Recruiting: Sprachliche Fehler in Stellenanzeigen

Jedes zweite Unternehmen in Deutschland klagt mittlerweile lautstark über den "Fachkräftemangel". Doch offenbar sind vielen Arbeitgebern ihre potenziellen Bewerberinnen und Bewerber ziemlich egal. Diesen Eindruck erwecken jedenfalls die vielen sprachlichen Mängel in Stellenanzeigen.

Wer sich für eine neue Stelle bewirbt, darf sich keine großen Hoffnungen auf den Job machen, wenn er oder sie einen Tippfehler im Anschreiben übersehen hat. So wichtig nehmen Arbeitgeber die korrekte Rechtschreibung, wenn sie die eingegangenen Bewerbungen sichten. Die Suchfolge "Rechtschreibfehler Bewerbung" bringt es bei Google aktuell auf immerhin 800.000 Treffer. Auf diesem Rechercheweg erfahren wir zudem, dass Bewerberinnen und Bewerber von einem großen Teil der Recruiterinnen und Recruiter schon bei einem einzigen Fehler eine Absage erhalten.

Goldene Zeit der Bewerberabwehr

Eine solche Haltung stammt noch aus der goldenen Zeit, als Personalverantwortliche über einen schwarzen Gürtel in der Disziplin "Bewerberabwehr" verfügen mussten, um die Masse an Eingängen verzweifelter Jobsuchender bewältigen zu können.

Das ist bekanntlich Geschichte. Heute gilt es, überhaupt erst einmal qualifizierte Bewerbungen zu erhalten und Jobsuchende von den eigenen Qualitäten zu überzeugen. Dass das längst noch nicht zu allen rekrutierenden Unternehmen durchgedrungen ist, zeigen Grammatik- und Rechtschreibfehler in aktuellen Online-Stellenanzeigen. Die sind gar nicht selten. Dazu einige Beispiele.

Reflektion oder Reflexion?

Bekanntlich drehen Personalerinnen und Personaler bei den Anforderungsprofilen richtig auf. Ein Maschinenhändler etwa verlangt vom Vertriebsmitarbeiter oder der Vertriebsmitarbeiterin in spe die "Fähigkeit zur Selbstreflektion". Auch in der Pflege und im Sozialwesen steht das Leuchten aus sich selbst heraus – oder was immer der Begriff "Reflektion" hier bedeuten mag – hoch im Kurs. Eine Bank etwa stellt dem künftigen Leiter oder der künftigen Leiterin Kundenservice die neue Aufgabe als von "Reflektion und Coaching" geprägt vor. Wenn ihr nicht werdet wie die Reflektoren…

Aquise oder Akquise?

Was Vertriebsspezialistinnen und Vertriebsspezialisten sprachlich draufhaben sollten, ist die Kundengewinnung, fremdsprachlich "Akquise". Denn ohne Selbige ist im Sales alles nichts. Ein Premiumhotel legt seinen Mitarbeitenden von Morgen dagegen die "Aquise" als Aufgabe nahe. Auch ein Finanzunternehmen möchte da nicht hintenanstehen und setzt im Vertrieb voll und ganz auf "Aquise".

Keine Angst vor Praktikas

Schon ein Klassiker unter den sprachlichen Fehltritten in Stellenanzeigen sind die "Praktikas", die sich Arbeitgeber gleich in der Mehrzahl von ihrem Nachwuchs wünschen. Für die Ausbildung zum Pflegefachmann oder zur Pflegefachfrau etwa setzt eine große Krankenhauskette neben der ebenso unvermeidlichen wie beliebigen "Kommunikations- und Teamfähigkeit" auch "Praktikas oder Freiwilligendienst in Einrichtungen des Gesundheitswesens" voraus. Und ein in eigenen Worten "globaler Vorreiter für Technologien und digitale Lösungen in der Smart Industry" wünscht sich bei Absolventinnen und Absolventen schon absolvierte "Praktikas".

