Kapitalanleger-Musterverfahren

Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz soll reformiert werden. Der Gesetzentwurf sieht die Stärkung der Befugnisse der Oberlandesgerichte, eine Verfahrensverkürzung sowie die Digitalisierung der Verfahren vor.

Am 11.4.2024 fand im Bundestag die 1. Lesung der vom Bundeskabinett beschlossenen Reform des Kapitalanlegermusterverfahrensgesetzes (KapMuG) statt. Die Reform sieht eine Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes sowie diverse Änderungen vor.

Das Kapitalanleger-Musterverfahren bleibt in seinen Grundzügen bestehen

Die wesentlichen Strukturmerkmale des Kapitalanleger-Musterverfahrens sollen auch nach dem insgesamt neu formulierten Gesetz erhalten bleiben. Das KapMuG sieht für bestimmte, kapitalmarktbezogene Rechtsstreitigkeiten ein besonderes Musterverfahren zur Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen geschädigter Anleger bei falschen, irreführenden oder unterlassenen öffentlichen Kapitalmarktinformationen vor, die sich aus Börsenprospekten, Jahresabschlüssen oder sonstigen Informationen ergeben, § 1 KapMuG-E.

Die wesentlichen Bestimmungen des KapMuG-E

Auch nach dem neuen Gesetzestext können klagende Anleger bei dem zuständigen LG den Antrag stellen, dass das übergeordnete OLG vorab über Tatsachen- oder Rechtsfragen mit Bindungswirkung für das LG entscheidet, § 2 KapMuG-E.

  • Voraussetzung ist, dass sich die betreffenden Tatsachen oder Rechtsfragen in mindestens 10 anhängigen Einzelklagen gleichlautend stellen, § 7 KapMuG-E.
  • Ein zulässiger Musterverfahrensantrag wird im Musterverfahrensregister öffentlich bekannt gemacht, § 4 KapMuG-E.
  • Die Bekanntmachung führt zur Unterbrechung des jeweiligen Ausgangsverfahrens, § 6 KapMuG-E.
  • Ein vom Gericht ausgewählter Musterkläger führt dann unter Beteiligung der übrigen betroffenen Parteien das Musterverfahren beim OLG, § 10 Abs. 3 KapMuG-E.
  • Beteiligte des Musterverfahrens sind der Musterkläger, die Musterbeklagten (Beklagte der unterbrochenen Ausgangsverfahren) sowie die Beigeladenen (Kläger der unterbrochenen Ausgangsverfahren, die nicht Musterkläger sind), § 9 Abs. 1 KapMuG-E.
  • Das OLG entscheidet über die Tatsachen und Rechtsfragen einheitlich mit Bindungswirkung für sämtliche Individualklagen, § 23 KapMuG-E, die nach Abschluss des Musterverfahrens weitergeführt werden.
  • Betroffene, die nicht selbst Klage erhoben haben, können ihre Ansprüche mit verjährungshemmender Wirkung beim OLG binnen 6 Monaten nach Bekanntmachung des Eröffnungsbeschlusses über einen Rechtsanwalt anmelden, § 12 KapMuG-E.
  • Das OLG erlässt den Musterentscheid auch künftig aufgrund mündlicher Verhandlung durch Beschluss, § 17 KapMuG-E. Dieser ist mit der Rechtsbeschwerde von jedem Beteiligten anfechtbar, § 21 KapMuG-E.

Auch künftig Beendigung des Verfahrens durch Vergleich möglich

Für die Beendigung eines Verfahrens durch Vergleich bleibt es im wesentlichen bei den bisherigen Regelungen. Gemäß § 18 KapMuG-E können die Parteien über den Verfahrensgegenstand auch künftig eine vergleichsweise Einigung treffen.

  • Zur Gültigkeit des Vergleichs bedarf es einer Genehmigung des Gerichts, die durch unanfechtbaren Beschluss erteilt wird, § 19 KapMuG-E.
  • Der genehmigte Vergleich wird sämtlichen Beigeladenen mit einer Belehrung über die Wirkung des Vergleichs, das Recht zum Austritt und über Form und Frist des Austritts zugestellt, § 20 Abs. 1, Abs. 3 KapMuG-E.
  • Beigeladene können innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung des Vergleichs ihren Austritt aus einem genehmigten Vergleich erklären, § 20 Abs. 2 KapMuG-E. Die Erklärung bedarf der Schriftform oder kann zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden.
  • Das OLG stellt durch unanfechtbaren, im Musterverfahrensregister bekannt zu machenden Beschluss fest, ob der genehmigte Vergleich wirksam geworden ist. Mit der Bekanntmachung wirkt der Vergleich für und gegen alle Beteiligten, die nicht ihren Austritt erklärt haben, § 24 Abs. 1 KapMuG-E.

Kapitalanleger-Musterverfahren über den 31.8.2024 hinaus

Nach der bisherigen Fassung ist die Gültigkeit des KapMuG bis zum 31.8.2024 befristet. Nach dem Gesetzesentwurf soll das Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz „als besondere Verfahrensordnung mit seinem bisherigen Anwendungsbereich“ über dieses Datum hinaus erhalten bleiben. Nach Auffassung der Bundesregierung hat das besondere Kapitalanleger-Musterverfahren sich in der Praxis bewährt. Mit der Reform sollen einige der bisherigen Unzulänglichkeiten des Verfahrens behoben und das Verfahren insgesamt effizienter und schneller werden.

