Entscheidungsstichwort (Thema)

außerordentliche Kündigung. genesungswidriges Verhalten. Teilnahme an Marathonlauf

 

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 06.11.2006 nicht beendet wurde.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 13.11.2006 nicht beendet wurde.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger als Lagerist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses weiterzubeschäftigen.

4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

5. Der Streitwert wird auf 7.200,– Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Mit der am 10.11.2006 beim Arbeitsgericht Stuttgart eingegangenen und mit Schriftsätzen vom 20.11.2006 und 07.12.2006 erweiterten Klage, wendet sich der Kläger gegen eine außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 06.11.2006 und eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung vom 13.11.2006 zum 30.06.2007 und begehrt die Weiterbeschäftigung bei der Beklagten.

Der am xx.xx.xx geborene Kläger ist verheiratet und zwei minderjährigen Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Der Kläger ist seit dem 02.01.1990 bei der Beklagten als Lagerist, zuletzt zu einem Bruttomonatsverdienst in Höhe von 2.400,00 EUR, beschäftigt.

Der Kläger betreibt seit dem 16. Lebensjahr Leistungssport, nimmt regelmäßig an Marathonläufen teil, wobei er ca. 3.000 km pro Jahr läuft, dazu fährt er Rad, schwimmt und spielt Fußball.

Am 05.09.2006 kam es zu einem Wegeunfall des Klägers (Sturz mit dem Fahrrad). Dabei brach sich der Kläger das linke Schulterblatt. Dies führte zu einer Arbeitsunfähigkeit im Zeitraum vom 05.09.2006 bis einschließlich 27.10.2006.

Am 17.09.2006 nahm der Kläger am W.-Marathon in Österreich über eine Strecke von 53 km teil, am 21.10.2006 war der Kläger Teilnehmer des Schw.-Alb-Marathons (50 km). Vor der Teilnahme an den beiden Laufveranstaltungen konsultierte der Kläger seinen behandelnden Arzt Dr. E. zur Frage, ob aus ärztlicher Sicht etwas gegen die Teilnahme an den Veranstaltungen spreche. Der behandelnde Arzt Dr. E. erklärte dem Kläger, dass aus ärztlicher Sicht nichts gegen die Teilnahme spreche, insbesondere mit keiner Verzögerung des Heilungsverlaufs zu rechnen sei, der Kläger solle aber die sportliche Betätigung einstellen, sobald er Schmerzen verspüre. Der Kläger hat dazu eine später gefertigte ärztliche Bescheinigung des Dr. E. vom 31.10.2006, mit der dieses Vorgehen des Klägers bestätigt wird, im Kammertermin zur Gerichtsakte gereicht (Blatt 48 der Akte).

Die Beklagte erfuhr von der Teilnahme des Klägers an den beiden Laufveranstaltungen aus der lokalen Presse. Am 30.10.2006 führte die Beklagte unter Beteiligung des bei ihr gebildeten Betriebsrats ein Gespräch mit dem Kläger, in welchem der Kläger die Teilnahme an den Laufveranstaltungen bestätigte. Mit Schreiben vom 30.11.2006 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung wegen genesungswidrigen Verhaltens an. Auf die schriftliche Betriebsratsanhörung vom 30.10.2006 (Blatt 29-32 der Akte) wird vollinhaltlich Bezug genommen. Mit Schreiben vom 02.11.2006 nahm der Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung Stellung und trat den beabsichtigten Kündigungen entgegen (Blatt 10, 11 der Akte).

Mit Schreiben vom 06.11.2006 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos und mit Schreiben vom 03.11.2006 vorsorglich ordentlich zum 30.06.2007.

Der Kläger hat die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates gerügt.

Der Kläger beantragt – unter Rücknahme der Klage im Übrigen – zuletzt:

  1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 06.11.2006 nicht beendet ist.
  2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 13.11.2006 beendet worden ist.
  3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu vertragsgemäßen und unveränderten Arbeitsbedingungen als Lagerist weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt.

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, es sei nachgewiesen, dass Ausdauersport unter Leistungsbedingungen das Immunsystem und damit die physiologische Heilung schwäche. Ein Marathonlauf, vor allem unter Wettbewerbsbedingungen, sei bei einer bestehenden Schulterverletzung grundsätzlich nicht als heilungsfördernd zu betrachten. Der Kläger habe gegen seine Treuepflichten aus dem Arbeitsverhältnis verstoßen, die Teilnahme an einem solchen Marathonlauf stelle ein untragbar heilungs- und genesungswidriges Verhalten dar. Das Vertrauensverhältnis sei nachhaltig zerstört.

Hinsichtlich des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlung vom 05.12.2006 und 22.03.2007 verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage hat Erfolg.

I.)

Die Klage ist zulässig.

1. Insbesondere besteht ein ausr...

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