Entscheidungsstichwort (Thema)

Schmerzensgeld und Verdienstausfallersatz für nach Unfalltod der Tochter psychisch erkrankte Mutter

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine infolge Unfalltods ihrer Tochter psychisch schwer erkrankte Mutter hat gegen den verkehrswidrig handelnden Unfallverursacher einen Anspruch auf Schmerzensgeld und Ersatz ihres unfallbedingten Verdienstausfalls.

2. Zur Bemessung des Angehörigenschmerzensgeldes in derartigen Fällen

 

Normenkette

BGB § 253; ZPO § 287

 

Verfahrensgang

LG Gießen (Urteil vom 22.12.2011; Aktenzeichen 2 O 502/10)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 22.12.2011 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG Gießen abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu zahlen

a) ein weiteres Schmerzensgeld i.H.v. 10.000 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.10.2008,

b) 14.757,61 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 6.644,26 EUR seit dem 1.10.2008 sowie aus jeweils weiteren Beträgen i.H.v. 474,59 EUR seit dem jeweils zweiten Werktag eines Monats in der Zeit vom 2.11.2010 bis zum 2.12.2011,

c) außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 1.041,13 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3.1.2011.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin bis einschließlich Juli 2015 zum jeweils ersten Werktag eines Monats einen Betrag von 474,59 EUR zu zahlen nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem jeweils folgenden Werktag.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen, die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 1/3, die Beklagte zu 2/3 zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenpartei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Die Tochter der Klägerin wurde infolge eines groben Verkehrsverstoßes des Versicherungsnehmers der Beklagten am ... 2007 tödlich verletzt. Die uneingeschränkte Verpflichtung der Beklagten zum Schadensersatz ist im vorliegenden Verfahren außer Streit. Die Klägerin behauptet, sie sei aufgrund dieses Unfallereignisses schwer psychisch erkrankt, und nimmt die Beklagte auf Zahlung eines 5.000 EUR übersteigenden weiteren Schmerzensgeldes i.H.v. mindestens 30.000 EUR und auf den Ersatz von Verdienstausfall in Anspruch, der ihr durch die - ebenfalls unfallbedingte - Inanspruchnahme von Altersteilzeit entstanden sei und laufend entstehe.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug.

Das LG hat nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens der Klage stattgegeben, insbesondere der Klägerin ein weiteres Schmerzensgeld i.H.v. 30.000 EUR zuerkannt.

Die Beklagte rügt mit ihrer Berufung eine unangemessene Höhe des Schmerzensgeldes und eine unzureichende Begründung des LG für eine Verursachung der klägerischen Erwerbsnachteile durch den Unfall. Die Klägerin müsse sich als Mitverschulden anspruchsmindernd anrechnen lassen, dass sie sich nicht in eine mehrmonatige stationäre Therapie begeben habe.

Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil.

B. Die Berufung der Beklagten ist zulässig und teilweise - hinsichtlich der Höhe des Schmerzensgeldes und, daran anknüpfend, der vorgerichtlichen Anwaltskosten - begründet.

I. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schmerzensgeld, dessen Höhe der Senat nach billigem Ermessen auf insgesamt 15.000 EUR festsetzt, so dass unter Berücksichtigung der von der Beklagten geleisteten Zahlung von 5.000 EUR noch weitere 10.000 EUR offen stehen.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (BGHZ 56, 163, 164 ff.; VersR 1976, 539 f.; zuletzt bestätigt NJW 2012, 1730, 1731), der der Senat folgt (NJOZ 2009, 4715, 4717 f.), können mittelbar Geschädigte wie etwa die nächsten Angehörigen von Unfallopfern von dem Unfallverursacher bzw. dessen Haftpflichtversicherer nur ausnahmsweise materiellen und immateriellen Schadensersatz beanspruchen, nämlich dann, wenn sie eigene gesundheitliche Beeinträchtigungen mit - auch nach allgemeiner Verkehrsauffassung anzuerkennendem - Krankheitswert erlitten haben, die über die hinausgehen, denen nahe Angehörige bei Todesnachrichten erfahrungsgemäß ausgesetzt sind.

2. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Die Klägerin ist infolge des ihre Tochter betreffenden tödlichen Unfallgeschehens schwerwiegend psychisch erkrankt; sie leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer schweren depressiven Episode und anhaltenden somatoformen Schmerzstöru...

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