EU-Kommission plant europaweite Frauenquote

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will im ersten Halbjahr 2022 eine europaweite Frauenquote in den Aufsichtsräten großer Unternehmen durchsetzen. Danach sollen Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen künftig zu mindestens 40 Prozent mit Frauen besetzt werden. KMU sollen nicht betroffen sein. Was das für Deutschland heißt, wo bislang eine niedrigere Quote gilt, erklärt Arbeitsrechtler Dr. Hans-Peter Löw.

Haufe Online Redaktion: Herr Löw, wie ist vor dem Hintergrund der bereits existierenden Regelungen in Deutschland der neue Vorstoß von Frau von der Leyen zu sehen?

Hans-Peter Löw: Der Frauenanteil in den Chefetagen europäischer Unternehmen steigt, allerdings nur sehr langsam. Der neue Vorstoß gibt Anlass zur Hoffnung, dass das Thema Frauenquote nun auch auf EU-Ebene angegangen wird. Der neue Vorstoß von Frau von der Leyen geht auf einen Richtlinienvorschlag aus dem Jahre 2012 zurück, der eine Geschlechterquote von 40 Prozent für Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen vorsah. In Deutschland liegt die Vorgabe für die Frauenquote in Aufsichtsräten seit dem ersten Führungspositionengesetz (FüPoG) im Jahr 2015 bei 30 Prozent – dieser Anteil von zehn Prozentpunkten mehr kann einen erheblichen Unterschied bei der Neubesetzung von Aufsichtsratsmitgliedern machen.

Schauen Sie sich die Folgen des Inkrafttretens des zweiten FüPoG im August 2021 an. Hier zeigt sich, dass die Zahl der Frauen, die in die Vorstände berufen werden, schon jetzt steigt, obwohl das Mindestbeteiligungsgebot erst bei Vorstandsernennungen ab August dieses Jahrs eingreift. Der Druck des Gesetzgebers scheint also zu wirken. Spannend bleibt die Frage, ob die EU im Rahmen ihres neuen Vorstoßes über die gesetzlichen Zielvorgaben in Deutschland hinausgeht; denn dann müsste der deutsche Gesetzgeber "nachlegen".

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Haufe Online Redaktion: Sie weisen auf das FüpoG II hin, mit dem der Gesetzgeber erst vor wenigen Monaten im Sommer 2021 nachgelegt hat. Besteht im Moment überhaupt ein Bedarf in Deutschland an europäischen Vorgaben zu Frauen in Führungspositionen? Sind unsere Regelungen nicht ausreichend?

Löw: Das neue Führungspositionengesetz hat nur einen sehr begrenzten Anwendungsbereich: Die "Frauenquote im Vorstand" gilt nur für 66 Unternehmen. Bisher betrifft es nämlich nur börsennotierte Gesellschaften, die gleichzeitig paritätisch mitbestimmt sind. Um noch mehr Frauen die gleichberechtigte Teilhabe an Führungspositionen zu ermöglichen, war erwogen worden, das Gesetz etwa auf die Vorstände aller börsennotierten oder mitbestimmten Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten auszuweiten. Damit hätte das Gesetz die nötige Breitenwirkung bekommen.

Im Gegensatz dazu ist der Anwendungsbereich der EU-Gesetzesinitiative deutlich weiter als die deutschen Regelungen, weil die EU lediglich die kleinen und mittleren Unternehmen ausnehmen will. Das sind Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitenden und einem Umsatz von weniger als 50 Millionen Euro. Im Vergleich hierzu sieht der Koalitionsvertrag der neuen Ampelregierung vor, bei der Berechnung der Schwellenwerte nach dem Drittelbeteiligungsgesetz zukünftig auch die Arbeitnehmenden aus Tochtergesellschaften einzubeziehen. Das wird zu einer deutlichen Erhöhung von Aufsichtsratsgremien führen, die wiederum alle ohne Weiteres unter die geplante EU-Richtlinie fallen würden. Es lohnt sich also, die weitere Rechtsentwicklung genau zu verfolgen.

Gesetzliche Zielvorgaben sind ein notwendiger Impuls

Haufe Online Redaktion: Im Vergleich zur deutschen 30-Prozent-Regelung halten Sie den Vorschlag der EU-Kommissionspräsidentin dennoch für deutlich weniger rigide. Warum?

Löw: Der Richtlinienvorschlag aus dem Jahre 2012 stellt einen vergleichsweise langen Zeitraum zur Verfügung, um die Zielvorgaben zu erreichen. Zur Umsetzung sollten die Unternehmen ein Verfahren entwickeln, um bis zum Jahr 2020, also über einen Zeitraum von acht Jahren, diese Zielquote zu erreichen. Damals kam eine ausreichende Mehrheit unter den EU-Ländern nicht zustande. Verschiedene nationale Initiativen haben aber gezeigt, dass eine Quote über eine gesetzliche Regelung die stärkere Beteiligung von Frauen voranbringt.

