-, Schenkungsteuer, Verfahrensrecht, Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

1) Die Fortschreibung des Einheitswertes eines Grundstücks wegen Kriegszerstörung kann bei überschreiten der Wertgrenzen des § 4 Abs. 2 des Fortschreibungsgesetzes mit der Fortschreibung aus anderen Gründen verbunden werden.

2) Soll ein Bewertungsfehler des zuletzt festgestellten Einheitswerts für die Berechnung des Bodenwertanteils (ß 2 des Fortschreibungsgesetzes) durch Wertfortschreibung zwecks Fehlerberichtigung beseitigt werden so ist für die Bemessung der Wertabweichung der zuletzt festgestellte (fehlerhafte) Einheitswert mit dem richtigen Einheitswert zu vergleichen.

3) Hat das Finanzamt bei Feststellung des Einheitswerts eines bebauten Grundstücks auf den 1. Januar 1937 die Prüfung unterlassen, ob Mindestbewertung nach § 52 Abs. 2 BewG vorzunehmen ist, so kann es nicht geltend machen, daß die auf Grund späterer Ermittlungen gewonnene Kenntnis des Bodenwerts eine neue Tatsache im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO darstelle.

BewG § 52 Abs. 2; Fortschreibungsgesetz vom 10. März 1949 (WiGBl. S. 25) §§ 2, 4; AO § 222 Abs.

 

Normenkette

BewG § 52 Abs. 2, § 77; FortschrG Abs. 2; FortschrG § 4; AO § 222 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Streitig ist die Fortschreibung des Einheitswerts für das kriegszerstörte Geschäftsgrundstück der Beschwerdeführerin (Bfin.) auf den 21. Juni 1948. Der auf den letzten vorangegangenen Feststellungszeitpunkt, den 1. Januar 1937, festgestellte Einheitswert des Grundstücks betrug 279.400 RM. Auf den 21. Juni 1948 ermittelte das Finanzamt einen Einheitswert von 195.700 DM auf folgender Grundlage:

A. Gebäudeversicherungswert ----------------------- 230.000 DM B. Gemeiner Wert des Grund und Bodens ------------- 331.600 DM C. Realwert --------------------------------------- 561.600 DM D. Einheitswert auf den 1. Januar 1937 -- 279.400 DM, jedoch nach Berichtigung ----------- 331.600 DM --------------------------------------------------- (Mindestwert) -- Bodenwertanteil im Einheitswert (B x D) : C ----- 195.790 DM -- Neuer Einheitswert ----------------------------- 195.700 DM. Als Grund für die Berichtigung gab das Finanzamt an, daß bei der Einheitsbewertung 1937 die Mindestwertvorschrift des § 52 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) versehentlich nicht angewandt worden sei. Die Einheitswerte der Geschäftsgrundstücke seien nach den vom Katasteramt geschätzten Kapitalwerten festgestellt worden, die die Ausgangswerte für die Ermittlung des gemeinen Wertes gebildet hätten. Die Einheitswerte seien nach Einreihung der Ausgangswerte in Wertklassen und unter Anwendung tabellenmäßig aufgestellter Hundertsätze gefunden worden. Im Streitfall habe der Kapitalwert 550.000 RM, der Tabellensatz 50,8 V. H. und danach der Einheitswert 279.400 RM betragen. Bei dem hohen Kapitalwert des Grundstücks habe kein Anlaß zu besonderer Prüfung nach der Richtung hin bestanden, ob etwa der gemeine Wert des Grund und Bodens für sich allein höher sei als der für Grund und Boden nebst darauf stehendem Gebäude ermittelte Einheitswert. Dies sei erst bei Bearbeitung des Fortschreibungsantrages erkannt worden, als die Einzelwerte für Grund und Boden sowie Gebäude festgestellt bzw. vom Schätzungsamt erfragt wurden. Die Bfin. bekämpft die vom Finanzamt vorgenommene Wertfortschreibung. Ausgangspunkt für die Wertfortschreibung wegen Kriegsschäden sei der zuletzt festgestellte Einheitswert, hier der Einheitswert auf den 1. Januar 1937, für das Grundstück mit unzerstörtem Gebäude. Eine änderung dieses Ausgangswerts könne bei Fortschreibung des Einheitswerts wegen Kriegssachschadens nicht vorgenommen werden. Höchstens käme in Frage, ob der Einheitswert auf den letzten vorangegangenen Feststellungszeitpunkt unabhängig von den §§ 1, 2 des Fortschreibungsgesetzes nach § 4 Abs. 1, 2 des Fortschreibungsgesetzes fortgeschrieben werden könne, sofern die Wertgrenzen für eine solche Fortschreibung erreicht seien. Die Voraussetzung, Abweichung des neuen Einheitswerts von dem bisher geltenden, um mehr als 1/5 sei jedoch im Streitfall nicht gegeben:

