Eingeschränkter Whistleblower-Schutz im Geheimnisschutzgesetz?

Die Kritik an dem geplanten Geschäftsgeheimnisgesetz nimmt zu. Die Gewerkschaften fürchten einen Maulkorb für Arbeitnehmer durch eine schwer einzuschätzende Kriminalisierung des Whistleblowings. Auch die Presse befürchtet, dass ihre investigative Arbeit und damit die Pressefreiheit durch die geplante Neuerung behindert werden könnte.

Das geplante Gesetz, das ist der Hauptkritikpunkt, definiert nur sehr unkonkret, wann ein strafrechtlich besonders geschütztes Geheimnis vorliegt. Da die Strafandrohung bei einem vom Gesetz nicht gedeckten Whistleblowing bei bis zu drei Jahren Haft liegt, könnte die zu einer generellen Zurückhaltung führen, Missstände zu offenbaren.

Wird der Whistleblower mit dem Gesetz juristisch überfordert?

Der potentiellen Whistleblower muss, will er straffrei bleiben, einen aus seiner Sicht zu meldenden Missstand oder innerbetriebliches Fehlverhalten auf Rechtswidrigkeit prüfen. Schwierig wird dies insbesondere bei "sonstigem Fehlverhalten", denn ein Verstoß gegen die guten Sitten oder allgemeine Moralvorstellungen wird nicht zuletzt nach dem subjektiven Empfinden des Einzelnen bewertet.

Maulkorb für Arbeitnehmer und Interessenvertreter?

„In seiner jetzigen Fassung ist der Gesetzentwurf ein Maulkorb für Beschäftigte und ihre Interessenvertretungen“,

kritisiert DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach gegenüber dem dem Handelsblatt. Und wirklich trifft Arbeitnehmer und Arbeitnehmer nach dem neuen Gesetz eine massive Beweislast: Sie müssen sich rechtfertigen, indem sie nicht nur nachweisen, dass sie gehandelt haben, um das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen, sondern auch, dass sie dabei  guten Willens waren, also z.B. nicht aus einem Motivbündel heraus handelten, dass auch weniger edle Komponenten, wie etwa Rache, Verbitterung oder eigene Ambitionen enthielt.

Ziel ist einheitlicher Mindestschutz für Geschäftsgeheimnisse

Europaweit soll mit der Neuregelung ein einheitlicher Mindestschutz für Geschäftsgeheimnisse gewährleistet werden. Dies schließt notwendigerweise einen Ausnahmetatbestand für Whistleblowing mit ein. Die zentrale nationale Neuregelung wird das Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG). Es konkretisiert die seit 9.6.2018 geltende EU-Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung.

Es bedarf äußerst couragierter Menschen, um Missstände und Gesetzesverstöße in Unternehmen aufzudecken, denn nicht selten zahlen sie persönlich dafür einen hohen Preis. Rechtlich sind Whistleblower meist in heikler Lage. Doch der Gesetzgeber ist dabei ihn aus der rechtlichen Grauzone herauszuholen.

Leaks, um Non-Compliance und Missstände entlarven

Wistleblower, die Non-Compliance im Unternehmen aufdecken, tun dies - im Normalfall des redlichen Whistleblowers - im Interesse der Öffentlichkeit und müssen dafür – bisher - mit Jobverlust, Vergeltung, Verbannung und sonstigen rechtlichen und finanziellen Nachteilen rechnen.

Edward Snowden (NSA-Affäre), John Doe (Panama Papers) und Christopher Wylie (Missbrauch von Facebooknutzer-Daten durch Cambridge Analytica) sind berühmte Beispiele mutiger Mitarbeiter, die verhängnisvolle Dokumente ans Tageslicht gebracht haben. Die Folgen waren für sie oft fatal.

Zwei Gesetzesvorhaben beeinflussen den Schutz der Whistleblower

Aktuell gibt es zwei Gesetzesvorhaben, die sich auf die Situation von Hinweisgebern auswirken:

  • Die Bundesregierung hat am 18.7. einen Entwurf für ein Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) verabschiedet, dass auch die Situation von Whistleblowern regeln soll, ihnen gegenüber aber strenger ist, als die EU-Richtlinie selbst, schon weil die Ausnahme von den Sanktionen nicht bereits bei der Aufdeckung "regelwidrigens", sondern, enger gefasst, erst bei Aufdecken "rechtswidrigen" Verhaltens greift. Sie wird zur Zeit im Bundestag beraten.
  • Immerhin wäre mit der Neuregelung das Whistleblowing erstmals national gesetzlich geregelt, was zumindest Rechtssicherheit in diesem Bereich eröffnen und dem bevorzugten redlichen Whistleblowing dienen würde. 

Doch die EU-Kommission legt erneut vor, um mit einem weiteren Richtlinienvorschlag (2018/0106 vom 23.4.2018) Schutzmechanismen für Hinweisgeber schaffen und diejenigen zu protegieren, die investigativen Journalisten zuarbeiten.

Zum Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen

Europaweit soll ein einheitlicher Mindestschutz für Geschäftsgeheimnisse gewährleistet werden. Die Bundesregierung verabschiedete dazu am 18.7.2018 einen Gesetzesentwurf. Konkretisiert wird damit die seit 9.6.2018 EU-weit geltende EU-Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung (2016/943). Kritiker monieren, der Gesetzentwurf verringere, im Vergleich zur umzusetzenden EU-Richtlinie, den Schutz von Whistleblowern und gefährde die Informationsfreiheit.

