Studie zur Zukunft von Corporate Learning

Das Münchener Bildungsforum hat im vergangenen Jahr sein Manifest zur Zukunft des Corporate Learning veröffentlicht. Doch wie sehen Praktiker die Bedeutung und die weitere Entwicklung des betrieblichen Lernens? Eine Studie dazu zeigt: Die Mitarbeitenden sollen mehr Verantwortung für ihr Lernen und ihre Karriere übernehmen.

Im Herbst 2022 fand der Münchener Bildungsgipfel statt, bei dem über 150 Verantwortliche für Learning & Development (L&D) im Unternehmen anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Münchener Bildungsforums (MBF) über die Zukunft des Corporate Learning diskutiert haben. Konkret ging es darum, ein Bild davon zu zeichnen, wie das betriebliche Lernen im Jahr 2044 aussehen soll. Dazu wurden sechs Zukunftsszenarien für Learning und Development (L&D) in drei übergreifenden Themengebieten entwickelt (Gemeinwohl, Performance, Disruption). Die Ergebnisse aus den Zukunftslabs mündeten in ein Manifest, das Impulse für die Beantwortung der Frage gibt, was getan werden kann, um die positive Vision des Corporate Learning zur Wirklichkeit werden zu lassen ( hier geht es zum Manifest 2044 des Münchener Bildungsforums). 
 
Um die Bedeutung der Thesen des Manifests besser bewerten zu können, hat das MBF in Kooperation mit der Hochschule Pforzheim im Sommer 2023 eine bundesweite Befragung durchgeführt. 183 Personen haben teilgenommen, darunter 132 aus Personalfunktionen (100 wiederum aus L&D-Bereichen) und 51 HR-Externe, was einen Vergleich von deren Einschätzung mit der der Personalmanager ermöglicht. In der Stichprobe waren 74 Mitarbeitende ohne Führungsaufgabe und 91 Führungskräfte, von denen 33 in einer leitenden Stellung tätig waren.

Lernen ist in jeder Hinsicht bedeutend

Einig waren sich die Befragten darin, dass das Lernen ein entscheidender Faktor bei der Gestaltung der Zukunft unserer Gesellschaft (arithmetischer Mittelwert 6,44; Skala: 1 = stimme überhaupt nicht zu; 7 = stimme voll und ganz zu), unserer Wirtschaft (6,48) und jedes Einzelnen (6,45) sein wird. Die Befragten stimmten vor allem der Aussage zu, dass das betriebliche Lernen künftig vermehrt mit modernen Technologien unterstützt werden wird (6,20). Eine breite Zustimmung ergab sich auch für die Auffassung, wonach das Lernen in Zukunft in den Arbeitsalltag integriert (5,61), von Lösungen der Künstlichen Intelligenz beeinflusst (5,60) und individualisiert auf die einzelnen Lernenden abgestimmt (5,48) werden wird.

Dass das Lernen mehr in Netzwerken (5,31) oder in virtuellen Lernumgebungen (5,27) stattfinden wird, wurde etwas weniger erwartet. Die geringste Zustimmung (4,73) ergab sich für die Position, dass das Lernen immer häufiger in das Privatleben integriert werden wird. Nichtsdestotrotz scheinen viele davon auszugehen, dass zukünftig nicht nur im betrieblichen, sondern auch im privaten Umfeld gelernt werden wird. Diese Ansicht vertraten Personaler (4,91) ausgeprägter als HR-Externe (4,25).

Wie positioniert sich der zunehmend wichtigere L&D-Bereich?

Die Teilnehmenden der Befragung haben sich eindeutig zur zukünftigen Bedeutung der L&D-Funktion geäußert (7-stufige Likert-Skala: -3 = nimmt stark ab, +3 = stimmt stark zu). Egal, ob als Zeithorizont 2028, 2033 oder 2044 genannt wurde: Sie erwarten einen deutlichen Bedeutungszuwachs (arithmetische Mittelwerte: 2028: +1,55, 2033: +1,48, 2044: +1,49). Die Notwendigkeit der Learning- & Development-Funktion wird also nicht infrage gestellt. Im Gegenteil: Sie wird unterstrichen. Diese Erkenntnis wird dadurch untermauert, dass die HR-Externen diese Auffassung besonders deutlich vertreten haben (2033: +1,71, 2044: +1,94).

