Homeoffice beschleunigt Wandel zur Gig Economy

Seit Beginn der Corona-Pandemie arbeiten immer mehr Menschen im Homeoffice. Und da dies in den vergangenen Monaten erstaunlich gut funktioniert hat, wollen viele Unternehmen dieses Arbeitsmodell als dauerhafte "neue Normalität" etablieren – nicht zuletzt, um Büromieten zu sparen. Wohin diese Entwicklung führen könnte, skizziert Professor Dr. Swen Schneider.

In den vergangenen Wochen und Monaten war häufig zu lesen, dass die Corona-Pandemie die Transformation der Arbeitswelt hin zu "New Work" befeuert. Für den "Erfinder" des Konzepts, Frithjof H. Bergmann [Bergman17], bedeutet New Work vor allem Sinnerleben und Selbstverwirklichung bei der Arbeit – mehr Souveränität, mehr Verantwortung, aber auch mehr persönliche Freiheiten für die Arbeitnehmer. Arbeitnehmer sollen ihre Werte und Überzeugungen in Einklang mit ihrer Arbeit bringen können, womit wiederum eine höhere Performance und mehr Engagement einhergeht.

Auf der anderen Seite führt die Flexibilisierung der Arbeitswelt, die den Arbeitnehmern eben jene Souveränität und Freiheiten ermöglicht, oftmals zum Verlust langfristiger Arbeitsverhältnisse. Unternehmen arbeiten stärker in Projektstrukturen, in denen kleine Aufträge kurzfristig an unabhängige Selbstständige oder geringfügig Beschäftigte vergeben werden. Eine solche Art der Zusammenarbeit wird auch als Gig Economy bezeichnet.

Homeoffice – wirklich ein Erfolgsmodell?

Derzeit sehen viele Homeoffice als Erfolgsmodell – Arbeitnehmer wie Arbeitgeber. Die einen, weil sie die größere Souveränität schätzen, die anderen, weil sie Einsparpotenziale wittern. Doch ist das Dauer-Homeoffice wirklich ein Erfolgsmodell?

Zu Beginn der Cornona-Pandemie wurde das Homeoffice als Ausnahmesituation deklariert, und viele Arbeiter begrüßten die gewonnene Zeitsouveränität. Bei einer dauerhaften Arbeit im Homeoffice wird dies vielleicht anders gesehen werden, da für den Arbeitnehmer dadurch auch zusätzliche Kosten entstehen. Finanzielle Regelungen wie die Übernahme von Stromkosten durch den Arbeitgeber oder die Bereitstellung der digitalen Infrastruktur (Bildschirme, Drucker, Scanner, Internet etc.) sind bei den meisten Unternehmen (noch) nicht etabliert.

Solange Homeoffice zeitlich begrenzt ist, stehen auch Fragen der Ergonomie nicht im Vordergrund, und der "Arbeitsplatz am Küchentisch" wird akzeptiert. Bei dauerhafter Beschäftigung im Homeoffice rücken aber die Themen Arbeitsschutz und Ergonomie und somit Fragen der richtigen Büromöbel, technischen Ausrüstung, Beleuchtung am Arbeitsplatz etc. in den Blickwinkel (lesen Sie dazu: Gesundes Homeoffice - was Arbeitgeber wissen müssen). Zu beachten ist, dass der Begriff Homeoffice nicht genau definiert ist. Während es für Heimarbeit oder Telearbeit sehr wohl gesetzliche Regelungen gibt, ist dies für sogenannte Mobilarbeit nicht der Fall. Nicht umsonst werden die derzeit genutzten Modelle als "Mobiles Office", "Flexi-Work" oder "Hybrides Arbeiten" bezeichnet, um die gesetzlichen Regelungen, die für echte Heimarbeit einzuhalten wären, zu umgehen. (Lesen Sie dazu: Was Mobilarbeit von Homeoffice unterscheidet).

