BGH: Geschäftsführerhaftung aufgrund eigenen Unvermögens

Der Geschäftsführer einer GmbH muss nicht alles können, sondern kann Aufgaben delegieren. Die eingeschalteten Personen muss er sorgfältig auswählen und überwachen. Er kann sich nicht auf eigene Unfähigkeit berufen und sich damit der persönlichen Haftung entziehen. Dies bestätigt auch der Bundesfinanzhof.

Sachverhalt

Der Kläger war seit der Gründung der A-GmbH im Jahr 2002 ihr alleiniger Geschäftsführer und hielt einen Geschäftsanteil in Höhe von 90 %. Die übrigen 10 % an der GmbH hielt sein Enkelsohn, der am 23. April 2012 die Geschäftsführung übernahm. Faktisch hatte indes der Sohn des Klägers, Prokurist der GmbH, die Geschäftsführung inne. Im Zeitraum vom 19. März 2007 bis zum 11. Juli 2011 hat die GmbH Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer verkürzt, indem gewisse Erklärungen überhaupt nicht und andere falsch abgeben wurden. Dem lag ein System von Falschrechnungen und beleglosen Buchungen zugrunde.

Gegen den Kläger, seinen Sohn und seinen Enkelsohn erging am 19. März 2014 wegen Steuerschulden der GmbH ein Haftungsbescheid. Der Kläger legte Einspruch ein, woraufhin das Finanzamt am 30. Januar 2015 die Haftungssumme reduzierte und im Übrigen den Rechtsbehelf als unbegründet zurückwies.

Prozessverlauf

Der Kläger hat vor dem Finanzgericht (FG) Münster beantragt, den Haftungsbescheid in Gestalt des Einspruchsbescheids vom 30. Mai 2015 aufzuheben. Dabei griff er die Haftungsinanspruchnahme dem Grunde als auch der Höhe nach an. Das Finanzgericht hat die Klage abgewiesen.

Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 15. November 2022

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Revision gem. § 126a FGO einstimmig und ohne mündliche Verhandlung als unbegründet verworfen, da der Haftungsbescheid den Kläger nicht in seinen Rechten verletzte.

Ein GmbH-Geschäftsführer haftet gem. §§ 69 S. 1, 34 Abs. 1 AO i. V. m. § 35 Abs. 1 S. 1 GmbHG, wenn die GmbH Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund erhält, weil er die ihm auferlegten Pflichten vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat und deshalb die Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis der GmbH nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt hat. Diese Voraussetzungen sah der BFH als erfüllt an.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH indiziert die objektive Pflichtwidrigkeit eines Verhaltens das Verschulden i.S.v. § 69 S. 1 AO. Der Kläger versuchte sich dadurch zu entlasten, dass tatsächlich sein Sohn die Geschäfte der GmbH geführt hatte und er selbst aufgrund seines fortgeschrittenen Alters und seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten nicht in der Lage gewesen sei, Geschäftsvorfälle in der Firmen-EDV nachzuvollziehen. Ihm könne daher kein Verschulden zur Last gelegt werden. Dieser Argumentation trat der BFH entgegen.

Überwachungsverschulden

Zum einen war auch der BFH der Ansicht, dass den Kläger ein Überwachungsverschulden traf. Zwar kann ein Geschäftsführer die Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten der GmbH auf andere Personen übertragen. Er darf sich aber nicht blind auf seine Hilfsperson verlassen, sondern muss sie sorgfältig auswählen und laufend überwachen. Ein Überwachungsverschulden begründet nach der BFH-Rechtsprechung grundsätzlich eine grob fahrlässige Pflichtverletzung i.S.d. § 69 AO. Dabei müssen umso höhere Anforderungen an die Überwachungsmaßnahmen gestellt werden, je weniger sich der Geschäftsführer ein auf Tatsachen gegründetes Urteil darüber bilden kann, ob die für die Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten der Gesellschaft hinzugezogenen Personen die notwendige Gewähr der zuverlässigen Erledigung bieten.

Der Einwand des Klägers, auch ein sorgfältig handelnder Geschäftsführer hätte die Scheinrechnungen und beleglosen Buchungen, die der Sohn in die Buchführung eingestellt hat, ohne zusätzliche Ermittlungen und ohne Kenntnis der Hintergründe nicht erkennen können, greift nach dem BFH nicht durch. Zum einen hätte der Kläger nach den Feststellungen des FG mit Blick in die Buchführung erkennen können, dass 34 beleglose Buchungen getätigt worden seien. Zum anderen wird dem Kläger eben vorgeworfen, eine faktische Geschäftsführung durch seinen Sohn geduldet und diesen ohne ausreichende Überwachung schalten und walten gelassen zu haben.