Die Studienteilnehmenden wurden um ihre Einschätzung gebeten, für wie wahrscheinlich sie es hielten, dass sich der Bereich L&D in den nächsten zehn Jahren in den im Manifest skizzierten sechs Zukunftsfeldern positionieren kann (1 = sehr unwahrscheinlich, 7 = sehr wahrscheinlich):

Learning & Development kann sich in den nächsten zehn Jahren positionieren als ...

Arithm. Mittelwert

HR- Interne

HR- Externe

Ultra Performance L&D

5,52

5,55

5,43

Green L&D

4,75

4,69

4,90

Wild L&D

4,50

4,51

4,49

Social L&D

4,43

4,36

4,59

Well Being L&D

4,39

4,42

4,31

No L&D

3,08

3,15

2,90

Am wahrscheinlichsten schätzten die Befragten ein, dass der L&D-Bereich künftig anstrebt, den Mitarbeitenden ein schnelleres und effektiveres Lernen zu ermöglichen und dafür insbesondere auf technologische Optionen wie KI setzt. Auch die Nachhaltigkeit und damit die konsequente Ausrichtung an entsprechenden Performance- und Kompetenzmodellen könnten eine gewichtige Rolle spielen. Eher unwahrscheinlich schien den Teilnehmenden das Szenario No L&D, nach dem der zentrale L&D-Bereich im Unternehmen überflüssig wird. Auch die HR-Externen rechneten eher nicht damit, dass die Mitarbeitenden in einem lernförderlichen betrieblichen Umfeld mithilfe von offenen Ökosystemen selbstmotiviert und autonom lernen.

Wer verantwortet die Kompetenzen der Mitarbeitenden?

Die Untersuchungsteilnehmenden wurden auch um ihre Meinung gebeten, wer in welchem Umfang dafür die Verantwortung trägt, dass die Mitarbeitenden über die in der Organisation benötigten Kompetenzen verfügen. Dazu wurde abgefragt, wer aktuell verantwortlich ist und wer dies in Zukunft sein wird (1 = überhaupt nicht verantwortlich, 7 = voll und ganz verantwortlich):

Verantwortung für die in der Organisation benötigten Kompetenzen

Aktuell

Zukunft

Differenz

Einzelne Mitarbeitende

5,20

6,10

+0,90

Jeweilige Führungskräfte

5,63

5,87

+0,24

Geschäftsführung

4,58

5,03

+0,45

HR-Bereich im Allgemeinen

4,57

4,64

+0,07

Betrieblicher Learning- & Development-Bereich

5,43

5,58

+0,15

Überbetriebliche Learning-& Development-Anbieter

3,79

4,23

+0,44

Zunächst fällt auf, dass alle genannten Beteiligten in Zukunft noch mehr Verantwortung für die erforderlichen Kompetenzen der Mitarbeitenden haben. Deutlich wird, dass die einzelnen Mitarbeitenden zukünftig im Vergleich zu jetzt noch erheblich mehr gefordert werden. Dafür spricht der Zuwachs um fast einen Skalenpunkt. Doch nicht nur die Mitarbeitenden selbst tragen mehr Verantwortung dafür, dass sie die am Arbeitsplatz relevanten Kompetenzen besitzen. Auch die jeweiligen Führungskräfte und die Geschäftsführung sind hier gefragt. Der betriebliche L&D-Bereich soll ebenfalls einen wesentlichen Beitrag leisten. 

