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BFH Beschluss vom 21.11.1991 - V B 157/91 (NV)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit

 

Leitsatz (NV)

Die Ablehnung eines Richters wegen Fehlverhaltens erfordert grundsätzlich Anhaltspunkte, die dafür sprechen, daß das Fehlverhalten auf einer unsachlichen Einstellung des Richters oder auf Willkür beruht.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1 S. 1; ZPO § 42 Abs. 2

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Die Klägerin, Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine Ärztin, betrieb im Bezirk des Beklagten, Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt - FA -) Kliniken, die von der Umsatz-, Gewerbe- und Vermögensteuer befreit waren. Sie veräußerte eine Klinik im Jahre . . . Eine Klinik wurde . . . zwangsversteigert. Die Klägerin gab für . . . und . . . keine Umsatzsteuererklärung ab.

Aufgrund eines Wohnsitzwechsels überwies das FA die Steuerakten der Klägerin an das FA X. Mit Formularschreiben vom 8. Dezember 1982 ordnete das FA X gegen die Klägerin eine steuerliche Betriebsprüfung in der Form einer abgekürzten Außenprüfung nach § 203 der Abgabenordnung (AO 1977) an. Es sollten die Umsatzsteuer . . . bis . . . , die Einkommensteuer . . . bis . . . , die Vermögensteuer . . . sowie die Einheitswerte des Betriebsvermögens für die Stichtage 1. Januar . . . bis 1. Januar . . . geprüft werden.

Der Bundesfinanzhof (BFH) entschied mit Urteil vom 25. Januar 1989 X R 158/87 (BFHE 156, 18, BStBl II 1989, 483), daß für den Erlaß der Prüfungsanordnung hinsichtlich der Umsatzsteuer und der Einheitswerte des Betriebsvermögens nicht das FA X, sondern das im vorliegenden Rechtsstreit beklagte FA örtlich zuständig sei. Für die Umsatzsteuer sei nach § 21 AO 1977 das FA zuständig, von dessen Bezirk aus der Unternehmer sein Unternehmen ganz oder vorwiegend betreibe. Die Zuständigkeit bleibe erhalten, auch wenn der Betrieb aufgegeben werde. Insoweit wurde die Prüfungsanordnung aufgehoben.

Das FA setzte gegen die Klägerin mit Bescheid vom 11. Dezember 1984 aufgrund von Schätzungen Umsatzsteuer für . . . in Höhe von . . . DM und für . . . in Höhe von . . . DM fest. Die Schätzungsgrundlagen wurden in einer Anlage zu dem Bescheid erläutert. Hierauf wird Bezug genommen.

Mit dem dagegen gerichteten Einspruch beantragte die Klägerin die ersatzlose Aufhebung dieser Umsatzsteuerbescheide. Sie machte geltend, das FA sei für den Erlaß der Steuerbescheide nicht zuständig und die Umsatzsteuer . . . und . . . sei verjährt. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück.

Mit der hiergegen gerichteten Klage erstrebt die Klägerin die Aufhebung der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide und des Einspruchsbescheids, hilfsweise die Festsetzung von Umsatzsteuer für . . . und . . . auf je 0 DM. Sie macht im wesentlichen geltend: Das FA sei für den Erlaß der Umsatzsteuerbescheide nicht zuständig. Eine Außenprüfung sei noch nicht durchgeführt worden. Das Zusammenspiel der beteiligten Finanzämter verletze das Verbot widersprüchlichen Verhaltens und das Übermaßverbot. Die Voraussetzungen für eine Schätzung hätten nicht vorgelegen. Sie, die Klägerin, habe ihre Mitwirkungspflichten nicht verletzt. Es wäre Aufgabe des FA gewesen, sie im Hinblick auf das BFH-Urteil vom 1. Dezember 1977 V R 37/75 (BFHE 124, 103, BStBl II 1978, 173) zur Abgabe der Umsatzsteuererklärungen . . . und . . . aufzufordern. Das FA habe gegen das Recht auf Gehör verstoßen. Zumindest hätte die Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung erfolgen müssen. Sie sei nach der Aufgabe des Klinikbetriebs im Jahre . . . nicht mehr Unternehmerin im umsatzsteuerrechtlichen Sinn gewesen. Im übrigen entsprächen die vom FA geschätzten Besteuerungsgrundlagen nicht den wirklichen Verhältnissen. Vielmehr ergebe sich für . . . und . . . jeweils eine Umsatzsteuer von 0 DM. Unterlagen hierzu könnten allerdings trotz intensiver Bemühungen nicht vorgelegt werden. Es werde daher die Vernehmung der Erwerberin der Kliniken und des Ehemanns der Erwerberin als Zeugen beantragt.

Das FA beantragt Klageabweisung.

Termin zur mündlichen Verhandlung wurde auf Dienstag, den 11. Juni 1991, bestimmt.

Am 5. Juni 1991 rief der Berichterstatter, Richter am Finanzgericht (FG) Z, den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin an. Dieses Gespräch hatte nach einem im Beschwerdeverfahren vorgelegten Aktenvermerk des Prozeßbevollmächtigten folgenden Inhalt.

