A. Einführung

 

Rz. 1

§ 102 BetrVG gewährt präventiven Kündigungsschutz dadurch, dass der Betriebsrat vor Ausspruch einer Kündigung anzuhören ist. Die Nichtbeachtung des Anhörungsrechts hat die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge. Der Arbeitgeber, der zu kündigen beabsichtigt, soll durch die Verpflichtung zur Anhörung gezwungen werden, Bedenken des Betriebsrats hinsichtlich der beabsichtigten außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung zu berücksichtigen. Eine Bindungswirkung ist allerdings nicht vorgesehen. Der Arbeitgeber bleibt auch dann, wenn der Betriebsrat Bedenken äußert oder gar Widerspruch erhebt, in seiner Entscheidung, ob gekündigt werden soll oder nicht, frei. Dabei hat der Widerspruch des Betriebsrats allerdings zur Folge, dass gem. § 102 Abs. 5 BetrVG ein vorläufiger Weiterbeschäftigungsanspruch ausgelöst wird und nach § 1 Abs. 2 S. 2 KSchG ein absoluter Sozialwidrigkeitsgrund begründet werden kann.

 

Rz. 2

Die Verpflichtung, den Betriebsrat anzuhören, betrifft dabei nur die arbeitgeberseitige Kündigung, keine sonstigen Beendigungstatbestände. Auch Abmahnung und der Auflösungsantrag gem. § 9 KSchG werden vom Anhörungsrecht nicht umfasst. Im Übrigen ist die Anhörung aber vor jeder Kündigung geboten. Der Ausspruch der Kündigung ist erst nach Abschluss des Anhörungsverfahrens wirksam. Das Anhörungsverfahren endet entweder durch abschließende Stellungnahme des Betriebsrats oder durch Fristablauf. Mängel des Anhörungsverfahrens, die aus dem Bereich des Arbeitgebers resultieren, haben die Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung zur Folge. Fehler, die dem Bereich des Betriebsrats zuzurechnen sind, haben die Unwirksamkeit nicht zur Folge, es sei denn, die Verfahrensfehler sind durch den Arbeitgeber veranlasst.

B. Beteiligung des Betriebsrats bei Kündigungen nach § 102 Abs. 1 BetrVG

I. Geltungs- und Anwendungsbereich, Abgrenzungen

 

Rz. 3

Die Durchführung des Beteiligungsverfahrens nach § 102 BetrVG im Geltungsbereich des BetrVG ist immer dann erforderlich, wenn der Ausspruch einer arbeitgeberseitigen Kündigung beabsichtigt ist, diese Kündigung gegenüber einem Arbeitnehmer i.S.v. § 5 Abs. 1 BetrVG erfolgen soll und in dem betroffenen Betrieb des Unternehmens ein funktionsfähiger Betriebsrat zum Zeitpunkt der mitzuteilenden Kündigungsabsicht besteht.

 

Rz. 4

Das Anhörungsrecht nach § 102 Abs. 1 BetrVG gilt für alle Betriebe, in denen ein Betriebsrat nach § 1 BetrVG gewählt worden ist. Eine bestimmte Zahl beschäftigter Arbeitnehmer oberhalb der Schwelle des § 1 BetrVG muss dabei nicht erreicht werden.

 

Rz. 5

Aufgrund des Territorialitätsprinzips, das auch das BetrVG beherrscht, sind alle Betriebe erfasst, die im Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland liegen. Daher gilt § 102 BetrVG auch für Betriebe ausländischer Unternehmen, die im Inland gelegen sind. Die Nationalität der Arbeitnehmer ist ebenso wenig entscheidend wie die Frage, welches Arbeitsvertragsstatut von den Arbeitsvertragsparteien berufen wurde. Grundsätzlich findet das BetrVG auf Arbeitnehmer in Betrieben deutscher Unternehmen im Ausland keine Anwendung.[1] Der Betriebsrat eines (inländischen) Betriebs ist aber anzuhören, wenn der Arbeitnehmer eines inländischen Betriebs nur vorübergehend zur Arbeitsleistung ins Ausland entsandt worden ist, damit seine Betriebszugehörigkeit nicht beendet wurde und diesem Arbeitnehmer nunmehr gekündigt werden soll.[2]

 

Rz. 6

In Tendenzbetrieben muss der Betriebsrat vor der Kündigung von Tendenzträgern ebenfalls angehört werden. Nach der Rspr. des BAG sind ihm alle Gründe, auch tendenzbezogene, mitzuteilen.[3] Dabei ist es dem Betriebsrat allerdings verwehrt, gegen die tendenzbedingten Motive der beabsichtigten Kündigung Einwendungen zu erheben; er kann Bedenken nur hinsichtlich sozialer Gesichtspunkte geltend machen.[4] Bei einer ausschließlich tendenzbezogenen Kündigung steht dem Betriebsrat daher kein Widerspruchsrecht nach § 102 Abs. 3 BetrVG zu, sodass das Entstehen eines Weiterbeschäftigungsanspruchs nach § 102 Abs. 5 BetrVG ausgeschlossen ist.[5]

 

Rz. 7

Nach § 130 BetrVG findet das Gesetz keine Anwendung auf Verwaltungen und Betriebe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und sonstiger Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts. Fällt also ein Arbeitsverhältnis in den Bereich des öffentlichen Dienstes (z.B. Bund, Länder, Kommunen), dann tritt an die Stelle der Beteiligung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG die Beteiligung des Personalrats nach den §§ 72, 79 BPersVG bzw. den einschlägigen Landespersonalvertretungsgesetzen. Zu weiteren Einzelheiten vgl. unter Rdn 240 ff.

 

Rz. 8

Handelt es sich bei dem zu beurteilenden Lebenssachverhalt um ein kirchliches Mitarbeiterverhältnis, ist § 118 Abs. 2 BetrVG zu berücksichtigen. Danach findet das BetrVG keine Anwendung auf Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen. Dies gilt unabhängig davon, in welcher Rechtsform diese Einrichtungen erscheinen. Bei einem kirchlichen Mitarbeiterverhältnis sind dann die Mitarbeitervertretungsregeln der evangelischen Kirche und die der katholischen Kirche zu berücksichtigen.[6] Zu weiteren Einzelh...

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