Interessant ist hier ein Blick auf die Einschätzungen der Befragten mit und ohne Führungsaufgaben. Sie stimmen weitgehend überein, insbesondere darin, dass es künftig noch mehr auf die einzelnen Mitarbeitenden ankommt, die gefragten Kompetenzen parat zu haben. Bemerkenswert ist, dass die leitenden Angestellten bzw. Geschäftsführungsmitglieder ihre eigene Verantwortung für die in der Organisation benötigten Kompetenzen tendenziell höher einschätzen als die anderen Befragten (1 = überhaupt nicht verantwortlich, 7 = voll und ganz verantwortlich):

Aktuelle Verantwortung für die in der Organisation benötigten Kompetenzen

Gesamtstichprobe

Mitarbeitende ohne Führungsaufgaben

Mitarbeitende mit Führungsaufgaben

Leitende Angestellte /
Geschäftsführung

Einzelne Mitarbeitende

5,20

5,11

5,07

5,61

Jeweilige Führungskraft

5,63

5,72

5,38

6,15

Geschäftsführung

4,58

4,32

4,52

5,45


Zukünftige Verantwortung für die in der Organisation benötigten Kompetenzen

Gesamtstichprobe

Mitarbeitende ohne Führungsaufgaben

Mitarbeitende mit Führungsaufgaben

Leitende Angestellte /
Geschäftsführung

Einzelne Mitarbeitende

6,10

6,14

5,95

6,30

Jeweilige Führungskräfte

5,87

5,78

5,78

6,06

Geschäftsführung

5,03

4,76

5,17

5,39

Wichtige Tätigkeitsfelder von L&D

Die Studie beschäftigte sich auch damit, wie in den kommenden zehn Jahren die Bedeutung verschiedener L&D-Tätigkeitsfelder sein wird. Zwölf Bereiche wurden aufgrund der Vorrecherchen thematisiert. Es kam, nicht ganz überraschend, heraus, dass alle Tätigkeitsfelder relevant sind und keines unbedeutend ist. Insgesamt zeigte sich, dass der Aufbau und die Orchestrierung von Lern-Ökosystemen am vergleichsweise bedeutendsten eingeschätzt wurden. Organisationales Lernen, Skills-/Kompetenzmanagement sowie Lernberatung/Coaching wurden ähnlich wichtig angesehen (1 = eher untergeordnete Bedeutung, 7 = ganz besonders große Bedeutung):

Zukünftige Tätigkeitsfelder von Learning & Development

Arithm. Mittelwert

HR-Interne

HR-Externe

AUFBAU UND ORCHESTRIERUNG VON LERN-ÖKOSYSTEMEN

zum Beispiel: Integration verschiedener Lernangebote, Unterstützung von selbstbestimmtem Lernen, Unterstützung bei der Erstellung und Nutzung nutzergenerierter Lerninhalte

5,74

5,89

5,37

ORGANISATIONALES LERNEN

zum Beispiel: Change Management, Transformationsbegleitung, Lerntransfermanagement, Transformationskatalysatoren

5,62

5,82

5,10

SKILLS-/KOMPETENZMANAGEMENT

zum Beispiel: Future Skills, Job-/Skillmatching

5,55

5,57

5,49

LERNBERATUNG/-COACHING

zum Beispiel: Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeitenden, Sicherung der nachhaltigen Performance der Mitarbeitenden, Förderung Benachteiligter

5,50

5,58

5,31

EINSATZ VON KI-APPLIKATIONEN

zum Beispiel: Einsatz von Mensch-Maschinen-Intelligenz im L&D-Umfeld bei der Erstellung von nutzergenerierten Inhalten, Learning Data Analytics und Ableitung für unternehmensrelevante Themen

5,40

5,33

5,61

INNOVATION

zum Beispiel: Trend Scout für neue L&D Applikationen und Methoden, Pioneering und Innovation Labs, Learning Metaverse Design, Testfeld für neue Organisationsformen, Erprobung und Einsatz von Virtuelle Lernformen& Virtual/Augmented Reality, Learning Metaverse Design

