Endlich Klarheit vom BGH zur Diesel-Abgasmanipulation von VW

VW-Diesel-Käufer haben Anspruch auf Schadenersatz, müssen sich aber gezogene Nutzungen anrechnen lassen. Die Abgasmanipulation in VW-Dieselfahrzeugen war eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung aus reinem Profitstreben des Autobauers. Das ist das Ergebnis des lange herausgezögerten BGH-Urteils zum Sündenfall von VW.

Die gerichtlichen Streitigkeiten um Schadensersatzzahlungen gegenüber VW wegen des Einbaus unzulässiger Abschaltvorrichtungen in Dieselfahrzeugen gehen langsam in die Endrunde. Das lang erwartete Grundsatzurteil des BGH im Dieselstreit liegt nun vor.

Noch ca. 60.000 laufende Verfahren zu Dieselgate - jetzt entschied der BGH 

Anhängig sind derzeit nach Auskunft von VW noch ca. 60.000 Individualklagen gegen VW. Die überwiegende Zahl der noch anhängigen Schadenersatzklagen von Dieselkäufern gegen VW dürfte nun gute Aussichten auf Erfolg haben. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass die BGH-Entscheidung einen konkreten Fall betrifft und die Gerichte in jedem Fall die Besonderheiten der konkreten Fallkonstellation zu berücksichtigen haben.

Kläger hatte einen VW-Diesel gebraucht gekauft

In dem jetzt vom BGH entschiedenen Fall hatte der Kläger im Januar 2014 einen knapp zwei Jahre alten Gebrauchtwagen VW Sharan von einem freien Händler zum Preis von 31.490 Euro brutto erworben. Der Kilometerstand des Fahrzeugs bei Erwerb betrug ca. 20.000 km. Das Fahrzeug verfügte über einen Dieselmotor der Baureihe EA 189, Schadstoffklasse EU 5. Dieser war mit der bekannten Manipulationssoftware ausgestattet, die die Situation des Rollen-Prüfstandes erkennt und dort einen Abgasrückführungsmodus mit einem niedrigeren Stickoxidausstoß einleitet. Im Normalbetrieb ist der Stickoxidausstoß des Fahrzeugs höher.

Software-Update wurde am Käuferfahrzeug durchgeführt

Im September 2015 räumte VW die Verwendung Schummel-Software ein, nachdem US-Umweltbehörden in ihrer „Notice of Violence“ diese Verfahrensweise von VW öffentlich gemacht hatten. Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) erließ am 15.10.2015 einen Bescheid an VW, aus dem hervorging, dass die eingebaute Abgaseinrichtung in den Dieselmotoren unzulässig ist und VW diese in den bereits ausgelieferten Fahrzeugen zu beseitigen und anderweitig für die Einhaltung der zulässigen Grenzwerte zu sorgen hat.

Ende November 2015 teilte VW den Kunden mit, Software-Updates durchführen zu wollen, mit denen die Beanstandungen des KBA beseitigt werden sollen. Der Kläger des anhängigen Verfahrens hatte das Software-Update im Februar 2017 durchführen lassen.

Unterschiedliche Instanzentscheidungen zum Rücktritt wegen Manipulationssoftware

Mit seiner Klage fordert der Kläger Rückabwicklung des Kaufvertrages. Nachdem das LG die Klage zunächst abgewiesen hatte, hatte das OLG auf Berufung des Klägers VW zur Zahlung von knapp 26.000 Euro Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verurteilt.

BGH: Manipulationssoftware war bewusste strategische Entscheidung von VW

Der BGH bestätigte nun die Entscheidung des OLG im wesentlichen und bewertete das Verhalten von VW als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, die zu einem Haftungsanspruch des Klägers gemäß §§ 826, 31 BGB führt. Die Programmierung der Motorsteuerungssoftware auf Einhaltung der Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf dem Prüfstand mit der Folge einer erhöhten Umweltbelastung mit Stickoxiden im normalen Fahrbetrieb beruht nach Einschätzung des BGH auf einer grundlegenden strategischen Entscheidung von VW bei der Motorenentwicklung.

Bewusste und gewollte Täuschung der Kunden aus Kosten- und Gewinnsinteressen

Aus Kosten- und Gewinnsinteressen habe VW durch bewusste und gewollte Täuschung der Kunden systematisch langjährig mit dieser Abschaltvorrichtung versehene Dieselmotoren in siebenstelligen Stückzahlen in Deutschland ausgeliefert. Neben der höheren Umweltbelastung habe VW damit auch die Käufer der Gefahr ausgesetzt, mit einer Betriebsuntersagung für die betroffenen Fahrzeuge vom KBA belegt zu werden.

Vertrauen von Neuwagen- und Gebrauchtwagenkäufern missbraucht

Mit diesem Verhalten hat VW nach der Bewertung des BGH das Vertrauen der Käufer, die in Unkenntnis der illegalen Abschaltvorrichtung die Fahrzeuge erworben hätten, in besonders verwerflicher, mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbarender Weise missbraucht.

VW habe den Käufern wahrheitswidrig vorgespiegelt, der Einsatz der Fahrzeuge im Straßenverkehr sei uneingeschränkt zulässig. Dies betreffe die Käufer von Neufahrzeugen ebenso wie die Erwerber von Gebrauchtfahrzeugen, denn die Täuschung über die Verwendbarkeit des Produkts wirke auch beim Gebrauchtwagenkauf fort.

Kundenschaden durch so nicht gewollten Vertragsabschluss

Durch dieses Verhalten hat VW seine Kunden nach der Bewertung des BGH arglistig getäuscht und die Kunden veranlasst, eine vertragliche Verpflichtung einzugehen, die sie in Kenntnis der Umstände nicht eingegangen wären.