Es bleibt natürlich abzuwarten, welchen Umsetzungszeitraum die EU-Kommission bei ihrem neuen Vorstoß zur Erreichung der Zielvorgabe von 40 Prozent vorgeben wird. Bei einer Verkürzung der Umsetzungsfristen wären erste Ergebnisse schneller sichtbar und der Umwandlungsprozess kann nicht "auf die lange Bank" geschoben werden. Außerdem enthielt der damalige Regelungsvorschlag keine Sanktionen bei Verfehlung der Zielerreichung.

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Haufe Online Redaktion: Kann eine gesetzlich vorgegebene Frauenquote Ihrer Meinung nach überhaupt effektiv die Besetzung des Managements auf Führungsebene beeinflussen oder besteht die Gefahr, dass Unternehmen die Vorgaben ignorieren und auf die "Zielgröße Null" setzen?

Löw: Der Frauenanteil in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft steigt, allerdings nur langsam. Es ist davon auszugehen, dass ohne die gesetzlichen Vorgaben noch weniger (bis nahezu kaum) Frauen ihren Weg in die Führungspositionen gefunden hätten – einfach deshalb, weil es keinen Druck hin zu mehr Diversität gegeben hätte. Insofern sind die gesetzlichen Zielvorgaben ein notwendiger Impuls, um diese Entwicklung voranzutreiben. Diese Auffassung wird mittlerweile nach jahrzehntelangen Diskussionen von den Experten beiderlei Geschlechts ganz überwiegend geteilt. Die Konsequenz einer Zielverfehlung muss schließlich nicht zwingend der "leere Stuhl" sein. An weiblichem Führungskräftenachwuchs mangelt es jedenfalls nicht – auch wenn das oft als vermeintliches Argument gegen eine schnelle Umsetzung der Gleichstellung angebracht wird. Es gibt zum Beispiel genauso viele Betriebswirtschaftlerinnen wie Betriebswirtschaftler - und diese Fachrichtung stellt die Hälfte der Vorstände. Es wird künftig also noch schwieriger, eine "Zielgröße Null" zu begründen.

Diversität wird auch dem Kapitalmarkt immer wichtiger

Haufe Online Redaktion: Wie Sie eben bereits ansprachen, sind in dem nun erneut diskutierten Vorschlag der EU-Kommission keine Sanktionen für Unternehmen vorgesehen, die die Quote nicht einhalten. Die Unternehmen müssen aber erklären, warum es ihnen nicht gelingt, die Vorgabe zu erfüllen. Unterscheiden sich damit dennoch die Konsequenzen einer Zielverfehlung und warum?

Löw: Grundsätzlich bietet der Verzicht auf Sanktionen für Unternehmen Raum für unternehmensspezifische Besonderheiten, was sich besser mit einer liberalen Wirtschaftsordnung verträgt. Der Gesetzgeber könnte etwa Impulse setzen, um an die Selbstverantwortung der Unternehmen zu appellieren, ohne sie dabei unzumutbar einzuschränken. Es wird Sache der Mitgliedsländer sein, im Rahmen der Umsetzung in nationales Recht die effektive Durchsetzung der EU-Vorgaben sicherzustellen.

Außerdem glauben wir auch – jedenfalls bei börsennotierten Unternehmen – an die heilende Kraft des Kapitalmarktes. Investoren interessieren sich schon jetzt zunehmend für die Diversity-Programme der Unternehmen. Das Interesse begründet sich aus dem Gesichtspunkt der Social Responsibility von Unternehmen, aber auch aus der Überzeugung, dass unternehmerische Entscheidungen umso besser werden, je mehr unterschiedliche Sichtweisen bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden.

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Haufe Online Redaktion: Was raten Sie Unternehmen generell mit Blick auf die tatsächlichen Entwicklungen in Deutschland und dem nun vorliegenden Vorstoß der EU-Kommission?

Löw: Quoten und gesetzliche Regelungen wie das im Sommer in Kraft getretene FüPoG II bewirken, dass Frauen immer stärker bei der Besetzung von Führungspositionen zu berücksichtigen sind. Das ist eine riesige Chance für Unternehmen: Vor allem in der Privatwirtschaft sollten die Potenziale einer heterogenen Belegschaft für die Besetzung von Führungspositionen genutzt werden. Unternehmen sind also gut beraten, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie es möglich ist, die wirklich besten Kandidaten in unternehmensinterne Führungspositionen zu bringen. Hier sollte auf die kontinuierliche und frühzeitige Förderung junger Talente geachtet werden. Dazu gehören die Schulung der Führungskräfte mit Blick auf die diskriminierungsfreie Beurteilung von Kandidatinnen und Kandidaten und gleichermaßen das Coaching hoffnungsvoller Nachwuchstalente. Arbeitsformen, die eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen, spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Hier bleibt auch abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber die europäische "Work Life Balance"-Richtlinie umsetzen wird.

Wenn es um Diversity in Führungspositionen geht, gibt es hierzulande allerdings noch viel Handlungsbedarf. Andere europäische Ökonomien – hier lohnt sich etwa der Blick nach Skandinavien – haben längst gelernt, von ihrer Vielfalt führungstechnisch zu profitieren. Wir sind überzeugt, dass wir in Deutschland in diesem Zusammenhang noch viel Potenzial haben, das wir nutzen sollten.


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