Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Gestaltungsmissbrauch im Zusammenhang mit der steuerlichen Begünstigung von Anzahlungen nach dem FördG

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der im Aussetzungsverfahren nach § 69 Abs. 3 FGO gebotenen summarischen Prüfung bestehen ernstliche Zweifel, ob und inwieweit bei der steuerlichen Begünstigung von Anzahlungen nach dem FördG eine Zahlung schon dann als willkürlich anzusehen ist, wenn das Wirtschaftsgut im folgenden Jahr nicht geliefert wurde.

 

Normenkette

FördG § 4 Abs. 1 S. 5, Abs. 2 Nrn. 2-3; AO 1977 § 42 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Berlin (Beschluss vom 17.03.2003; Aktenzeichen 1 B 1464/02)

 

Tatbestand

I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist ein geschlossener Immobilienfonds, dessen Gesellschaftszweck der Erwerb, die Verwaltung und wirtschaftliche Nutzung von Grundstücken im Zusammenhang mit einer Seniorenresidenz ist.

Die Antragstellerin schloss 1996 einen Grundstückskaufvertrag und einen Bauerrichtungsvertrag ab. Der Grundstückskaufpreis betrug 6,5 Mio. DM, die Bauvergütung 30,55 Mio. DM. Das Bauvorhaben sollte zum 31. Oktober 1997 fertiggestellt werden. Der Erwerber konnte sich bis zum 1. Dezember 1996 dazu entscheiden, statt der am Baufortschritt ausgerichteten Zahlungsweise eine Vorauszahlung zu leisten. Der Verkäufer war in diesem Fall verpflichtet, eine Anzahlungsbürgschaft nach § 7 der Makler- und Bauträgerverordnung (MaBV) zu stellen. Die Antragstellerin machte von ihrem Wahlrecht Gebrauch und zahlte nach Bürgschaftsübernahme einer Bank gemäß § 7 MaBV über den noch nicht fälligen Teilbetrag die gesamte Vergütung in Höhe von 30,55 Mio. DM Ende Dezember 1996 im Voraus.

Die wesentlichen Bauarbeiten wurden im Streitjahr (1997) durchgeführt, so dass der Bautenstand am 19. Januar 1998 ca. 95 v.H. betrug. Lediglich der Innenausbau war noch nicht vollständig fertiggestellt.

Die Antragstellerin machte im Streitjahr Sonderabschreibungen nach dem Fördergebietsgesetz (FördG) in Höhe von 50 v.H. der im Jahre 1996 geleisteten Anzahlungen bei ihren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) erkannte die Sonderabschreibungen im Zuge einer Außenprüfung wegen Rechtsmissbrauchs nicht an. Der Einspruch blieb insoweit ohne Erfolg. Das FA berief sich auf R 45 Abs. 5 Satz 6 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) und sah in der Anzahlung eine willkürlich geleistete Zahlung, die rechtsmissbräuchlich sei, weil die Seniorenresidenz nicht im Folgejahr fertiggestellt worden sei.

Hiergegen erhob die Antragstellerin Klage, die bei der Vorinstanz anhängig ist. Sie beantragte zugleich, die Vollziehung des angefochtenen Bescheides über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung u.a. für das Streitjahr auszusetzen.

Das Finanzgericht (FG) gab diesem Antrag zum Teil statt. Zwar stünden der Antragstellerin hinsichtlich der 1996 geleisteten Anzahlung dem Grunde nach Sonderabschreibungen nach § 4 Abs. 1 Satz 5, Abs. 2 FördG zu, indes nicht in der von der Antragstellerin beantragten Höhe. Das FG folge der Verwaltungsanweisung in R 45 Abs. 5 Satz 6 EStR. Der Richtlinie sei nach Auffassung des FG der Rechtsgedanke zu entnehmen, dass bei fehlender Fertigstellung des Wirtschaftsguts im Folgejahr zumindest ein dem Baufortschritt entsprechender Teil der Vorauszahlung als Anzahlung begünstigungsfähig sei. Ausgehend von dem unstreitigen Sachverhalt, wonach das Gebäude Mitte Januar 1998 zu ca. 95 v.H. fertiggestellt worden sei, schätze das Gericht, dass dies zum 31. Dezember 1997 zu 75 v.H. der Fall gewesen sei. Demgemäß sei ein entsprechender Teil der gesamten Anschaffungskosten (also 75 v.H.) als Anzahlung zu begünstigen.

Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer vom FG zugelassenen Beschwerde, mit der sie sich vor allem gegen den unausgesprochenen Willkürvorwurf wendet. Die Frage der Willkürlichkeit von Anzahlungen sei höchstrichterlich noch nicht entschieden. Die Wertung des FG stehe im Widerspruch zur Praxis der Finanzverwaltung wie auch zur herrschenden Meinung im Schrifttum. Werde zum Ende des Folgejahres das Gebäude entgegen der Prognose nicht fertiggestellt, so folge daraus nicht zwangsläufig die Willkürlichkeit der Anzahlung. Unbeschadet der Maßgeblichkeit einer Prognose habe das FG auch den Bautenstand zum 31. Dezember 1997 mit 75 v.H. nicht nachvollziehbar geschätzt, wenn bereits Mitte Januar das Gebäude zu 95 v.H. fertiggestellt war.

Die Antragstellerin beantragt, den angefochtenen Beschluss abzuändern und die Vollziehung des Feststellungsbescheides 1997 ab Bekanntgabe mit der Maßgabe auszusetzen, dass bei der Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung des Streitjahres als Bemessungsgrundlage der zu gewährenden Sonderabschreibung von 50 v.H. auf die in 1996 geleisteten Anzahlungen auf Gebäudeanschaffungskosten vorläufig der volle Anzahlungsbetrag ―mithin 100 v.H.― zu Grunde gelegt wird.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde ist begründet.

1. Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts wegen ernstlicher Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit aussetzen. Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 14. September 1994 IX B 142/93, BFHE 175, 421, BStBl II 1995, 778; vom 20. Dezember 1994 VIII B 143/94, BFHE 176, 262, BStBl II 1995, 262, m.w.N.). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 21. Juli 1994 IX B 78/94, BFH/NV 1995, 116; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 69 Rz. 120 f.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Tz. 122, m.w.N.).

2. Bei summarischer Prüfung aufgrund des aus den Akten und dem Vortrag der Beteiligten ersichtlichen Sachverhalts ergeben sich ernstliche Zweifel, ob die 1996 geleisteten Anzahlungen nur insoweit als Bemessungsgrundlage für die Sonderabschreibung heranzuziehen sind, als das angeschaffte Gebäude bis zum Ende des Streitjahres fertiggestellt war.

a) Nach § 4 Abs. 1 Satz 5, Abs. 2 Nrn. 2, 3 FördG können Sonderabschreibungen auch auf Anzahlungen gewährt werden. Diese Vorschrift ist kein selbständiger Begünstigungstatbestand, sondern regelt lediglich die Bemessungsgrundlage für Sonderabschreibungen und setzt dementsprechend in allen Fällen voraus, dass das betreffende Wirtschaftsgut auch angeschafft wurde (BFH-Urteil vom 28. Juni 2002 IX R 51/01, BFHE 199, 388, BStBl II 2002, 758). Mit der Begünstigung wollte der Gesetzgeber dem Investor ganz bewusst ermöglichen, dass Sonderabschreibungen bereits vor Abschluss der Investitionen in Anspruch genommen werden können (so BTDrucks 12/219, S. 40 zu Art. 5 ―Gesetz über Sonderabschreibungen im Fördergebiet― § 3).

b) Für die Anwendung eines Abschreibungssatzes von 50 v.H. verlangt das Gesetz in § 4 Abs. 2 Nrn. 2 a) und 3 a) FördG ferner, dass die Investitionen vor dem 1. Januar 1999 (Nr. 1) oder nach dem 31. Dezember 1998 abgeschlossen werden, wenn Anzahlungen ―wie hier― vor dem 1. Januar 1997 geleistet wurden. Diese Voraussetzungen sind nach Aktenlage im Streitfall offensichtlich gegeben. Eine (weitere) Einschränkung, wonach das Wirtschaftsgut in dem auf die Anzahlung folgenden Jahr geliefert sein muss, enthält das Gesetz nicht.