Der Kunde habe ein Fahrzeug erworben, das für seine Zwecke nicht in vollem Umfang brauchbar war und damit nicht der vertraglichen Verpflichtung entsprochen habe. Damit sei den Kunden unzweifelhaft ein Schaden entstanden. Dieser mit Vertragsabschluss eingetretene Schaden sei durch das spätere Software-Update nicht nachträglich entfallen.

Kundenanspruch auf Rückerstattung des Kaufpreises minus Nutzungsvorteile

Daher kann der Kunde nach der Entscheidung des BGH Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges verlangen. Allerdings sei bei der Rückabwicklung das schadensrechtliche Bereicherungsverbot zu beachten, wonach der Kunde nicht bessergestellt werden dürfe, als er ohne den Vertragsschluss stünde. Daher müsse er sich die Nutzungsvorteile, die er durch die zurückgelegten Kilometer erhalten habe, anrechnen lassen.

Berechnung der Nutzungsvorteile nach Laufleistung

Das OLG Koblenz war bei der Bewertung der gezogenen Nutzungsvorteile von einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs und 300.000 km ausgegangen. Der Kläger hatte das Fahrzeug mit einer Laufleistung von ca. 20.000 km erworben und anschließend ca. 52.000 km zurückgelegt. Bei einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung zum Zeitpunkt des Kaufs in Höhe von 280.000 km (300.000 km Gesamtlaufleistung abzüglich Tachostand beim Kauf 20.000 km) errechnete das OLG einen Abzug für gezogene Nutzungsvorteile in Höhe von knapp 6.000 Euro. Diese Berechnung hat der BGH im wesentlichen nicht beanstandet. Viele Käufer, die ihre Fahrzeuge stärker genutzt haben, müssen hiernach allerdings mit deutlich höheren Abzügen rechnen.

(BGH, Urteil v. 25.5.2020, IV ZR 252/19).

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Anmerkung: Bedeutung für andere Verfahren

Die Aussichten auf Schadenersatz von VW-Käufern in noch ca. 60.000 bundesweit anhängigen Schadenersatzklagen dürften sich mit dem Grundsatzurteil des BGH deutlich verbessert haben. Klarheit hat die Entscheidung des BGH nicht nur hinsichtlich der Bewertung des Verhaltens von VW als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, sondern auch hinsichtlich der anzurechnenden Nutzungsvorteile geschaffen. Bedeutung hat das Urteil auch für Teilnehmer der Musterfeststellungsklage vor dem OLG Braunschweig, die sich dem dort erzielten Vergleich nicht angeschlossen haben.

Einige Diesel-Fragen sind noch ungeklärt

Nicht eindeutig geklärt ist mit dem Urteil die Frage, ob dem Käufer eines neuen Fahrzeugs ein Schadensersatzanspruch auch unmittelbar gegenüber einem Vertragshändler zusteht sowie die wichtige und schwierige Frage, wie Kaufverträge zu behandeln sind, die zeitlich nach dem Eingeständnis von VW im September 2015, eine unzulässige Abschaltvorrichtung in die Motoren eingebaut zu haben, geschlossen wurden.

Möglicherweise werden diese Fragen in drei weiteren Klageverfahren beantwortet, die beim BGH noch anhängig sind und über die dieser im Juli 2020 entscheiden will.

Bedeutung für Sammelkläger, die sich nicht verglichen haben

Die ca. 240.000 VW Kunden, die sich der Musterfeststellungsklage vor dem OLG Braunschweig angeschlossen und dem dortigen Vergleich zugestimmt haben, können von dem jetzigen BGH-Urteil nicht mehr profitieren. Sie erhalten Zahlungen von VW zwischen 1.350 – 6.257 Euro, haben allerdings den Vorteil, dass sie ihre Fahrzeuge nicht zurückgeben müssen.

Die Teilnehmer der Musterfeststellungsklage, die den Vergleich nicht angenommen haben, können nun Individualklagen einreichen, da die Verjährung ihrer Ansprüche bis sechs Monate nach Abschluss des Musterfeststellungsverfahrens am 30.4.2020 gehemmt ist.

VW will sich mit 60.000 Klägern einigen

VW will nach dem jetzigen BGH-Urteil einen Schlusspunkt unter die Diesel-Problematik gegenüber deutschen Käufern setzen und in den noch anhängigen Verfahren mit attraktiven Angeboten auf die Käufer zugehen.

Hintergrund: Never ending Diesel-Story

Dieselgate schlug hohe Wellen und beschäftigte jahrelangHersteller, Gerichte und Diesel-Eigentümer. Ob die von VW angebotene Umrüstung durch eine Ergänzungssoftware eine angemessene Nachbesserung ist, war lange umstritten. Viele Käufer wollten die Fahrzeuge nicht behalten oder zumindest Schadensersatz wegen des Minderwertes.

Gerichte waren in der Frage der Dieselfahrzeuge erstaunlich uneinig

Die Gerichte beantworten die Frage, ob die in den Dieselfahrzeugen eingebaute „Abgas-Manipulations-Software“ als rücktrittsbegründender Mangel der Kaufsache zu bewerten ist, sehr unterschiedlich.

Statistik zu Diesel-Entscheidungen

Zur Rechtsprechungspraxis in Deutschland hat „wallstreet-online“ Zahlen aus einer Studie der Universität Regensburg zum Dieselskandal veröffentlicht, wonach 97 von 115 Landgerichten in Deutschland VW und andere Fahrzeughersteller bereits zu Schadenersatz in Fällen des Einbaus einer verbotenen Abschalteinrichtung bei Dieselfahrzeugen verurteilt haben.