Philipp Schlemmer, Dr. Gabriele Bruchmann
Rz. 158
Liegen Allgemeine Geschäftsbedingungen des Bestellers vor, stellt die Vereinbarung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern eine unangemessene Benachteiligung des Verwendungsgegners aufgrund des damit einhergehenden Zins- und Insolvenzrisikos dar und ist damit grundsätzlich unwirksam (sog. qualitative Übersicherung). In diesem Fall kommt auch keine geltungserhaltende Reduktion oder ergänzende Vertragsauslegung in Betracht.
Dies gilt zunächst uneingeschränkt bei einer Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern, selbst dann, wenn die weiteren Sicherungsmittel des § 17 Abs. 3 VOB/B – insbesondere die Einzahlung der Sicherheit auf ein Sperrkonto nach § 17 Abs. 6 VOB/B – verbleiben, da die Bürgschaft auf erstes Anfordern aufgrund ihrer leichten Verwertbarkeit praktisch Bargeldfunktion besitzt. Selbst wenn daher die Sicherungsvariante Sperrkonto verbleibt, würde letztendlich nur "Bargeld gegen Bargeld" getauscht, was den Unternehmer unangemessen benachteiligen würde.
Auch eine Vertragserfüllungsbürgschaft auf erstes Anfordern führt zu einer solchen Benachteiligung, da das Interesse des Bestellers, durch ein vertragswidriges Verhalten des Unternehmers nicht selbst in Liquidationsschwierigkeiten zu geraten, nicht rechtfertigt, dieses Liquiditätsrisiko durch Allgemeine Geschäftsbedingungen einseitig auf den Unternehmer zu verlagern. Denn durch eine unberechtigte Inanspruchnahme einer solchen Bürgschaft würde dem Unternehmer im selben Umfang Liquidität entzogen, zumal er über die schon bestehende Vorleistungspflicht hinaus das weitere Risiko der Insolvenz des Bestellers bei der nachfolgenden Durchsetzung seiner Rückforderungsansprüche tragen würde.
Anders liegt der Fall dagegen bei einer Vorauszahlungsbürgschaft auf erstes Anfordern. Hat der Unternehmer nämlich schon vor Ausführung seiner Leistung Gelder erhalten, stellt seine Verpflichtung zur Leistung einer Vorauszahlungsbürgschaft auf erstes Anfordern nur diejenige Risikolage wieder her, die von Gesetzes wegen nach § 641 BGB ohnehin besteht. Eine unangemessene Benachteiligung des Unternehmers wäre nur dann anzunehmen, wenn diese Vorauszahlungsbürgschaft erst mit Abnahme zurückgegeben werden soll und nicht bereits nach Verbrauch der Vorauszahlung.
Individualvertraglich vereinbarte Bürgschaften auf erstes Anfordern werden dagegen eingeschränkt für zulässig gehalten. Aufgrund der Gefährlichkeit dieses Sicherungsmittels muss sich aber zweifelsfrei aus dem Wortlaut des Bauvertrages ergeben, dass eine Bürgschaft auf erstes Anfordern gewollt ist. Dazu reicht es aus, dass der Besteller im Bauvertrag eine "ohne Einrede behaftete Bürgschaft" verlangt, ohne dass der Begriff "auf erstes Anfordern" genannt sein muss.
Rz. 159
Da § 17 Abs. 4 S. 3 VOB/B die Bürgschaft auf erstes Anfordern ausdrücklich ausschließt, könnte diese Anforderung als eine "den Kerngehalt der VOB/B beschreibende Bedingung angesehen werden, wenn Sicherheitsleistung durch Bürgschaft vereinbart wird". Die dennoch individualvertraglich vereinbarte Bürgschaft auf erstes Anfordern führt zumindest in jedem Fall dazu, dass die VOB/B nicht mehr "als Ganzes" vereinbart wäre mit der Folge, dass dann sämtliche Bestimmungen der VOB/B einer Inhaltskontrolle unterlägen. Die für den unternehmerischen Verkehr heute noch fortgeltende Privilegierung der VOB/B (§ 310 Abs. 1 S. 3 BGB) würde damit beseitigt.