Rz. 734

Als frei gilt ein Arbeitsplatz zunächst dann, wenn er zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs beim Arbeitnehmer unbesetzt ist.[1] Der Arbeitgeber muss somit keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten neu schaffen. Müsste der Arbeitgeber einem anderen Arbeitnehmer kündigen, um eine Weiterbeschäftigung zu ermöglichen, fehlt es an einem freien Arbeitsplatz. Eine "Austauschkündigung" kann kein milderes Mittel darstellen.[2] Das gilt im Hinblick auf § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX auch für einen schwerbehinderten Menschen. § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX gibt ihm keine Beschäftigungsgarantie, da sie nur die Durchführung des Arbeitsverhältnisses betrifft. Ist eine Beschäftigung auf dem bisherigen Arbeitsplatz oder einem anderen freien Arbeitsplatz somit nicht möglich, ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, für den schwerbehinderten Menschen einen zusätzlichen Arbeitsplatz zu schaffen. Das SGB IX verlangt somit auch nicht die Kündigung von anderen Arbeitnehmern, um den Beschäftigungsanspruch schwerbehinderter Menschen verwirklichen zu können. Andernfalls läge ein grundrechtswidriger Eingriff in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers vor.[3] Auch ein mit einem Arbeitnehmer in der Probezeit besetzter Arbeitsplatz ist nicht frei.[4] Die Verpflichtung zur "Kündigung" des anderen Arbeitnehmers kann sich allenfalls aus der Sozialauswahl ergeben. Schließlich hat ein unbefristet angestellter Arbeitnehmer bei der Besetzung freier Stellen nicht nur Vorrang vor externen Bewerbern, sondern auch vor anderen angestellten Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnisse zeitgleich durch Befristung enden.[5]

 

Rz. 735

Sofern jedoch der Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung mit Sicherheit davon ausgehen kann, dass ein Arbeitsplatz bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder in absehbarer Frist danach zur Verfügung stehen wird, ist der Arbeitsplatz ebenfalls als frei anzusehen.[6] Als einen zumutbar überbrückbaren Zeitraum zwischen dem Wegfall des einen und dem Freiwerden des anderen Arbeitsplatzes nach Ablauf der individuellen Kündigungsfrist hat die Rechtsprechung keine bestimmte Dauer festgelegt. Da die Frage der Zumutbarkeit von den Umständen des Einzelfalls abhängig ist, wird bspw. eine Überbrückungsfrist umso eher zumutbar sein, je länger der Arbeitnehmer bereits im Unternehmen beschäftigt ist. Für zumutbar wird jedenfalls ein Zeitraum gehalten, den ein anderer Stellenbewerber zur Einarbeitung benötigen würde.[7] Allerdings steht allein die entfernte Möglichkeit, ein Arbeitsplatz könnte in Zukunft frei werden der Kündigung nicht entgegen. Auf die normale Personalfluktuation in Betrieben kann nicht abgestellt werden. Andernfalls würde der Arbeitgeber zur Haltung einer Personalreserve gezwungen, die das Gesetz von ihm nicht verlangen kann.[8]

 

Rz. 736

Der Arbeitgeber darf zudem im Vorgriff auf eine betriebsbedingte Kündigung eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem anderen freien Arbeitsplatz nicht dadurch verhindern, dass er die Stelle zunächst besetzt und anschließend die Kündigung ausspricht. Hat der Arbeitgeber auf diese Weise das Fehlen einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit selbst herbeigeführt, ist es ihm nach dem in § 162 BGB normierten Rechtsgedanken verwehrt, sich hierauf zu berufen. Die Kündigung ist dann trotz fehlender Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung sozialwidrig, da der Arbeitgeber diesen Zustand treuwidrig herbeigeführt hat.[9] Ein treuwidriges Verhalten ist auch anzunehmen, wenn für den Arbeitgeber das "Auslaufen" der anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit für den später gekündigten Arbeitnehmer im Kündigungszeitpunkt oder umgekehrt im Zeitpunkt der Stellenbesetzung ein Kündigungserfordernis vorhersehbar war und entsprechend der Kündigungsentschluss sowie die anderweitige Besetzung der freien Stelle "uno actu" erfolgten. Erfolgen die Besetzung der freien Stelle und die Kündigung aufgrund eines einheitlichen Entschlusses, so sind beide Erklärungen des Arbeitgebers bei Prüfung der Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG auch als Einheit zu würdigen.[10]

 
Hinweis

Der Arbeitgeber hat zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung nicht nur freie Arbeitsplätze zu berücksichtigen, sondern muss darüber hinaus die Personalentwicklung vor und nach der Kündigung berücksichtigen. Fallen die Kündigung und das Freiwerden bzw. die Neubesetzung eines anderen vergleichbaren Arbeitsplatzes zeitlich eng zusammen, kann dies zur Unwirksamkeit der Kündigung führen, da die Indizien für eine unwirksame Austauschkündigung sprechen können.

 

Rz. 737

Vor diesem Hintergrund hat das BAG auch angenommen, dass der Arbeitgeber im Falle eines Teilbetriebsübergangs nach der Information der Betroffenen über den Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse und ihr Widerspruchsrecht zunächst abwarten müsse, ob Arbeitnehmer von ihrem Widerspruchsrecht Gebrauch machten, bevor er freie Arbeitsplätze in dem nicht übergehenden Betriebsteil neu besetze. Der Arbeitgeber müsse mit einem Widerspruch...

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