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BFH Beschluss vom 29.09.1976 - II R 154/75

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Leitsatz (amtlich)

Ist im Büro eines Prozeßbevollmächtigten in einer Sache eine Frist versäumt oder vermeintlich versäumt worden, müssen die Akten unverzüglich dem Prozeßbevollmächtigten oder seinem Vertreter vorgelegt werden. Werden die Akten in der Sache, in der die Frist versäumt ist oder in der angenommen wird, die Frist sei versäumt, nicht unverzüglich dem Prozeßbevollmächtigten oder seinem Vertreter vorgelegt, weil es an einer entsprechenden Weisung an das Büropersonal fehlt, und wird eine vermeintlich als verstrichen angesehene, tatsächlich aber noch laufende Revisionsbegründungsfrist nicht eingehalten, ist die Revisionsbegründungsfrist nicht unverschuldet versäumt.

 

Normenkette

FGO § 56 Abs. 1

 

Tatbestand

Das Urteil des FG ist den Bevollmächtigten der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) am 23. Juli 1975 zugestellt worden. Am 22. August 1975 hat die Klägerin Revision eingelegt. Der Schriftsatz mit der Revisionsbegründung ist beim Bundesfinanzhof am 3. Oktober 1975 eingegangen. Wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist haben die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin mit Schriftsatz vom 3. Oktober 1975 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und sich hierzu auf ein ihnen nicht zuzurechnendes Verhalten ihrer Angestellten berufen.

Sie haben dazu u. a. vorgetragen, eine Angestellte habe im Fristenkalender die Vorfrist am 17. September und als Ende der Frist für die Revisionsbegründung den 22. September eingetragen. Die Angestellte sei infolge des Todes ihres Vaters zur Beerdigung gefahren, habe zuvor das Fristenbuch verlegt, sei am 23. September zurückgekehrt und habe am 24. September 1975 ihren Dienst angetreten. Am 24. und 25. September 1975 sei der bearbeitende Rechtsanwalt und Chef der Angestellten nicht anwesend gewesen. Die Angestellte habe geglaubt, wegen der vermeintlichen Fristversäumung auf dessen Rückkehr warten zu können.

Der Senatsvorsitzende hat die Bevollmächtigten mit Verfügung vom 18. März 1976 aufgefordert, darzulegen und gegebenenfalls glaubhaft zu machen,

a) ob und gegebenenfalls mit welchem Inhalt die mit der Führung des Fristenbuches beauftragte Angestellte der Prozeßbevollmächtigten über die Berechnung von Revisionsfristen und Revisionsbegründungsfristen belehrt worden ist, insbesondere auch bezüglich der Berechnung der Revisionsbegründungsfrist gemäß den Grundsätzen des Urteils des BFH vom 12. Juli 1972 I R 206/70 (BFHE 106, 483, BStBl II 1972, 957),

b) wann den Prozeßbevollmächtigten oder ihrem mit der Revisionsbegründung beauftragten Vertreter das Fristenbuch vorgelegt worden ist und

c) warum kein rechtzeitiger Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist mehr möglich gewesen sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

Unstreitig ist die Revision nicht innerhalb der Frist des § 120 Abs. 1 FGO begründet worden.

Nach § 56 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht entsprochen werden. Die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin haben die Revisionsbegründungsfrist schuldhaft versäumt. Das Verschulden der Bevollmächtigten muß die Klägerin sich zurechnen lassen (§ 155 FGO, § 232 Abs. 2 ZPO). Das Verschulden der Prozeßbevollmächtigten bestand darin, daß sie ihrem Personal keine Weisungen erteilt hatten, bei Fristversäumung einer Sache - und dementsprechend auch bei vermeintlicher Fristversäumung einer Sache - die Akten unverzüglich dem Bearbeiter oder seinem Vertreter vorzulegen.

Die Angestellte der Prozeßbevollmächtigten hat nach den Angaben der Bevollmächtigten ihren Dienst am 24. September 1975 wieder angetreten. In diesem Zeitpunkt war die Frist zur Begründung der Revision und gegebenenfalls zur Einreichung eines Antrags auf Verlängerung der Frist zur Begründung der Revision noch nicht abgelaufen. Aufgrund der Eintragungen im Fristenbuch sah die Angestellte zwar den Termin als verstrichen an; in Wahrheit aber lief die Revisionsbegründungsfrist noch bis zum Ablauf des 25. September 1975. Der Vortrag, die Angestellte habe geglaubt, in diesen Fällen bei Abwesenheit des zuständigen Bearbeiters, dessen Rückkehr am Freitag, dem 26. September 1975, abwarten zu dürfen, läßt nicht erkennen, ob es sich nur um die Wiedergabe der subjektiven Auffassung der Angestellten handelt oder ob sich die Prozeßbevollmächtigten diese Auffassung zu eigen gemacht haben. Gleichviel, welcher Sinn diesem Vortrag beizumessen ist, haben die Prozeßbevollmächtigten jedenfalls nicht dargetan und glaubhaft gemacht, daß aufgrund ihrer Weisungen an das Büropersonal in Fällen, in denen eine Fristversäumung entdeckt wird, die Sache unverzüglich dem Bearbeiter oder seinem Vertreter vorzulegen ist.

Der Prozeßbevollmächtigte darf zwar die regelmäßig anfallende Berechnung und Kontrolle der in seinem Büro zu bearbeitenden Fristen einer zuverlässigen und sorgfältig überwachten Bürokraft überlassen. Er darf sich dabei auch darauf verlassen, daß ihm die Sache zur Vornahme der fristgebundenen Prozeßhandlungen vorgelegt werden. Ist aber eine Frist nach Auffassung des Personals versäumt, muß der Prozeßbevollmächtigte selbst sich davon überzeugen, welches der Fristlauf ist bzw. war, ob also eine Fristversäumung vorliegt, worauf sie beruht und was und in welcher Frist darauf zu geschehen hat. Dazu ist es unumgänglich, durch entsprechende Weisungen an das Personal sicherzustellen, daß eine solche aus dem Routinebetrieb herausfallende Sache unverzüglich vorgelegt wird. Fehlt eine solche Weisung, ist das Büro nicht in einer Weise organisiert, die die Verpflichtung des Prozeßbevollmächtigten zur eigenverantwortlichen Nachprüfung des Fristablaufs sichert (vgl. hierzu auch Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 13. November 1975 III ZB 18/75, HFR 1976, 440).

Die Fristversäumung beruht im vorliegenden Fall nicht darauf, daß eine Frist unverschuldet versäumt war, sondern darauf, daß eine vermeintlich als verstrichen angesehene, tatsächlich aber noch laufende Begründungsfrist nicht eingehalten wurde. Die Folgen dieses Umstandes haben die Prozeßbevollmächtigten zu vertreten. Denn hätten sie ihr Personal angewiesen, daß bei Fristversäumung einer Sache die Akten unverzüglich dem Bearbeiter oder seinem Vertreter vorzulegen sind, wäre dieser zur Nachprüfung des Fristlaufs verpflichtet und in der Lage gewesen. Bei unverzüglicher Vorlage der Akten an den Vertreter des abwesenden Sachbearbeiters wäre es diesem am 24. und 25. September 1975 möglich gewesen, die für die Einhaltung der Frist erforderlichen Maßnahmen zu treffen.

Die Revision mußte daher als unzulässig verworfen werden (§ 126 Abs. 1 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 72019

BStBl II 1977, 35

BFHE 1977, 137

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