Kommentar zur Bundestagswahl: Wohin steuert das Arbeitsrecht?

Das Ergebnis der Bundestagswahl lässt offen, wie die künftige Bundesregierung aussehen wird. Derzeit wird sondiert, gesprochen, ausgelotet. Aus den unterschiedlichen Wahlprogrammen der infrage kommenden Regierungsparteien einen Koalitionsvertrag zu formen, wird ein schwieriges Unterfangen. Und wie stark die arbeitsrechtlichen Themen darin vertreten sind, lässt sich bislang nur erahnen.

Soziale Sicherheit, Wirtschaft und Arbeit sowie Umwelt und Klima waren nach Angaben der Meinungsforscher von infratest dimap die entscheidenden Themen bei der Bundestagswahl 2021. Die Wähler wollen Stabilität in einer Zeit des Wandels und Normalität nach der Coronapandemie.

"Den Wähler" gibt es allerdings nicht. Während beispielsweise 43 Prozent der CDU-Anhänger Wirtschaft und Arbeit, aber nur acht Prozent Umwelt und Klima als wichtigste Themen nannten, waren es bei den Grünen 82 Prozent beim Klima und nur zwei Prozent beim Thema Arbeit. Wer in den kommenden Koalitionsverhandlungen nicht schon den Grundstein für eine enttäuschte Wählerschaft legen möchte, die ihre Kreuzchen bei der nächsten Wahl wieder woanders macht, wird aufpassen müssen, die Kernthemen, die der eigenen Wählerschaft besonders wichtig waren, nicht einem möglicherweise kleinsten gemeinsamen Nenner zu opfern.

Die Suche nach Gemeinsamkeiten

Grüne und FDP haben begonnen sich darüber zu unterhalten, wo und wie man sich inhaltlich entgegenkommen kann. Die gefundene gemeinsame Linie wiederum wird die Basis sein, um dann mit der SPD oder CDU in Verhandlungen einzutreten. Viele Gemeinsamkeiten finden sich allerdings nicht, betrachtet man die Wahlprogramme der Grünen und der FDP. Im für HR wichtigen Bereich "Arbeit" sind die Unterschiede enorm. Ob Mindestlohn, Minijobs, Leiharbeit oder Entgeltgleichheit – weiter könnten die Positionen kaum auseinanderliegen. (Lesen Sie dazu auch: Bundestagswahl 2021 -  was die Parteien arbeitsrechtlich vorhaben.)

Es gibt gemeinsame Pläne, die Arbeitszeit flexibilisieren zu wollen, allerdings wird Flexibilisierung bei den Grünen aus der Perspektive des Arbeitnehmers betrachtet, während die FDP hier die Brille der Unternehmen aufhat. Die Themen Mitarbeiterkapitalbeteiligung und betriebliche Weiterbildung bieten hingegen vielversprechende Ansätze, gemeinsame Ziele zu definieren. Beide Parteien sind mit der Forderung angetreten, Mitarbeiterkapitalbeteiligung in größerem Maße zu ermöglichen und die Ideen beider Parteien zu Weiterbildungs-BAföG und Bildungsauszeiten sind nicht weit voneinander entfernt.

Arbeit und Soziales als Feld für Kompromisse

Man kann aber schon jetzt vermuten, dass gerade das Thema Arbeit für beide Parteien zur Verhandlungsmasse gehören wird, bei der sie kompromisswillig sind. Die FDP hat schon in ihrem Wahlprogramm - in dem der "modernen Arbeitswelt" gerade einmal drei dürftige Seiten eingeräumt wurden - erkennen lassen, dass hier nicht der Schwerpunkt der FDP-Politik liegt. Bei den Grünen ist das Kapitel "Gute Arbeit und faire Löhne" zwar deutlich ausführlicher ausgefallen, aber die Umfragen zeigen eindeutig, dass dies nicht das Kernthema der grünen Wähler ist. Gehen die Grünen hier Kompromisse ein, opfern auch sie keine Positionen, für deren Aufgabe sie von ihren Stammwählern gekreuzigt werden.

Ampelkoalition könnte bekannte HR-Themen wiederbeleben

Von daher wird für die Richtung, in welche sich die wichtigen Personalthemen in der kommenden Legislaturperiode entwickeln werden, ganz entscheidend sein, ob Grüne und FDP sich mit der SPD zu einer Ampelkoalition oder mit der CDU zu einer Jamaika-Koalition zusammentun.

Schwingt das Pendel bei den Personalthemen mit der SPD in Richtung "soziale Gerechtigkeit" (dafür wurde die SPD von ihren Wählern gewählt), dann werden den Personalern in Deutschland einige Themen wieder begegnen, die das SPD-geführte Arbeitsministerium unter Hubertus Heil schon in den letzten vier Jahren vorangetrieben hat: Rechtsanspruch auf Homeoffice, Beschränkung sachgrundloser Befristungen, Abschaffung von Minijobs oder die Erhöhung des Mindestlohns. Zumal hier zwischen der SPD und den Grünen große inhaltliche Schnittmengen bestehen.

Jamaika: Mehr Branchenregelungen im Arbeitsrecht

Käme es zu einer Jamaika-Koalition, die derzeit etwas weniger wahrscheinlich zu sein scheint als eine Ampel, werden einige Themen wohl auf die tarifliche Ebene verlagert werden. Man würde es also den Tarifvertragsparteien überlassen, Regelungen für ihre jeweiligen Branchen auszuhandeln, anstatt deutschlandweite gesetzliche Vorgaben zu machen. Die gesetzgeberischen Aktivitäten werden dann – hier verfolgen CDU und FDP ähnliche Ziele - eher darauf abzielen, den Unternehmen möglichst große Gestaltungsspielräume zu erhalten und die rechtlichen Vorgaben, die vom Europäischen Gerichtshof entschieden und von der Europäischen Union verabschiedet werden, in nationales Recht umzusetzen.

Keine Revolution in Sicht

Die kommenden Wochen werden zeigen, in welcher Konstellation Deutschland künftig regiert wird. Aber egal, ob Ampel oder Jamaika: Der Koalitionsvertrag muss völlig gegensätzliche Positionen so ins Gleichgewicht bringen, dass keine der an der Regierung beteiligten Parteien vor ihren Wählern das Gesicht verliert. Man lehnt sich daher wohl nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man vermutet, dass die Koalitionsvereinbarung das Arbeitsrecht nicht neu erfinden wird - zumal sich dieses zuletzt als krisenfester Fels in der Brandung erwiesen hat. Vielmehr wird es eher moderate Weiterentwicklungen in die eine oder andere Richtung geben.


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Schlagworte zum Thema:  Koalitionsvertrag, Arbeitsrecht, Bundestagswahl