Zuletzt festgestellter Einheitswert ------------- 279.400 RM + 20 v. H. --------------------------------------- 55.880 RM zusammen ------------------------------------------- 335.280 RM Diese Wertgrenze werde durch den vom Finanzamt angenommenen Mindestwert von 331.600 RM nicht erreicht.

Die Auffassung des Finanzamts, daß der neu ermittelte Einheitswert auf den 21. Juni 1948 von 195.700 DM mit dem bisherigen Einheitswert von 279.400 RM verglichen werden müsse, wobei sich eine Abweichung von mehr als 1/5 ergebe, sei falsch. Sie stelle eine unzulässige Verquickung der Fortschreibung des unzerstörten Grundbesitzes mit der Fortschreibung des kriegsbeschädigten oder kriegszerstörten Grundbesitzes dar. Die Wertfortschreibung auf den 21. Juni 1948 müsse daher von dem alten Einheitswert von 279.400 RM ausgehen und aus diesem Einheitswert der Bodenwertanteil gemäß den Vorschriften des Fortschreibungsgesetzes ermittelt werden.

Demgegenüber vertritt das Finanzamt die Rechtsansicht, § 2 Abs. 2 des Fortschreibungsgesetzes bestimme nicht, daß der zuletzt festgestellte Einheitswert auch dann, wenn er unrichtig sei, der Ermittlung des Bodenwertanteils zugrunde gelegt werden müsse. Für die Frage, ob die Wertgrenzen einer Wertfortschreibung erreicht seien, komme es nur auf den Vergleich des früheren Einheitswerts und des sich unter Berücksichtigung aller Umstände ergebenden neuen Einheitswerts an.

Das Finanzgericht hat die Berufung als unbegründet zurückgewiesen. Es ist der Auffassung, daß "letzter Einheitswert" im Sinne des § 2 des Fortschreibungsgesetzes nur ein vor dem 21. Juni 1948 festgestellter Einheitswert sei, und mit der Wertfortschreibung auf den 21. Juni 1948 eine Berichtigungsfortschreibung des alten Einheitswerts nicht verbunden werden könne. Abschnitt II des Fortschreibungsgesetzes sei nur in Fällen anwendbar, in denen es sich nicht um kriegszerstörte oder kriegsbeschädigte Grundstücke handele. In jedem Falle scheitere eine berichtigende Fortschreibung des zuletzt festgestellten Einheitswerts, sei es auf den 21. Juni 1948, sei es auf einen früheren Zeitpunkt, daran, daß die Abweichung zwischen dem zuletzt festgestellten und dem berichtigten Wert weniger als 1/5 betrage. Es bleibe nur noch zu prüfen, ob eine Berichtigung auf Grund anderer Bestimmungen vorgenommen werden könne. § 92 Abs. 3 der Reichsabgabenordnung (AO) komme nicht zum Zuge. Es handele sich bei Außerachtlassung des § 52 Abs. 2 BewG nicht um das Versehen eines einzelnen Bezirksbearbeiters, sondern um eine mehr oder minder allgemeine Unterlassung des Finanzamts bei der damaligen Bewertung. Hingegen biete § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO eine Handhabe zur Vornahme der Berichtigung des alten Einheitswerts. Entgegen der Ansicht der Bfin., daß das Finanzamt bei der Einheitsbewertung 1937 seine Ermittlungspflicht verletzt habe, weil es auf den gemeinen Wert des Grund und Bodens nicht eingegangen sei, und daß die nachherige Erlangung der Kenntnis des gemeinen Wertes keine neue Tatsache darstelle, müsse die Berichtigung auf Grund von Treu und Glauben zugelassen werden. Eine neue Tatsache sei jedenfalls gegeben, da der gemeine Wert des Grund und Bodens dem Finanzamt bei der damaligen Einheitsbewertung noch nicht bekannt gewesen, sondern erst im Zuge der Wertfortschreibung auf den 21. Juni 1948 bekannt geworden sei.