Auch der Datenschutz ist im Homeoffice eine Herausforderung. Eine Kamera, die in den privaten Raum schaut und die Arbeitsumgebung observiert, kann hierbei keine allgemeine Lösung sein. Auch dass der Chef sich das vertragliche Recht einräumt, (jederzeit) die Wohnung zu betreten, um zu prüfen, ob alle Akten/Dokumente/Notizen vertrauensvoll verstaut sind, wird nicht möglich sein.

Dies ist nur ein Teil der rechtlichen, finanziellen und organisatorischen Schwierigkeiten, die dauerhaftes Homeoffice mit sich bringen würde. Viel entscheidender sind aber noch andere Aspekte: Wie verändert sich die Führung und Zusammenarbeit von Teams und wie wirkt sich das auf die Entwicklung der Arbeitswelt insgesamt aus?

Die Unternehmenskultur unterstützt (noch) die Zusammenarbeit

Die lokale Flexibilität funktioniert derzeit (noch), weil Kollegen und Teams schon lange vertrauensvoll (offline) zusammengearbeitet haben und über die Unternehmenskultur zusammengeschweißt werden. Das soziale Kapital, das auf dem "Sich-Kennen" basiert, schwindet allerdings mit der Zeit - was insbesondere bei der Integration von neuen Kollegen und jungen Berufseinsteigern zu Herausforderungen führt.

Oftmals ist zu lesen, die Performance sei im Homeoffice höher. Dazu gibt es bisher aber noch wenige Studien. Man kann davon ausgehen, dass viele Studienteilnehmer in entsprechenden Befragungen zur Performance im Homeoffice auch "strategisch" antworten, weil sie die Zeitsouveränität im Homeoffice gerne beibehalten möchten. Die tatsächliche Performance im Homeoffice ist schwer messbar. Auch im Büro kann die Performance der Arbeitnehmer sehr unterschiedlich sein, doch sah der Chef immerhin, dass seine Mitarbeiter präsent waren. Zwar postulierten viele Unternehmen schon vor der Corona-Pandemie, dass sie auf Ergebnisorientierung setzen statt auf Präsenzkultur. Unsere klassischen Arbeitsverhältnisse sind aber immer noch stark von der zeitlichen Dimension geprägt (Stichwort "Acht-Stunden-Tag").

Comeback des "Management by Objectives"

Schon durch lokal verteilte Teams und Remote-Chefs, aber erst recht bei Homeoffice ist die zeitliche Dimension nicht mehr nachvollziehbar. Dadurch verliert die Arbeitszeit als Steuerungsinstrument an Bedeutung. An ihre Stelle treten Zielvereinbarungen und definierte Arbeitspakete, die zu erledigen sind. Das klassische "Management by Objectives" wird vermutlich ein Comeback erleben. Diese Form der Steuerung funktioniert jedoch nur, wenn die Ziele abgrenzbar und die Ergebnisse messbar sind. Die Arbeit muss also in überschaubare, klar beschriebene Arbeitspakete eingeteilt werden.

Laut einer aktuelle Studie von Linkedin klagen mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer über häufigen Termin- und Leistungsdruck, 50 Prozent der Büroarbeiter fühlen sich überfordert. Eine Steuerung über Ziele wird dies verschärfen - gerade, wenn ein Mitarbeiter schnelle und gute Ergebnisse abliefert. Denn dies kann dazu führen, dass immer mehr und immer höhere Ziele gesetzt werden (mehr Arbeitspakete in immer kürzerer Zeit sowie höhere Qualitätserwartungen) - bis hin zur Überforderung.

