Der deutsche Gesetzgeber hat das Arbeitskampfrecht nicht geregelt. Deutsches Arbeitskampfrecht ist im ganz Wesentlichen Richterrecht. Die Begriffe Arbeitskampf und Streik werden zwar in einigen Gesetzen erwähnt. Dort geht es aber nicht um das Recht der kollektiven Arbeitsniederlegungen in seinen zentralen Problembereichen, sondern nur um Berührungspunkte des geregelten Arbeits- und Sozialrechts mit dem Arbeitskampfgeschehen. So bestimmt zum Beispiel § 2 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG, dass die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig sind für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen tariffähigen Parteien aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfes handelt. Nach § 2 Abs. 2 BPersVG und § 74 Abs. 2 BetrVG sind Arbeitskämpfe zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretungen in Betrieben und Verwaltungen um betriebsverfassungsrechtlicher und personalvertretungsrechtlicher Ziele willen unzulässig.[1] Die Gesetze geben hier insbesondere mit der Anrufung von Einigungsstellen[2] oder der Gerichte[3] andere Konfliktlösungswege vor.

Nach § 174 Abs. 6 SGB IX müssen schwerbehinderte Menschen, denen lediglich aus Anlass eines Streiks oder einer Aussperrung fristlos gekündigt worden ist, nach Beendigung dieser Kampfmaßnahme wieder eingestellt werden.

§ 160 SGB III verpflichtet die Bundesagentur für Arbeit zur Neutralität im Arbeitskampf. Die Agenturen für Arbeit dürfen nicht durch Leistungen der Arbeitslosenversicherung die Kampffähigkeit oder die Kampfaussichten der an der kollektiven Auseinandersetzung Beteiligten verbessern (kein Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld an von einem Arbeitskampf unmittelbar betroffene Arbeitnehmer). Dies kommt auch in § 36 Abs. 3 SGB III zum Ausdruck, wonach die Agentur für Arbeit Arbeitnehmer nicht in unmittelbar streikbetroffene Betriebe vermitteln darf. Etwas anderes gilt nur, wenn diese eine derartige Vermittlung verlangen, nachdem sie auf den dortigen Arbeitskampf hingewiesen wurden.

Ähnlich ist die Rechtslage für Leiharbeitskräfte. Sie können den Einsatz bei einem Entleiher verweigern, der unmittelbar durch einen Arbeitskampf betroffen ist. Auf dieses Recht muss ihn der Verleiher, gewissermaßen als privater Arbeitsvermittler, hinweisen.[4] Da wegen dieser überkommenen Rechtslage zur Vermeidung von Streikfolgen auf Leiharbeitskräfte aus dem Ausland zurückgegriffen worden war, für die das Leistungsverweigerungsrecht des § 11 Abs. 5 Sätze 3 und 4 AÜG nicht gilt[5], ist diese Bestimmung vor einigen Jahren ergänzt worden. § 11 Abs. 5 Sätze 1 und 2 AÜG verbieten seither – mit einer Geldbuße bis zu 500.000 EUR bewehrt[6] – einem vom Arbeitskampf unmittelbar betroffenen Arbeitgeber, Leiharbeitskräfte bei sich tätig werden zu lassen, es sei denn diese erledigen weder Arbeiten, die bisher von streikenden Beschäftigten erledigt wurden, noch solche, die bisher von Beschäftigten erledigt wurden, die nun auf bestreikten Arbeitsplätzen eingesetzt werden (unmittelbare und mittelbare Streikbrecher). Das Bundesverfassungsgericht hatte keine durchgreifenden Bedenken gegen diese Regelung. Es handele sich um eine verhältnismäßige Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit zum Schutz von Gemeinwohlbelangen mit verfassungsrechtlichem Rang. Die staatliche Neutralitätspflicht im tarifautonomen Geschehen sei nicht verletzt.[7]

Die behandelte Ergänzung des § 11 Abs. 5 AÜG wirkt zwar stärker und gezielter als andere Normen des einfachen Gesetzes auf das Arbeitskampfgeschehen ein. Es handelt sich aber nicht um eine zentrale Aussage des deutschen Gesetzgebers zur Regelung des sozialen Phänomens Arbeitskampf. Hier ist unverändert allein das Richterrecht des BAG maßgeblich. Ob dieses sich ändern muss, seit die Bundesrepublik mehrere internationale Abkommen ratifiziert hat, die sich auch mit der Garantie von Arbeitskampfmaßnahmen befassen[8], ist umstritten.[9] Die Rechtsprechung hat jedenfalls bislang insbesondere Art. 6 Nr. 4 Europäische Sozialcharta (ESC) noch nicht zum Anlass genommen, weniger enge Kampfgrenzen[10] als bisher[11] festzulegen. Auch dazu, ob sich aus der grundrechtlichen Gewährleistung des Rechts auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen in Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) Abweichungen von der überkommenen nationalen Arbeitskampfordnung ergeben[12], hat das BAG noch nicht im Einzelnen Stellung genommen. Es bedurfte dessen noch nicht, weil nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs[13] ein nationaler Sachverhalt ohne Anknüpfung an das Unionsrecht den Geltungsbereich der GRC nicht eröffnet.

Das richterrechtlich entwickelte deutsche Arbeitskampfrecht gründet allein auf Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG. Diese Verfassungsnorm gibt nicht nur jedermann das Recht zur Wahrung und Förderung der Wirtschaftsbedingungen, Vereinigungen ("Koalitionen") zu bilden. Das Doppelgrundrecht[14] des Art. 9 Abs. 3 GG schützt diese Koalitionen auch selbst in ihrer Bildung, in ihrem Bestand und in ihrer organisatorischen Ausgestaltung. Teil dieses Schut...

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