Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung. Verlängerung der Höchstüberlassungsdauer durch Tarifvertrag. Auslegung des normativen Teils des Tarifvertrags. Auslegung von Betriebsvereinbarungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird mit dem Leiharbeitnehmer vereinbart, dass sein Einsatz "spätestens beim Erreichen der zulässigen Höchstüberlassungsdauer endet", ist dies eine ausreichende Formulierung dafür, dass es sich um eine vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung handelt.
2. Nach § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG kann in einem Tarifvertrag von den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche eine abweichende Überlassungsdauer festgelegt werden. Eine Überlassungsdauer von bis zu 48 Monaten durch Tarifvertrag ist rechtmäßig.
3. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang.
4. Betriebsvereinbarungen sind wegen ihres normativen Charakters nach den für Tarifverträge und für Gesetze geltenden Grundsätzen auszulegen. Dabei ist vom Wortlaut der Bestimmung und dem durch ihn vermittelten Wortsinn auszugehen.
Normenkette
RL 2008/104/EG Art. 11 Abs. 1; AÜG § 1 Abs. 1 S. 4, Abs. 1b S. 3, § 9 Abs. 1, § 10 Abs. 1, § 19 Abs. 2; TVG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1; TzBfG § 14 Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
ArbG Hannover (Entscheidung vom 07.01.2021; Aktenzeichen 2 Ca 187/20) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 07.01.2021 - 2 Ca 187/20 - wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Begründung eines Arbeitsverhältnisses infolge des Einsatzes des Klägers als Leiharbeitnehmer und hilfsweise um einen Anspruch auf Abschluss eines Arbeitsvertrages auf Grundlage einer Gesamtbetriebsvereinbarung.
Der am 11.03.1992 geborene Kläger steht seit dem 26.10.2015 auf Grundlage der schriftlichen Arbeitsverträge vom 23.10.2015 (Bl. 15 - 17a dA) und vom 24.10.2017 (Bl. 18 - 19 dA) in einem Arbeitsverhältnis zur R GmbH & Co. KG (im Folgenden: R) als Lager- und Produktionswerker, Hilfskraft mit einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 35 Stunden zu einem Stundenlohn iHv. 9,96 Euro brutto. Diese verfügt seit dem 24.10.1973 über eine Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Bl. 59 dA). Seit Beginn des Arbeitsverhältnisses wurde der Kläger im Wege der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung als Lager- und Produktionswerker, Hilfskraft von der Beklagten in ihrem Werk in A-Stadt eingesetzt. Bei der Beklagten handelt es sich um die Rechtsnachfolgerin der W GmbH. Der Kläger ist Mitglied der IG Metall die Beklagte ist Mitglied im D. Niedersachsens e.V..
Die Beklagte vereinbarte mit dem bei ihr gebildeten Gesamtbetriebsrat am 11.11.2020 eine "Gesamtbetriebsvereinbarung über den Einsatz von Leiharbeitnehmern in M&L vari" (im Folgenden: GBV Zeitarbeit, Bl. 28 dA), in der es - auszugsweise - heißt:
"Zwischen dem Gesamtbetriebsrat der Standorte A & G und den Geschäftsführungen der W GmbH und der W Logistik GmbH (die "W - Gesellschaften") wird folgende Vereinbarung getroffen.
Zur Gewährleistung der Flexibilität in den Produktionsbereichen wird grundsätzlich der Einsatz von Leiharbeit vereinbart.
Folgendes wird zum Einsatz von Leiharbeitnehmern festgelegt:
1. Der Anteil der Leiharbeitnehmer kann insgesamt maximal bis zu 25 % (je Werk A / G) der Gesamtbeschäftigten (inkl. unbefristete, befristete und Leiharbeitnehmer) in den Produktions, Lager- und Logistikbereichen (Mitarbeiterkategorie M & L vari, auch direkte Mitarbeiter genannt) betragen.
Darüber hinaus können Einstellungen von Arbeitnehmern nur über befristete oder unbefristete Arbeitsverhältnisse bei W getätigt werden. [...].
2. Das Entgelt der Leiharbeitnehmer entspricht grundsätzlich dem eines vergleichbaren internen W Mitarbeiters. Ausgenommen davon sind über Betriebsvereinbarungen oder sonstige Regelungen vereinbarte übertarifliche freiwillige Zulagen, unter anderem [...].
3. [...]
4. Die Betriebsvereinbarung tritt mit Wirkung zum 01.01.2011 in Kraft. Sie wird unbefristet abgeschlossen und kann mit einer Kündigungsfrist von 6 Monaten zum Quartalsende von beiden Seiten gekündigt werden."
Unter dem 15.02.2018 vereinbarten der D. und die IG Metall - Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt - den "Tarifvertrag Leiharbeit / Zeitarbeit (TV LeiZ)" vom 31. Mai 2017 in der Fassung vom 15.02.2018, gültig ab dem 01.01.2019" (im Folgenden: TV LeiZ, Bl. 20 - 26 dA). In diesem ist unter Anderem niedergelegt:
"§ 1
Geltungsbereich
Für diesen Tarifvertrag gilt der Geltu...