1 Leitsatz
Es besteht eine vertragliche, aus § 242 BGB herzuleitende Nebenpflicht des Wohnraummieters, dem Vermieter – nach entsprechender Vorankündigung – den Zutritt zu seiner Wohnung zu gewähren, wenn es hierfür einen konkreten sachlichen Grund (hier: beabsichtigte Veräußerung der Wohnung) gibt. Eine solche Pflicht kann sich zudem aus einer entsprechenden Vereinbarung im Mietvertrag ergeben.
2 Normenkette
§ 242 BGB; Art. 13 Abs. 1 GG
3 Das Problem
Die Vermieter einer Wohnung verlangen von der Mieterin, ihnen Zutritt zur Wohnung zwecks Besichtigung mit Kaufinteressenten zu gewähren.
Der im Jahr 2017 geschlossene Formularmietvertrag enthält u. a. folgende Regelung:
"Dem Vermieter oder seinem Beauftragten oder beiden steht aus besonderem Anlass (insbesondere im Fall der Beendigung des Mietverhältnisses zwecks anderweitiger Vermietung oder bei beabsichtigtem Verkauf der Mietsache) die Besichtigung der Mieträume zu verkehrsüblicher Tageszeit nach vorheriger rechtzeitiger Ankündigung an Werktagen (auch samstags) frei. […]"
Erstmals im Jahr 2019 forderten die Vermieter im Hinblick auf den von ihnen beabsichtigten Verkauf der Wohnung die Mieterin auf, ihnen den Zutritt zur Wohnung in Begleitung von Immobilienmaklern und Kaufinteressenten zu gestatten. Die Mieterin lehnte dies unter Verweis auf eine schwerwiegende psychische Erkrankung ab. Die Vermieter klagten daraufhin auf Zutrittsgewährung werktags zwischen 10 und 18 Uhr nach einer mindestens 3 Werktage vorhergehenden Ankündigung.
Während die Klage vor dem Amtsgericht Erfolg hatte, wies das Landgericht die Klage ab. Zwar stehe einem Vermieter in Fällen wie dem vorliegenden grundsätzlich ein Besichtigungsrecht zu. Im konkreten Fall habe jedoch ein psychiatrisches Sachverständigengutachten ergeben, dass eine Besichtigung bei der Mieterin, die sich seit mehr als 20 Jahren in psychiatrischer Behandlung befindet und mehrere Suizidversuche unternommen hat, zu einer erheblichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands bis hin zum Suizid führen könne. In diesem Fall seien die Interessen der Mieterin höher zu gewichten als die der Vermieter.
4 Die Entscheidung
Der BGH hebt das Urteil des Landgerichts auf und verweist den Rechtsstreit dorthin zurück.
Zwar ist während des Mietverhältnisses das alleinige und uneingeschränkte Gebrauchsrecht an der Wohnung dem Mieter zugewiesen. Zudem steht die Wohnung des Mieters als die räumliche Sphäre, in der sich das Privatleben entfaltet, unter dem Schutz von Art. 13 Abs. 1 GG ("Wohnungsgrundrecht"). Dieser gewährleistet das Recht, in diesen Räumen "in Ruhe gelassen zu werden".
Mieter haben aber eine vertragliche Nebenpflicht, dem Vermieter nach entsprechender Vorankündigung Zutritt zur Wohnung zu gewähren, wenn es hierfür einen konkreten sachlichen Grund gibt. Ein solcher Grund kann beispielsweise in der gewünschten Besichtigung der Mietwohnung anlässlich eines beabsichtigten Verkaufs mit Immobilienmaklern, Gutachtern oder Kaufinteressenten liegen.
Die Nebenpflicht zur Zutrittsgewährung kann sich entweder aus einer Vereinbarung im Mietvertrag ergeben oder – wenn der Mietvertrag hierzu schweigt – aus § 242 BGB herzuleiten sein.
Interessen der Mieter sind zu berücksichtigen
Bei der Prüfung, ob ein konkreter sachlicher Grund für eine Besichtigung vorliegt, sind die widerstreitenden Interessen von Vermietern und Mietern in einen angemessenen Ausgleich zu bringen.
Will der Vermieter die Wohnung veräußern, hat er ein schützenswertes Interesse, die Wohnung mit Interessenten zu betreten. Hingegen werden die Interessen des Mieters nur geringfügig beeinträchtigt.
Unter besonderen Umständen können diese Interessen des Vermieters aber ausnahmsweise beschränkt sein, wenn der Mieter durch die Besichtigung der Wohnung der Gefahr schwerwiegender Gesundheitsbeeinträchtigungen oder gar einer Lebensgefahr ausgesetzt ist. Dies hat das Landgericht angesichts der Ausführungen des Sachverständigen angenommen; hierbei hat es sich aber nicht mit der Möglichkeit auseinandergesetzt, dass die Mieterin an der Besichtigung nicht persönlich teilnimmt, sondern sich vertreten lassen könnte. Dies muss das Landgericht, an das die Sache zurückverwiesen wurde, nun nachholen.
5 Entscheidung
BGH, Urteil v. 26.4.2023, VIII ZR 420/21