Abgegrenzte Arbeitspakete können leichter outgesourct werden

Und noch ein weiteres Problem bringt die Steuerung über Ziele mit sich: Sind solche abgegrenzten Arbeitspakete erst einmal dokumentiert und nachvollziehbar, sind diese nicht mehr so fest an die Arbeitnehmer gebunden und können je nach Bedarf an freie Mitarbeiter vergeben werden oder dauerhaft in andere Länder mit niedrigeren Löhnen outgesourct werden (Verfügbarkeit und Know-how vorausgesetzt). Von hier aus ist der Schritt zur typischen Ausprägung der Gig Economy nicht mehr weit: Statt der Vergabe an Freelancer oder Outsourcing-Dienstleister, zu denen man eine längerfristige Beziehung pflegt, werden die Arbeitspakete dann weltweit auf elektronischen Marktplätzen, sogenannten Crowdworking-Plattformen, versteigert.

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Meine Hypothese: Die Ausweitung des Homeoffice als Arbeitsmodell in und nach der Corona-Krise beschleunigt den Wandel zur Gig Economy, in der es nur noch wenige Festangestellte mit privilegiertem, bezahlten Büroarbeitsplatz und mobilem Arbeitsplatz gibt, ergänzt um viele Zulieferer, Freiberufler und sonstige Stakeholder. Damit schaffen sich die Arbeitnehmer, die sich jetzt (noch) über die gewonnenen Freiheiten im Homeoffice freuen, letztlich selbst ab.

Vom Homeoffice zur Gig Economy

Jenseits des Homeoffice: Wie kann das New Normal aussehen?

Viele Unternehmen denken bereits jetzt darüber nach, Büroflächen abzumieten. Aufgrund von langfristigen Mietverträgen sollten solche Überlegungen auf jeden Fall in die Unternehmensstrategie mit einbezogen werden. Es ist wenig sinnvoll, leere Büroräume und Schreibtische vorzuhalten, wenn der Arbeitnehmer beispielsweise nur einmal pro Woche "vor Ort" arbeitet. Bestätigt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer, dass es keinen betrieblichen Arbeitsplatz mehr gibt, kann dieser seinen häuslichen Arbeitsplatz zudem auch in seiner Einkommensteuererklärung geltend machen. Zwar wird voraussichtlich kein Unternehmen komplett auf Büros verzichten, aber dass durch die Ausweitung des Homeoffice die benötigten Flächen kleiner werden, ist sehr wahrscheinlich.

Die Herausforderungen des New Normal sind, diese begrenzten Platzressourcen intelligent zu steuern, Kontaktbeschränkungen einzuhalten und gleichzeitig bewusst am oben genannten "sozialen Kapital" der Teams und des gesamten Unternehmens zu arbeiten. Ein wöchentliches "physisches" Treffen des Teams im realen Büro (und danach fahren alle wieder nach Hause) reicht hierzu gegebenenfalls nicht aus. Shared-Desk-Modelle (mit entsprechendem Hygienekonzept) werden sicher Teil des New Normal. Auch Gruppen- und Besprechungsräume sowie Orte, um sich informell auszutauschen, gehören gewiss dazu. Es wird "Wohlfühlräume" geben, die die Kreativität fördern, aber auch eine Vertrautheit erlauben, um informelle Dinge zu besprechen. Intelligente Termin- und Arbeitsplaner werden die zeitliche Belegung der begrenzt zur Verfügung stehenden Arbeitsplätze steuern. Sie sorgen dafür, dass nicht zu viele Mitarbeiter im Büro anwesend sind (Kontaktbeschränkung), aber auch, dass die Mitglieder eines Teams zeitgleich zusammenkommen. Denn nichts ist frustrierender, als allein im Büro zu sitzen oder niemanden zu kennen.


Quellen:

  • NWX17 - Prof. Dr. Frithjof Bergmann auf der Xing New Work Experience 2017; https://www.youtube.com/watch?v=29IoGFD86QM (11.11.2020)
  • Linkedin; Studie zur mentalen Gesundheit - wie es den Deutschen im Homeoffice geht; 2020
  • Picot, A. et.al.: Die grenzenlose Unternehmung. Information, Organisation und Management; 1998


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Schlagworte zum Thema:  Homeoffice, New Work, Coronavirus