Dein Anforderungsprofil

Apropos Anforderungen: Manchmal ist das mit der richtigen Perspektive und der Ansprache der Zielgruppe ganz schön schwierig – offensichtlich zu schwierig für viele Autorinnen und Autoren von Stellenanzeigen. So zählt ein riesiges Verkehrsunternehmen unter der Zwischenüberschrift "Dein Anforderungsprofil" seine Anforderungen an die Wunschkandidatinnen und -kandidaten auf. Korrekt wäre aber nicht "Dein Anforderungsprofil", sondern "Unser Anforderungsprofil". Oder möchte das Unternehmen, dass die Jobsuchenden vor lauter Dankbarkeit die Wünsche des Unternehmens an die Qualifikation dermaßen verinnerlichen, dass sie nicht mehr zwischen "Dein" und "Mein" unterscheiden können? Jedenfalls findet sich die Formulierung "Dein Anforderungsprofil" mit entsprechender Beschreibung der gewünschten Qualifikation in hunderten von Stellenanzeigen.

Das hälst du doch im Kopf nicht aus…

"Das hältst du doch im Kopf nicht aus", mag die geneigte Leserin da denken – und wird dann durch ausgiebige Stellenanzeigenlektüre durch die ihr bislang unbekannte Existenz des Verbs "halsen" überrascht. Aus der Welt der Jobannoncen tönt es scheppernd in Richtung eines künftigen Technischen Leiters oder einer Technischen Leiterin: "Du hälst den Überblick, wenn es mal heiß her geht" und "Du hälst das Team zusammen". Wer einer dermaßen anspruchsvollen Aufgabe nachgeht, sollte sich keine weiteren Jobs aufhalsen beziehungsweise "hälsen" lassen. Auch die ganz Großen können und kennen "halsen": Ein renommiertes Industrieunternehmen mit einer deutlich sechsstelligen Zahl an Mitarbeitenden richtet sich an einen Training Manager (m/w/d) in spe: "Du bist Teamplayer und hälst dich gerne an Absprachen".

Brilliant gedacht

"Be brilliant", mag sich da der eine oder die andere HR-Verantwortliche bei derart gewagten Ausflügen auf unbekanntes sprachliches Terrain gedacht – und dann vom Englischen nicht mehr ins Deutsche zurückgefunden haben, wo es "brillant" heißen muss: "Ihre brillianten Ideen kommen genau richtig für die vielfältigen Aufgabenstellungen unserer Kunden", schreibt ein sprachlich verirrter Autor in einer Jobannonce für den künftigen Marketing Manager oder die künftige Marketing Managerin.

Hauptsache die Athmosphäre stimmt

Doch sind nicht alle Wörter nur willkürliche Zeichenfolgen? Im Grunde kommt es doch einzig darauf an, dass die "Athmosphäre" stimmt, wie die Autorinnen und Autoren von Stellenanzeigen routiniert schreiben. So jazzt sich ein Textilfachgeschäft als "Traditionsunternehmen mit Startup Athmosphäre" hoch. Weitere Einzelheiten möchten wir uns heute ersparen. Und Sie auch nicht mit den bis zu 80 Substantivierungen pro Stellenanzeige ("Willkommen bei den Ungs!") quälen, die wir gezählt haben. Auch möchten wir nicht mehr die zwanghafte Neigung der Autorinnen und Autoren von Stellenanzeigen erwähnen, das Füllwort "Bereich" selbst in Jobtiteln notorisch zu nutzen. Diese Neigung ist besonders unverständlich, weil der Zeichenplatz im Jobtitel Gold wert ist und dringend gebraucht wird, damit sich Nachfrage und Angebot treffen.

Mangel an Wertschätzung

Diese sprachlichen Marotten und Schnitzer sind allzu menschlich. Zugleich zeugen sie von einer Haltung, die nicht so recht zu den aktuellen Verhältnissen auf den Arbeitsmärkten passen möchte. Wer nicht weiß, wie die Wörter richtig geschrieben werden, bemüht ein Rechtschreibprogramm, schaut im Duden nach oder fragt eine Kollegin oder einen Kollegen, bevor der Text veröffentlicht wird.

Wer die Zeit dafür nicht aufbringen möchte, dem fehlt es am Respekt vor der eigenen Aufgabe und vor den Jobsuchenden – oder an der Einsicht in die Begrenztheit der eigenen Fähigkeiten. Oder es mangelt an Kenntnissen zu den tatsächlichen Marktverhältnissen sowie am Verständnis dafür, dass jede Stellenanzeige eine offizielle Selbstkundgabe des Unternehmens darstellt. Oder alles zusammen. Wertschätzung in Zeiten des generalisierten "Fachkräftemangels" geht jedenfalls anders.


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