aa) Allerdings könnte auf die Anzahlung nicht abgestellt werden, wenn darin ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts nach § 42 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) läge (vgl. dazu die BFH-Urteile vom 3. Februar 1987 IX R 85/85, BFHE 149, 213, BStBl II 1987, 492, unter 3., und vom 2. August 1988 VIII R 18/80, BFH/NV 1989, 307, unter 6.).

Die Finanzverwaltung trifft in R 45 Abs. 5 EStR 1997 eine sog. "Willkürlichkeitsregelung", auf die sich das FA im Streitfall stützt und die das FG ebenfalls zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat. R 45 Abs. 5 Satz 6 EStR 1997 weist die Finanzämter aber nur an, in welchen Fällen sie eine willkürliche Zahlung nicht anzunehmen haben und entbindet sie insoweit von der Verpflichtung, die Willkürlichkeit von Anzahlungen zu prüfen, wenn das Gebäude spätestens im folgenden Jahr geliefert wird. Daraus folgt aber nicht, dass eine Anzahlung immer dann als willkürlich anzusehen ist, wenn das Gebäude im folgenden Jahr noch nicht geliefert wird (so auch Zitzmann, Der Betrieb ―DB― 1997, 1001, 1003; Blümich/Stuhrmann, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, § 4 FördG Rz. 8 a bis 10; Blümich/Brandis, Einkommensteuergesetz, § 7a Rz. 43; kritisch zur Willkürprüfung schlechthin Fleischmann/Meyer-Scharenberg, DB 1997, 395, 398; Fleischmann in Herrmann/Heuer/Raupach (HHR), Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 7a EStG Anm. 43, m.w.N.).

Vielmehr folgt daraus lediglich, dass ―wie in allen anderen Fällen auch― geprüft werden muss, ob die gewählte Gestaltung missbräuchlich ist oder nicht. In eine derartige Prüfung sind aber weder das FA noch das FG eingetreten. Sie haben allein den Umstand, dass das Gebäude am 31. Dezember des Streitjahres noch nicht (ganz) fertig war, zum Anlass genommen, die Sonderabschreibungen in vollem Umfang (so das FA in der Einspruchsentscheidung) oder ―so die Vorentscheidung― jedenfalls zum Teil zu versagen. Eine Rechtsgrundlage dafür ist aber nicht ersichtlich.

bb) Im Streitfall sprechen auch im Übrigen keine Anhaltspunkte für einen Missbrauch. Das Gesetz selbst begünstigt Anzahlungen, so dass es jedenfalls zweifelhaft ist, ob man die zu Vorauszahlungen von Damnen ergangene Rechsprechung (vgl. BFH in BFHE 149, 213, BStBl II 1987, 492) überhaupt übernehmen kann. Aber selbst dann, wenn man sie übernähme, müssten zusätzliche Anhaltspunkte für ein missbräuchliches Gestalten gegeben sein. Diese liegen aber nach summarischer Prüfung nicht vor. Die Zahlungsweise der Antragsstellerin, die den gesamten Betrag vorausgezahlt hat, ist nach § 7 MaBV gegen Bankbürgschaft rechtlich möglich und deshalb nicht per se missbräuchlich. Im Gegenteil spricht hier die vom FG festgestellte Tatsache, dass das Gebäude Mitte Januar 1998 schon zu ca. 95 v.H. fertiggestellt war, gegen eine missbräuchliche Gestaltung.

 

Fundstellen

Haufe-Index 976174

BFH/NV 2003, 1461

BStBl II 2003, 945

BFHE 1974, 557

BFHE 2004, 557

BFHE 202, 557

BB 2003, 2113

DB 2003, 2104

DStR 2003, 1745

DStRE 2003, 1312

HFR 2003, 1070

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