Leitsatz

Die Art. 167, 168 und 178 MwStSystRL sind dahin auszulegen, dass sie einer rückwirkenden Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift entgegenstehen, die im Rahmen einer Regelung der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft für den Abzug der Mehrwertsteuer auf Bauarbeiten eine Berichtigung der Rechnungen für diese Umsätze und die Abgabe einer ergänzenden berichtigenden Steuererklärung verlangt, auch wenn die betreffende Steuerbehörde über alle Angaben verfügt, die für die Feststellung, dass der Steuerpflichtige als Empfänger der fraglichen Leistungen die Mehrwertsteuer zu entrichten hat, und für die Überprüfung der Höhe der abzugsfähigen Steuer erforderlich sind.

 

Normenkette

Art. 167, Art. 168, Art. 178 Buchst. f, Art. 199 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL (§ 15 Abs. 1 Nr. 4, § 13b UStG)

 

Sachverhalt

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens bezog 2007 Bauleistungen von Subunternehmern. Klägerin und Subunternehmer erfüllten nach dem 2007 geltenden Recht ihre Erklärungs- und Abführungspflicht. Nach dem ab 2008 mit Rückwirkung geltenden ungarischen Recht erfüllte die Klägerin nicht die für den Vorsteuerabzug bei Umkehr der Steuerschuldnerschaft erforderlichen Voraussetzungen.

 

Entscheidung

Die Kriterien für den Streitfall ergeben sich aus dem Leitsatz, die wesentlichen für das UStG zu beachtenden Grundsätze aus den Praxis-Hinweisen.

 

Hinweis

1. Das Verfahren betrifft im Wesentlichen die Frage der Zulässigkeit der gesetzlich angeordneten Rückwirkung und die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug bei Umkehr der Steuerschuldnerschaft. Eine ungarische Vorschrift hierzu – betreffend die Rechnungsangaben und den Inhalt der Steuererklärung bei Umkehr der Steuerschuldnerschaft – sollte rückwirkend auf Umsätze, für die das Recht auf Vorsteuerabzug bereits im Vorjahr entstanden war, angewendet werden.

2. Zum Vorsteuerabzug bei Umkehr der Steuerschuldnerschaft gilt:

a) Ein Unternehmer, der als Empfänger einer Dienstleistung die darauf anfallende Mehrwertsteuer schuldet, braucht für die Ausübung seines Vorsteuerabzugsrechts keine gem. den Formvorgaben der RL ausgestellte Rechnung zu besitzen; er muss nur die Förmlichkeiten erfüllen, die der betreffende Mitgliedstaat in Wahrnehmung des ihm nach Art. 178 Buchst. f der MwStSystRL eingeräumten Spielraums aufgestellt hat (vgl. hierzu Abschn. 182a Abs. 40 UStR).
b) Der Vorsteuerabzug ist zu gewähren, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten (welchen?) formellen Anforderungen nicht genügt hat (Rz. 39). Verfügt die Steuerverwaltung im Zeitpunkt der Entscheidung über den Vorsteuerabzug (Rz. 43) über alle Informationen für die Feststellung der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers, darf ihm das Recht auf Vorsteuerabzug nicht durch eine rückwirkende Regelung genommen werden.

3. Nach der Entscheidung Terra Baubedarf (EuGH, Urteil vom 29.04.2004, C-152/02, BFH/NV Beilage 2004, 229, BFH/PR  2004, 277), in dem der Unternehmer zwar noch nicht im Streitjahr, aber bereits im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung über das Streitjahr die Rechnung erhalten hatte, setzt der Vorsteuerabzug voraus, dass die Lieferung der Gegenstände oder die Dienstleistung bewirkt wurde und dass der Steuerpflichtige die Rechnung oder das Dokument besitzt, das nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Kriterien als Rechnung betrachtet werden kann. D.h. erst in diesem Besteuerungszeitraum erhält er den Vorsteuerabzug.

Nach dem EuGH-Urteil vom 15.07.2010, C-368/09, Pannon Gép, BFH/NV 2010, 1762, BFH/PR 2010, 389 (in dem die Rechnung nicht die vom Mitgliedstaat zulässigerweise geforderte – zutreffende – Registernummer enthalten hatte) müssen die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt sein und ist der Vorsteuerabzug zu gewähren, wenn der betreffenden Behörde vor Erlass ihrer Entscheidung eine (zutreffend) berichtigte Rechnung zugeleitet wurde. Für den Fall der Umkehr der Steuerschuldnerschaft stellt der EuGH darauf ab, ob alle Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung bekannt sind. Sind nicht zwei ­Tatbestandsmerkmale Voraussetzung für den Vorsteuerabzug mit der Folge, dass erst in dem Besteuerungszeitraum, in dem beide Voraussetzungen vorliegen, der Vorsteuerabzug zulässig ist, sondern ist die tatsächliche Kenntnis des FA maßgebend, ist verfahrensrechtlich § 173 Abs. 1 AO berührt. Die Abstimmung der EuGH-Grundsätze selbst und zum nationalen Verfahrensrecht (zur Bedeutung des nationalen Verfahrensrechts, z.B. EuGH, Urteil vom 24.03.2009, C-445/06, Danske Slagterier, DStR 2009, 703, Rz. 54) steht noch aus.

 

Link zur Entscheidung

EuGH, Urteil vom 30.09.2010, C-392/09 – Uszodaépítő kft –

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