Eigene Unfähigkeit ist kein Entschuldigungsgrund

Zudem und vor allem ist der BFH der Argumentation des Klägers entgegengetreten, dass er aufgrund seiner persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten und insbesondere aufgrund seines fortgeschrittenen Alters nicht der Lage gewesen sei, Geschäftsvorfälle in der Firmen-EDV nachzuvollziehen.

Weist ein Geschäftsführer die vom Kläger dargelegten Fähigkeits- und Kenntnismängel vor, darf dieser die Geschäftsführung der GmbH gar nicht erst übernehmen. Ist er nicht mehr in der Lage, seinen Aufgaben nachzukommen, muss er sein Amt niederlegen.

Praktische Bedeutung

Die kommentierte Entscheidung zeigt, dass einen Geschäftsführer weder die Übertragung seiner Pflichten auf einen Dritten noch seine eigene Unfähigkeit von seiner (steuerlichen) Haftung freizeichnen kann.

Diese Grundsätze gelten aber nicht nur im Bereich der Außenhaftung des Geschäftsführers gegenüber dem Fiskus. Sehr ähnlich stellt sich die Rechtslage auch im Innenverhältnis Gesellschaft-Geschäftsführer dar. So ist jeder Geschäftsführer verpflichtet, die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden. Verletzt ein Geschäftsführer seine Obliegenheiten schuldhaft, muss er der Gesellschaft den daraus resultierenden Schaden ersetzen, § 43 Abs. 2 GmbHG. Welche Anforderungen an den Sorgfaltsmaßstab zu stellen sind, hängt von den konkreten Verhältnissen eines jeden Unternehmens ab sowie deren Größe und Tätigkeit. Auf die persönlichen Eigenschaften, das Alter, die Erfahrenheit des Geschäftsführers kommt es weder für den Umfang der Geschäftsführerpflichten noch für die Frage seines Verschuldens an.

Das heißt nicht, dass ein Geschäftsführer alles wissen und können muss. Gewisse Aspekte der Geschäftsführung kann er auch an nachgeordnete Unternehmensebenen oder Dritte delegieren. Für die im kommentierten Urteil relevante Pflicht zur ordnungsgemäßen Buchführung muss der Geschäftsführer nach § 41 GmbHG etwa „sorgen“. Er ist nicht verpflichtet sie selbst vorzunehmen, die Verantwortlichkeit für die ordnungsgemäße Erfüllung verbleibt jedoch bei ihm. Überlässt er die Buchführung eigenen Mitarbeitern oder einem externen Steuerberater trifft ihn die Pflicht, diese Personen sorgfältig auszuwählen, einzuweisen und zu überwachen. Zudem muss er stets die Möglichkeit haben, sich einen Zugriff auf die Buchführungsunterlagen zu verschaffen und ggf. korrigierend einzugreifen.

Auch kann ein Geschäftsführer bei einzelnen rechtlichen oder eben steuerlichen Fragen kundigen Rat einholen und sich ggf. dadurch entlasten. Befolgt ein Geschäftsführer einen solchen Rat und begeht er dennoch eine Pflichtverletzung, handelt er jedoch nur dann nicht schuldhaft, wenn der beauftragte (Steuer)berater unabhängig und fachlich qualifiziert ist, der Geschäftsführer ihm den Sachverhalt richtig und vollständig geschildert hat und er eine eigene Plausibilitätskontrolle der ihm erteilten Antwort vorgenommen hat.

Die Hauptaussage der kommentierten Entscheidung, bei persönlichem Unvermögen sollte das Amt des Geschäftsführers nicht übernommen bzw. niedergelegt werden, muss vor diesem Hintergrund etwas präzisiert werden. Geschäftsführer tragen die Verantwortung für die gesamte Geschäftsführung, sie müssen aber nicht jede Aufgabe selbst erledigen. Wird eine Aufgabe delegiert, muss die betreffende Person sorgsam ausgesucht, eingewiesen und überwacht werden. Sofern ein Geschäftsführer diese Auswahl- und Überwachungspflicht aufgrund seiner persönlichen Fähigkeiten nicht erfüllen kann, sollte er tatsächlich angesichts der strengen Maßstäbe der Organhaftung von einer solchen Tätigkeit absehen.

(BFH, Beschluss vom 15. November 2022 – VII R 23/19)


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