Stellung des OLG im Verfahren wird gestärkt

Im Zentrum der Reform steht eine Stärkung der Befugnisse der Oberlandesgerichte. Hierzu ist vorgesehen, dass die Oberlandesgerichte künftig in die Lage versetzt werden, den Gegenstand des Musterverfahrens nach dem Maßstab der Sachlichkeit schärfer zu definieren, um so eine dem Gesamtverfahren dienende zweckdienlichere Bündelung der unterschiedlichen Einzelziele und damit eine insgesamt effizientere Verfahrensführung zu erreichen. Im Einzelnen ist vorgesehen:

  • Gemäß § 10 KapMuG-E entfällt die bisher vorgeschriebene Bindung des Oberlandesgerichts an den Vorlagebeschluss des LG. Das OLG soll künftig selbst durch Beschluss nach seinem Ermessen über die Eröffnung und den Gegenstand des Musterverfahrens ohne enge inhaltliche Bindung an den Vorlagebeschluss entscheiden.
  • Das OLG soll auch darüber entscheiden, inwieweit sich aus den vorgelegten Musterverfahrensanträgen nach seiner Beurteilung gleichgerichtete Feststellungsziele ergeben und darüber, ob eine Entscheidung über diese Feststellungsziele in Musterverfahren sachdienlich ist. Der Beschluss ist unanfechtbar, § 10 Abs. 1 Satz 1 KapMuG-E.
  • Die Entscheidung soll innerhalb von 3 Monaten nach Antragseingang erfolgen, § 10 Abs. 5 KapMuG-E.
  • Der Eröffnungsbeschluss ist bekannt zu geben und mit einer knappen Darstellung der formulierten Feststellungsziele, einer Benennung der betroffenen Verfahren und des vom OLG ausgewählten Musterklägers zu versehen.
  • Gemäß § 8 KapMuG-E soll der Vorlagebeschluss künftig Sperrwirkung für die Zulässigkeit weiterer gleichgerichteter Musterverfahrensanträge entfalten.
  • Parteien von Ausgangsverfahren, die nach Erlass des Vorlagebeschlusses die Teilnahme am Musterverfahren erklären wollen, steht gemäß § 11 Abs. 1 KapMuG-E die Möglichkeit der Stellung eines Erweiterungsantrages binnen 2 Monaten ab Bekanntmachung des Eröffnungsbeschlusses zur Verfügung.
  • Sind nach Auffassung des OLG die Voraussetzungen für ein Verfahren nicht gegeben, so lehnt es die Eröffnung durch unanfechtbaren Beschluss ab, § 10 Abs. 4 KapMuG-E.

Schneller und effizienter

Eine kürzere Dauer des Verfahrens soll dadurch ermöglicht werden, dass der Zeitraum, bis es von einem Ausgangsverfahren vor dem Landgericht zu einem Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht kommt, besser strukturiert und verkürzt wird.

  • Gemäß § 3 KapMuG-E entscheidet wie bisher das Prozessgericht über die Zulässigkeit eines Musterverfahrensantrags durch unanfechtbare Beschluss.
  • Die Zahl der Verfahrensbeteiligten soll deutlich reduziert werden. Die bisher bestehende Pflicht, alle anhängigen Verfahren auszusetzen, die von der Entscheidung über die Feststellungsziele betroffen sind, soll künftig entfallen. Parteien, die nicht am Musterverfahren teilnehmen wollen, sollen ihren Rechtsstreit künftig individuell weiterführen können.
  • Gemäß § 4 KapMuG-E ist für die öffentliche Bekanntmachung von zulässigen Musterverfahrensanträgen im künftigen Musterverfahrensregister anstelle der bisherigen Soll-Frist von 6 Monaten künftig eine Bekanntmachungsfrist von 2 Monaten vorgesehen.
  • Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 KapMuG-E wird das Prozessgericht verpflichtet, den Beschluss zur Vorlage an das OLG zu erlassen, sobald die Mindestzahl von insgesamt 10 Musterverfahrensanträgen erreicht ist.

Digitalisierung und Erweiterung des Anwendungsbereiches

Auch im Kapitalanleger-Musterverfahren soll die Digitalisierung Einzug halten. Darüber hinaus soll der Anwendungsbereich des Gesetzes erweitert werden:

  • Mit einem neuen § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 KapMuG-E wird der Anwendungsbereich auf den Kapitalmarkt von Kryptowerten entsprechend der EU-Verordnung 2023/1114 (MiCA-VO) erstreckt.
  • Die Gerichtsakten für Musterverfahren sollen bereits vor Ablauf der zum 1. Januar 2026 laufenden Regelfrist für die digitale Aktenführung ab dem 1.1.2025 digital geführt werden müssen, § 14 KapMuG-E. Auf diese Weise sollen die bisher häufig langwierigen Akteneinsichten durch eine Vielzahl von Verfahrensbeteiligten parallel geführt werden können und damit deutlich verkürzt werden.
  • § 1 Abs. 3 Satz 1 KapMuG-E stellt künftig klar, dass eine Verbandsklage ein Musterverfahren wegen desselben Lebenssachverhalts nicht ausschließt. Die Verfahren stehen selbständig nebeneinander.

Anwaltschaft sieht Reform positiv

Die BRAK begrüßt die geplante Reform in ihren wesentlichen Punkten. Kritik erfährt vor allem die neue 2-Monatsfrist des § 11 Abs. 1 KapMuG zur nachträglichen Erweiterung des Verfahrens. Die bisherige Erfahrung habe gezeigt, dass Tatsachen, die eine Erweiterung rechtfertigen können, häufig wesentlich später aufträten. Die Zweimonatsfrist enthält nach Auffassung der BRAK daher eine unnötige prozessrechtliche Beschränkung. Ansonsten stoßen die Reformpläne überwiegend auf Zustimmung.

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