In der Rechtsbeschwerde (Rb.) wird bestritten, daß die Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO vorliegen. Nach Ansicht des Finanzamts bedarf es der Heranziehung des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 a. a. O. zur Begründung der Berichtigung des alten Einheitswerts nicht, da die Fehlerberichtigung bei der Wertfortschreibung auf den 21. Juni 1948 zulässig gewesen sei. Im übrigen seien auch die Einwendungen der Bfin. gegen die Anwendung des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 a. a. O. nicht begründet.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

Gemäß § 2 Abs. 1 des Fortschreibungsgesetzes vom 10. März 1949 (Gesetz- und Verordnungsblatt des Wirtschaftsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebietes S. 25) wird bei Grundstücken mit völlig zerstörten Gebäuden nur der Wert des Grund und Bodens angesetzt. Er errechnet sich nach dem Wertanteil, mit dem der Grund und Boden in dem zuletzt festgestellten Einheitswert des Grundbesitzes enthalten ist. Zuletzt festgestellter Einheitswert vor dem 21. Juni 1948 war im Streitfall der Einheitswert auf den 1. Januar 1937. Das Finanzgericht ist der Auffassung, daß "letzter Einheitswert" im Sinne des § 2 Abs. 2 a. a. O. nur ein vor dem 21. Juni 1948 festgestellter Einheitswert sein könne, und daß es unzulässig sei, mit der Wertfortschreibung auf den 21. Juni 1948 eine Berichtigungsfortschreibung des früheren Einheitswerts für das Grundstück mit dem unzerstörten Gebäude zu verbinden, da die Wertfortschreibung eines Grundstücks wegen Kriegsbeschädigung oder Kriegszerstörung (Abschnitt I des Fortschreibungsgesetzes) nicht mit einer solchen aus anderen Gründen (Abschnitt II a. a. O.) gekoppelt werden könne. Der Senat vermag diesen Ausführungen nicht beizutreten. Es ist nicht zutreffend, daß eine Wertfortschreibung gemäß dem Fortschreibungsgesetz nur wegen Kriegsschäden (Abschnitt I des Gesetzes) oder nur aus anderen Gründen (Abschnitt II) vor genommen werden könne. Falls die Wertgrenzen des § 4 Abs. 2 a. a. O. erreicht sind, kann mit der Wertfortschreibung wegen eines Kriegsschadens auch eine solche aus anderen Gründen erfolgen. Das Finanzgericht meint daß nur ein bereits vor dem 21. Juni 1948 festgestellter Einheitswert für § 2 Abs. 2 a. a. O. beachtlich sei. War der zuletzt festgestellte Einheitswert des unzerstörten Grundstücks fehlerhaft, so kann bei Erreichung der Wertgrenzen eine Wertfortschreibung desselben auf einen vor der Zerstörung des Gebäudes liegenden Feststellungszeitpunkt vorgenommen werden. Es ist nicht erforderlich, daß diese Berichtigungsfortschreibung vor dem 21. Juni 1948 vorgenommen sein muß. In jedem Falle ist aber für die Ermittlung des Ausmaßes der Wertabweichung der alte, fehlerhafte Einheitswert für das Grundstück in unbeschädigtem Zustande mit dem zu berichtigenden Einheitswert des unbeschädigten Grundstücks zu vergleichen. Nimmt man ein Grundstück mit unzerstört gebliebenem Gebäude an, bei dem bei der letzten Einheitsbewertung die Mindestbewertungsvorschrift außer acht gelassen ist, so wäre bei Prüfung der Frage, ob ob die Wertgrenzen des § 4 Abs. 2 des Fortschreibungsgesetzes für eine Wertfortschreibung auf den 21. Juni 1948 vorliegen, auf den Vergleich des alten mit dem neu festzustellenden Einheitswert abzustellen. Soll bei einem bebauten Grundstück, dessen Gebäude kriegszerstört ist, der alte Einheitswert für das Grundstück mit aufstehendem Gebäude als Bemessungsgrundlage für den maßgebenden Bodenwertanteil