5,35

5,35

5,35

AUSBILDUNG / QUALIFIZIERUNG

zum Beispiel: betriebliche Aus- und Weiterbildung, Fachschulungen, Angebot IT-gestützter Lernformen

5,30

5,15

5,67

LEARNING DATA ANALYTICS

zum Beispiel: Ableitung für unternehmensrelevante Themen

5,27

5,34

5,08

BUSINESSPARTNER FÜR GESCHÄFTSBEREICHE

zum Beispiel: aktive Unterstützung der Transformation

4,99

5,06

4,80

AUFBAU VON SOCIAL CAPITAL

zum Beispiel: Gestaltung von physischen und virtuellen Lernräumen, Hackathons, Labs, BarCamps

4,99

4,98

5,02

TRAININGSORGANISATION

zum Beispiel: Trainingsdurchführung, Konzeption von Trainings, Qualitätssicherung externer Bildungsangebote

4,56

4,34

5,14

SCHNITTSTELLE ZU GESELLSCHAFTLICHEM ENGAGEMENT

zum Beispiel: Projekte für Mitarbeitenden, Green and Social Influencing, Unterstützung für ESG-Themen

4,33

4,34

4,31

Auffallend ist, dass die HR-Externen die Bedeutung der Tätigkeitsfelder teilweise etwas anders beurteilten. So stuften sie die Relevanz der eher klassischen L&D-Aufgaben Ausbildung und Qualifizierung und der Trainingsorganisation höher ein als die befragten Personalmanager, die ihrerseits den Aufbau und die Orchestrierung von Lern-Ökosystemen und das organisationale Lernen als besonders wichtig ansahen.

Um weiter zuzuspitzen, wurden die Befragten gebeten, unter den zwölf Tätigkeitsfeldern die drei wichtigsten auszuwählen. Ihre Antworten bestätigten weitgehend die absolute Einschätzung von deren Bedeutung. 48,1 Prozent zählten den Aufbau und die Orchestrierung von Lern-Ökosystemen zu den Top drei, 42,1 Prozent das organisationale Lernen. Von den Personalerinnen und Personalern waren es sogar 54,5 beziehungsweise 49,2 Prozent, die diese Priorisierung vornahmen. 

Ein etwas anderes Bild ergab sich bei den Nichtpersonalern: Mit 51,0 Prozent nannte über die Hälfte von ihnen den Einsatz von KI-Applikationen als einen der drei bedeutendsten Tätigkeitsbereiche. 37,3 Prozent priorisierten die Lernberatung/Coaching sowie 33,3 Prozent die Ausbildung / Qualifizierung.

Fazit, oder: Noch einiges zu tun! 

Diese Studie liefert wichtige Denkanstöße aus mehreren Perspektiven zum Lernen der Zukunft, auch wenn sie natürlich nicht repräsentativ ist. Die Ergebnisse unterstreichen die herausragende Bedeutung, die das Lernen für die Gestaltung unserer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zukunft hat. Es liegt an jedem Einzelnen, ständig die nötigen Kompetenzen weiterzuentwickeln und zu erneuern. Dennoch sind alle Führungskräfte und L&D-Bereiche gefordert, diesen Prozess aktiv zu begleiten und zu fördern.

Nicht nur HR-Experten, sondern auch Personen aus anderen Bereichen erwarten eine weiter zunehmende Bedeutung von L&D. Dies sollte den L&D-Verantwortlichen Mut machen. Zugleich signalisiert die Studie, dass von L&D erwartet wird, traditionelle Methoden mit neuester Technologie zu kombinieren. Investitionen in digitale Tools wie adaptive Lernsysteme oder künstliche Intelligenz könnten den Lernprozess effizienter und schneller gestalten. L&D-Spezialisten sind demnach aufgefordert, sich als Vermittler und Organisatoren von Lernumgebungen zu sehen und in dieser Rolle aktiv zu werden, um ihre Position in den Unternehmen zu festigen.


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