Ehegattensplitting bei fiktiver unbeschränkter Steuerpflicht

Bei der Prüfung der Einkunftsgrenzen für das Zusammenveranlagungs-Wahlrecht ist auf die Einkünfte beider Ehegatten abzustellen und der Grundfreibetrag zu verdoppeln.

Hintergrund

Der Ehemann (M) lebte in 2009 zusammen mit seiner Ehefrau (F) in Österreich. F erzielte keine Einkünfte. Für M ergaben sich bei Welteinkünften von rund 19.000 EUR inländische Einkünfte von 9.000 EUR (Rente) und nur in Österreich steuerpflichtige Einkünfte von 10.000 EUR (Pension).

Die Eheleute beantragten bezüglich der im Inland steuerpflichtigen Einkünfte die Zusammenveranlagung. Das FA lehnte den Antrag ab und veranlagte M als beschränkt einkommensteuerpflichtig. Das FG gab der dagegen gerichteten Klage des M statt und verpflichtete das FA zur Zusammenveranlagung.

Entscheidung

Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, werden auf Antrag als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt, soweit sie inländische Einkünfte haben. Voraussetzung ist, dass entweder die Einkünfte im Kalenderjahr zu mindestens 90 Prozent der deutschen ESt unterliegen (relative Wesentlichkeitsgrenze) oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den Grundfreibetrag nicht übersteigen (absolute Wesentlichkeitsgrenze). Diese Regelung (§ 1 Abs. 3 EStG) wird in § 1a EStG dahin ergänzt, dass für EU/EWR-Staatsangehörige die unbeschränkt einkommensteuerpflichtig oder als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig zu behandeln sind, bei der Prüfung der Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland auf Antrag als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird (§ 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG) und bei Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG (relative und absolute Wesentlichkeitsgrenze) auf die Einkünfte beider Ehegatten abzustellen und der Grundfreibetrag zu verdoppeln ist.

Das FG ging davon aus,

  • dass M und F die Voraussetzungen der Zusammenveranlagung erfüllen, wenn in die Prüfung der absoluten Wesentlichkeitsgrenze (Einkunftsgrenze) nur die nicht der deutschen ESt unterliegenden Einkünfte beider Ehegatten einbezogen und diese mit dem doppelten Grundfreibetrag verglichen werden.
  • dass die Zusammenveranlagungsvoraussetzungen dagegen nicht erfüllt sind, wenn die Wesentlichkeitsgrenzen - vor der Verdoppelung des Grundfreibetrags und unter Einbeziehung der Einkünfte beider Ehegatten - für die Eheleute zusätzlich jeweils isoliert und unter Ansatz des einfachen Grundfreibetrags geprüft werden müssen. 

Der BFH teilt die Auffassung des FG, dass es einer eigenständigen Vorprüfung der Einkunftsgrenzen der Ehegatten nicht bedarf. Der BFH verweist auf seine bisherige Rechtsprechung, an der er nach erneuter Überprüfung festhält (BFH v. 1.10.2014, I R 18/13, BStBl II 2015, 474) sowie auf neuere Entscheidungen anderer FG (FG Berlin-Brandenburg v. 24.6.2014, 6 K 6279/12, EFG 2015, 104 und FG Köln v. 4.7.2013, 11 V 1596/13, EFG 2013, 1564). Dem möglicherweise anderslautenden Eingangssatz in § 1a Abs. 1 EStG stehen grammatikalisch-systematische Erwägungen entgegen. Diese Auslegung wird durch den Gesetzeszweck des § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG bestätigt. Die Regelung beruht auf der Rechtsprechung des EuGH. Danach gehört auch das Splittingverfahren zu den zu berücksichtigenden persönlichen und familienbezogenen Umständen. Es erscheint deshalb folgerichtig, diesen Regelungszusammenhang (einschließlich der doppelten Gewährung des Grundfreibetrags) auch der Prüfung der Wesentlichkeitsgrenzen zugrunde zu legen. Die Gesetzesmaterialien geben keinen hinreichenden Anhalt dafür, das Wahlrecht zur Zusammenveranlagung an eine zweistufige Prüfung der Einkunftsgrenzen zu binden.

Hinweis

Der BFH wiederspricht damit der Auffassung der Finanzverwaltung in R 1 Satz 3 EStR. Danach sind die Einkunftsgrenzen nacheinander gesondert zu prüfen. Wenn - wie im Streitfall - nur ein Ehegatte inländische Einkünfte erzielt, wäre dann der Grundfreibetrag erst auf der zweiten Stufe zu verdoppeln und eine Zusammenveranlagung wäre ausgeschlossen, wenn die nicht der deutschen ESt unterliegenden Einkünfte über dem einfachen Grundfreibetrag liegen.

BFH, Urteil v. 6.5.2015, I R 16/14, veröffentlicht am 7.10.2015