durch einen berichtigten Einheitswert für dasselbe Grundstück mit dem unbeschädigten Gebäude ersetzt werden, so müssen für die Bemessung der Wertgrenzen einer Wertfortschreibung diese beiden Einheitswerte verglichen werden. Es ist jedoch nicht richtig, den nach § 2 Abs. 2 des Fortschreibungsgesetzes auf Grund des berichtigten alten Einheitswerts errechneten Bodenwertanteil dem alten Einheitswert für das Grundstück mit unversehrtem Gebäude gegenüberzustellen und die Errechnung der Wertgrenzen darauf aufzubauen. Dies würde im Ergebnis zu einer Benachteiligung der Grundstücke mit kriegszerstörten Gebäuden gegenüber Grundstücken mit im Kriege unzerstört gebliebenen Gebäuden hinsichtlich der Fortschreibung des früheren Einheitswerts zwecks Fehlerberichtigung führen. Im Ergebnis ist also dem Finanzgericht hinsichtlich der Unzulässigkeit der Berichtigungsfortschreibung beizustimmen. Auch darin kann dem Finanzgericht unbedenklich gefolgt werden, daß die Unterlassung der Anwendung der Mindestvorschrift nicht nach § 92 Abs. 3 AO richtiggestellt werden kann. Dagegen ist das Finanzgericht der Ansicht, daß die Erlangung der Kenntnis des richtigen Bodenwerts eine neue Tatsache im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO für das Finanzamt darstelle, die zu einer Berichtigungsfeststellung des unrichtigen alten Einheitswerts führen könne. Nach Treu und Glauben sei die Berichtigung zuzulassen. Der Bearbeiter des Finanzamts habe bei der Einheitsbewertung 1937 keinen Grund zu der Annahme gehabt, daß der bloße Grund und Boden des mit einem stattlichen Gebäude bebauten Grundstücks der Bfin. einen höheren gemeinen Wert als den für das Grundstück mit Gebäude ermittelten Einheitswert haben könne. Die Fälle, in denen die Mindestbewertung in Frage kämen, seien Ausnahmefälle. Aus der Unterlassung der Prüfung, ob § 52 Abs. 2 BewG anwendbar sei, könne dem Finanzamt unter diesen Umständen kein Vorwurf gemacht werden. Dieser Auffassung kann der Senat nicht folgen. § 52 Abs. 2 BewG ist eine Mußvorschrift, deren Anwendung nicht in das Ermessen des Finanzamts gestellt ist. Unterläßt das Finanzamt eine Ermittlung des Wertes des Grund- und Bodens bei einer Einheitsbewertung eines bebauten Grundstücks, so kann es nicht geltend machen, daß die auf Grund späterer Ermittlungen gewonnene Kenntnis des Bodenwerts eine neue Tatsache darstelle. Im übrigen stellt das Finanzgericht fest, daß § 52 Abs. 2 BewG bei der damaligen Bewertung mehr oder minder allgemein nicht angewandt worden ist. Der Umstand, daß die Bfin. den Vorteil zu niedriger Bewertung ihres Grundstücks, den sie schon in den vorangegangenen Jahren seit 1937 genossen habe, nicht auch noch für die Zeit ab 21. Juni 1948 weiter genießen solle, vermag die Anwendung des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO allein nicht zu rechtfertigen. Die angefochtene Entscheidung war daher aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO ist im Streitfalle nicht anwendbar. Der Wert des Grund und Bodens berechnet sich nach dem Wertanteil, mit dem der Grund und Boden in dem zuletzt festgestellten Einheitswert von 279.400 RM enthalten ist. Dieser Wertanteil beträgt 164.900 DM. Auf diesen Wert ist der Einheitswert des Grundstücks der Bfin. auf den 21. Juni 1948 fortzuschreiben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 309 AO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407723

BStBl III 1953, 240

BFHE 1954, 624

BFHE 57, 624

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