,,Herr Z fragte an, ob ich die Klage nicht zurückziehen wolle. Der BFH habe doch im Rechtsstreit gegen das FA X entschieden, daß das FA A für die USt zuständig sei. Damit sei die Klage aussichtslos. Ich habe entgegnet, daß die Klage nicht zurückgezogen würde. Ich hielte die Klage für begründet. Das FA X habe sich im Zusammenwirken mit dem FA A außerordentlich widerspruchsvoll verhalten. Der BFH habe ausdrücklich festgestellt, daß sich die Finanzbehörde auf den Ablauf einer Festsetzungsfrist einstellen müsse. Die Klägerin habe keinerlei Pflichtverletzungen begangen.

Daraufhin sagte der Berichterstatter wörtlich:

,Sie reiten doch nur auf Formalien herum. Bei dem angefochtenen Schätzungsbescheid handelt es sich nicht um eine Ermessensentscheidung, sondern um eine gebundene Entscheidung. Die Klägerin hat 6 Jahre lang Zeit gehabt, die materielle Unrichtigkeit des Schätzungsbescheides nachzuweisen, um den Anspruch auf Festsetzung der Umsatzsteuer auf null DM zu rechtfertigen.`

Wegen der 6 Jahre habe ich nachgehakt. Das Gespräch endete damit, daß Herr Z sagte: ,Dann sehen wir uns am Dienstag zum Rechtsgespräch. Wir sind bereit.` Ich antwortete: ,Jawohl, bis Dienstag.` "

Mit Schreiben vom 10. Juni 1991 lehnte die Klägerin Richter am FG Z wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung verwies sie auf das Telefongespräch vom 5. Juni 1991. Die Art und Weise der Meinungsäußerung des Berichterstatters in diesem Telefonat sei, so führte die Klägerin aus, geeignet, bei ihr Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Berichterstatters auszulösen. Sie habe Grund für die Befürchtung, der Berichterstatter werde Gegengründen nicht mehr aufgeschlossen gegenüberstehen. In ihrem Klagevortrag gebe es ein Beweisangebot zu den Besteuerungsgrundlagen. Der Berichterstatter habe sich in dem Telefongespräch bezüglich der Bedeutung der Formalien für das Steuerrecht abwertend geäußert und die Prozeßführung des Bevollmächtigten subjektiv bewertet. Diesen Schriftsatz übergab der Prozeßbevollmächtigte zu Beginn der mündlichen Verhandlung am 11. Juni 1991.

Der abgelehnte Richter äußerte sich dienstlich zu dem Ablehnungsgesuch wie folgt: Der Prozeßbevollmächtigte habe den Inhalt des Telefongesprächs vom 5. Juni 1991 im wesentlichen zutreffend wiedergegeben. Seine (des Richters) damals vertretene Ansicht entspreche dem Eindruck, den er nach dem Aktenstudium von der bestehenden Rechtslage gewonnen habe. Er weise in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Klagebegründung auf 30 ‹ Seiten zur formellen Rechtslage und nur auf einer halben Seite zur materiellen Rechtslage Stellung genommen habe. Im übrigen habe der Verfahrensbevollmächtigte in seinem Ablehnungsgesuch offenbar bewußt verschwiegen, daß er (der Richter) ihm ein ausführliches Rechtsgespräch in der mündlichen Verhandlung in Aussicht gestellt habe.

Das FG wies das Ablehnungsgesuch mit folgenden Erwägungen als unbegründet zurück. Der abgelehnte Richter sei zu dem Hinweis berechtigt gewesen, daß die Klage mit der bisherigen Begründung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Mit der Äußerung, der Prozeßbevollmächtigte reite doch nur auf Formalien herum, möge sich der Berichterstatter zwar im Ton vergriffen haben. Dies könne aber dem Ablehnungsgesuch nicht zum Erfolg verhelfen.

Mit der Beschwerde verfolgt die Klägerin die Richterablehnung weiter. Sie macht geltend, sie müsse befürchten, daß der abgelehnte Richter das formelle Recht nicht hinreichend beachten werde. Der Richter habe schon viel eher auf das BFH-Urteil in BFHE 156, 18, BStBl II 1989, 483 hinweisen müssen. Im angefochtenen Beschluß des FG sei die Begründung der Klage unzutreffend wiedergegeben worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Hierdurch sollen die Verfahrensbeteiligten vor Unsachlichkeiten geschützt werden. Entscheidendes Kriterium für die Richterablehnung ist, daß der Beteiligte bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (ständige Rechtsprechung, zuletzt Beschluß des BFH vom 31. Januar 1991 VI B 128/90, BFH/NV 1991, 696, m. w. N.).

