Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftungsquotelung und ersatzfähige Sachverständigenkosten nach einer Kollision beim Ausfahren aus einer Grundstückseinfahrt durch eine Fahrzeugkolonne
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Kraftfahrer, der an einer Einmündung durch eine ihm gewährte Lücke einer wartenden Schlange hindurch die Gegenfahrbahn befahren will, um nach links abzubiegen, muss allen Fahrzeugen auf allen dort befindlichen Fahrspuren die Vorfahrt gewähren. Kann er den nicht von der Kolonne in Anspruch genommenen Fahrbahnteil nicht zuverlässig einsehen, darf er sich nur langsam "hineintasten".
2. "Hineintasten" in diesem Sinne liegt vor, wenn der Kraftfahrer sehr langsam ("zentimeterweise", "unter Schrittgeschwindigkeit"), stets bremsbereit einfährt und bei gegebenem Anlass sofort bremst. Kommt es zu einer Kollision, steht eine festgestellte Kollisionsgeschwindigkeit des Einfahrenden von 12 km/h der Annahme eines "Hineintastens" entgegen.
3. Kollidiert ein aus einer Grundstückseinfahrt Ausfahrender, der durch eine vom bevorrechtigten Verkehr gebildete Lücke hindurch abbiegen will und dabei die Regeln des "Hineintastens" verletzt, mit einem die Kolonne unter Verstoß gegen das durch Zeichen 295 Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO angeordnete Verbot Überholenden, so kommt eine Mithaftung des Überholenden von 1/3 in Betracht.
4. Die Beanstandung einer Rechnung eines Sachverständigen kommt trotz überzogener Nebenkosten, eigentlich unzulässiger Nebenkostenarten oder zu hoher Zusatzleistungen nur dann in Betracht, wenn der Gesamtbetrag der Honorarrechnung über der Summe des erstattungsfähigen Grundhonorars sowie der erstattungsfähigen Nebenkosten liegt.
Normenkette
StVG § 17 Abs. 1-2; StVO § 10 S. 1; StVO Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 Zeichen 295; BGB § 249
Verfahrensgang
LG Landshut (Urteil vom 07.12.2016; Aktenzeichen 41 O 397/16) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers vom 07.12.2016 wird das Endurteil des LG Landshut vom 10.11.2016 (Az. 41 O 397/16) in Nr ...
I. und II. abgeändert und wie folgt neu gefasst:
I.1. Die Beklagten werden verurteilt, samtverbindlich an den Kläger weitere 1.348,02 EUR sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 808,13 EUR jeweils nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 15.01.2016 zu bezahlen.
I. 2. Es wird festgestellt, dass der Kläger nicht verpflichtet ist, an die Beklagte zu 1) einen Betrag in Höhe von 1.008,23 EUR zurückzuzahlen.
I. 3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger 64 % und die Beklagten samtverbindlich 36 %.
Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
2. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 64 % und die Beklagten samtverbindlich 36 %.
3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).
B. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg.
I. Das LG hat zu Unrecht und ohne Erholung des beantragten Sachverständigengutachtens einen weiter gehenden Anspruch des Klägers auf Schadensersatz aus dem Verkehrsunfall vom 31.10.2015 gegen 11.45 Uhr in der I. straße in E., Höhe HausNr. 44 (Ausfahrt vom Parkplatz der Firma E.) verneint.
1. Nach dem Beweisergebnis 1. Instanz, gegen das Einwendungen insoweit nicht erhoben wurden, hielt der Zeuge Dr. S. wegen des Rückstaus an der roten Ampel der Kreuzung der I. straße mit der B 299 sein Fahrzeug in etwa dort an, wo auf der Anlage K 9 das schwarze Fahrzeug gegenüber der Grundstücksausfahrt vom Parkplatz der Firma E. zu sehen ist, um der Beklagten zu 2) das Ausfahren und Abbiegen nach links zu ermöglichen. Die Beklagte zu 2) hat angegeben, ohne erneutes Anhalten und unter besonderer Beobachtung des sich aus ihrer Sicht von rechts nähernden Verkehrs ausgefahren zu sein. Der Kläger scherte aus der Kolonne aus, um auf die nicht vom Rückstau betroffene Linksabbiegerspur zu gelangen. Die Endstellung der Fahrzeuge ist aus den polizeilichen Fotos ersichtlich.
2. Auf Grund des vom Senat erholten Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. M., von dessen hervorragender Sachkunde der Senat sich an Hand einer Vielzahl erholter Gutachten überzeugen konnte, ergibt sich an Hand der Schäden eine Kollisionsgeschwindigkeit des Fahrzeugs des Klägers von 30 km/h und der Beklagten zu 2) von (mindestens) 12 km/h bis 17 km/h, der Pkw des Klägers hatte den Wechsel auf die Linksabbiegerspur noch nicht vollzogen und befand sich noch in Schrägstellung. Die Kollisionsposition des Pkws des Klägers mit der Front auf Höhe bzw. geringfügig hinter der Front des Pkws des Zeugen Dr. S. befand sich in einem Bereich, in dem die Linksabbiegespur sich bereits öffnete. Ein Fahrrad oder ein Motorroller hätte bei Nichteinhaltung des seitlichen Sicherheitsabstandes zu den Fahrzeugen in der Kolonne ohne...