Die Ausführungen des Richters am FG Z im Telefongespräch vom 5. Juni 1991 rechtfertigen die Richterablehnung nicht. Bloße Hinweise eines Richters auf seine - vorläufige - Meinung über den voraussichtlichen Ausgang eines Prozesses stellen keinen zureichenden Ablehnungsgrund dar. Sie liegen grundsätzlich sogar im wohlverstandenen Interesse der Beteiligten. Diesen ist regelmäßig daran gelegen, die Einstellung des Richters zu den für den Prozeßausgang maßgeblichen Problemen zu erfahren. Auf diese Weise erhalten sie Gelegenheit, ihre eigene, von der des Richters abweichende Ansicht näher zu erläutern und dabei zusätzliche Gesichtspunkte vorzutragen oder bereits angeführte Gesichtspunkte stärker hervorzuheben, um den Richter von der Richtigkeit ihrer Meinung zu überzeugen (BFH-Beschluß vom 30. Juni 1989 VIII B 86/88, BFH/NV 1990, 175, m. w. N.).

Soweit dem Richter hierbei Fehler bei der Bewertung der Sach- und/oder Rechtslage unterlaufen, kann dies grundsätzlich ebenfalls die Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nicht rechtfertigen. In dieser Beziehung stehen den Beteiligten die allgemeinen Rechtsbehelfe zur Verfügung. Auch Verfahrensverstöße können in dieser Hinsicht nicht anders gewertet werden (BFH-Beschluß vom 24. August 1989 IV B 59/89, BFH/NV 1990, 308). Um die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, müssen vielmehr grundsätzlich Anhaltspunkte vorhanden sein, die dafür sprechen, daß das Fehlverhalten auf einer unsachlichen Einstellung des Richters oder auf Willkür beruht (BFH-Beschlüsse vom 5. September 1989 VII B 65/89, BFH/NV 1990, 310; vom 26. September 1989 VII B 75/89, BFH/NV 1990, 514; je m. w. N.).

Derartige Anhaltspunkte ergeben sich nicht aus dem Telefongespräch vom 5. Juni 1991. Der sachgemäßen Vorbereitung der mündlichen Verhandlung war es dienlich, daß der Berichterstatter auf das gegenüber der Klägerin ergangene BFH-Urteil in BFHE 156, 18, BStBl II 1989, 483 hinwies, das sich mit der Frage der Zuständigkeit für die Umsatzsteuer befaßt hatte. Selbst wenn die Äußerungen des Richters dahin verstanden würden, daß er dem Verfahrensrecht im Streitfall eine zu geringe Bedeutung zumäße, rechtfertigte dies noch nicht den Schluß auf eine unsachliche Einstellung oder auf Willkür. Es liegt jedenfalls nicht auf der Hand, daß die Klage bereits aus formellen Gründen Erfolg haben muß. Zudem hat sich der Richter mit dem Hinweis auf das Rechtsgespräch in der mündlichen Verhandlung für (weitere) Argumente der Klägerin offen gezeigt.

Auch die Formulierung, der Prozeßbevollmächtigte ,,reite doch nur auf Formalien herum", kann die Besorgnis der Befangenheit nicht begründen. Zwar handelt es sich hierbei um eine unangemessene Ausdrucksweise, die die Grenze des für einen Beteiligten Zumutbaren beinahe erreicht. Dies läßt aber noch nicht den Schluß zu, daß der Berichterstatter gegenüber der Klägerin unsachlich eingestellt sei oder willkürlich handle. Die Streitsache liegt anders als der vom Senat im Beschluß vom 6. Februar 1989 V B 119/88 (BFH/NV 1990, 45) entschiedene Fall, in dem der mit Erfolg abgelehnte Richter dem Prozeßbevollmächtigten geschrieben hatte, dessen Schlußfolgerungen seien völlig verfehlt und beruhten wohl auf unzureichender Einsicht in das Problem, und in dem der Richter überdies mangelnde juristische Sorgfalt des Prozeßbevollmächtigten gerügt hatte. Jene Formulierungen hatten den nötigen Abstand von Person und Sache vermissen lassen. Als nicht begründet war dagegen ein Ablehnungsgesuch beurteilt worden, in dem der Berichterstatter schriftlich vom Verfahrensbeteiligten erhobene Bedenken als abwegig und die Klage als offensichtlich unbegründet bezeichnet hatte (BFH-Beschluß vom 15. Juni 1988 IV B 33/87, BFH/NV 1990, 39). Zudem handelt es sich in der vorliegenden Sache um eine Äußerung im Rahmen eines Telefongesprächs. Den in einem Telefonat dahingesagten Worten kann nicht das gleiche Gewicht wie schriftlichen Darlegungen beigemessen werden. Auch ein Richter ist ein Mensch und darf menschlich reagieren (Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Zivilprozeßordnung, 50. Aufl., § 42 Anm. 2 C ,,Ausdrucksweise").

2. Bei der Prüfung der Beschwerde sind nur die im Ablehnungsgesuch vom 10. Juni 1991 angeführten Gründe zu berücksichtigen. Die im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Ablehnungsgründe müssen außer Betracht bleiben (BFH-Beschluß vom 24. Juli 1990 X B 115/89, BFH/NV 1991, 253, m. w. N.).

 

Fundstellen

BFH/NV 1992, 479

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