  • Zwar soll eine Sanktions-Ausnahme für das „Whistleblowing“ gelten und die Preisgabe von Geheimnissen aufgrund eines bestehenden öffentlichen Interesses gerechtfertigt sein. 
  • Laut Entwurf des (GeschGehG) soll ein Whistleblower nur vor Strafverfolgung geschützt werden, wenn er rechtswidrige - nicht regelwidrige - Handlungen aufdeckt und „in der Absicht handelt, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen“.
  • Ob an der von ihm gelieferten Information selbst ein öffentliches Interesse besteht, wäre danach unzureichend.

Geringer Schutz durch Gesinnungsprüfung?

Die Grünen im Europaparlament kritisieren einen "deutschen Sonderweg":

„Viele Hinweisgeber handeln nicht nur aus rein selbstlosen Motiven. Maßstab für den Schutz von Whistleblowern sollte das Ergebnis, nicht das Motiv ihres Handelns sein. Eine Gesinnungsprüfung war ausdrücklich nicht Absicht des europäischen Gesetzgebers.“ (Sven Giegold, der Sprecher der Grünen Europagruppe)

Allerdings wird auch in der Richtlinie auf die "Absicht" des Hinweisgebers abgestellt.

Auch Journalisten befürchten, dass sich die Neuregelung negativ auf den investigativen Journalismus auswirken könnte, was wiederum der Compliance von Unternehmen nicht hilfreich wäre.

Doch in der EU-Kommission sind schon neue Vorhaben zum Schutz von Whistleblowing in Arbeit.

EU-Kommission plant weiter: einheitliche Schutz in allen Mitgliedsstaaten

Laut einer Umfrage aus 2017 haben

  • 81 % der befragten Europäer erlebte oder beobachtete Korruptionsfälle nicht gemeldet, weil sie die Konsequenzen fürchteten.
  • 36 % der Arbeitnehmer, die Verstöße gemeldet haben, berichten von Vergeltungsmaßnahmen.

Hier hat die die Europäische Kommission bereits einen Anlauf zu einem verbesserten und einheitlichen Schutz unternommen.

  • Der neuer EU-Richtlinienvorschlag 2018/0106 vom 23.4.2018 soll Schutzmechanismen für Hinweisgeber schaffen.
  • Protegiert werden auch diejenigen, die investigativen Journalisten zuarbeiten.

Wichtiges Ziel des Richtlinien-Vorschlags ist die Vereinheitlichung der europaweiten Handhabung, um die Einhaltung des Unionsrechts abzusichern. Der Schutz von Whistleblowern in den 28 EU-Ländern ist derzeit sehr unterschiedlich geregelt; in nur 10 Mitgliedsstaaten ist er bislang umfassend.

Worauf soll sich der Whistleblowing-Schutz erstrecken

  • öffentliche Auftragsvergabe,
  • Finanzdienstleistungen,
  • Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung,
  • Produktsicherheit,
  • Verkehrssicherheit,
  • Umweltschutz,
  • kerntechnische Sicherheit,
  • Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit, Tiergesundheit und Tierschutz
  • öffentliche Gesundheit,
  • Verbraucherschutz,
  • Schutz der Privatsphäre, Datenschutz und Sicherheit von Netz- und Informationssystemen (Art. 1).

Der Richtlinien-Vorschlag deckt den Zeitraum des und die Zeit nach dem Informationsfluss ab:

  • den Melde- und Nachverfolgungsprozess von Hinweisen (Art. 4, 5) und
  • den Umgang mit dem Whistleblower, nachdem die Informationen öffentlich geworden sind (Art. 13 bis 18).

Unternehmen müssen neue Meldestrukturen aufbauen und die Nachverfolgung absichern

Alle Unternehmen der Finanzbranche und sonstige Unternehmen ab 50 Beschäftigten oder einem Jahresumsatz von mehr als 10 Mio. Euro sind aufgefordert

  • Meldesysteme zu implementieren.

Hinweise sollen so in die richtigen Kanäle, sowohl intern als auch extern gelangen und die Nachverfolgung abgesichert werden (Art. 4).

Das Meldesystem ist dreistufig.

  1. Auf der ersten Stufe sollen die Missstände intern gemeldet und nach Möglichkeit beseitigt werden.
  2. Wenn das nicht funktioniert, sind auf zweiter Stufe die zuständigen Behörden zu informieren.
  3. Auf dritter Stufe erfolgt die Meldung an die Öffentlichkeit bzw. die Medien.
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  • Es ist ein Verantwortlicher zu benennen, der für die Nachverfolgung zuständig ist.
  • Die Identität des Hinweisgebers ist geheim zu halten.
  • Für Unternehmen und Behörden besteht eine Reaktionsfrist auf Meldungen von drei Monaten

Verbot von Vergeltungsmaßnahmen gegen Whistleblower

Vergeltungsmaßnahmen gegen den Informanten wie

  • Kündigung oder Nichtverlängerung des Arbeitsvertrags,
  • Diskriminierung,
  • unterlassene Beförderung,
  • schlechte Bewertungen

etc. sind verboten.Verstöße gegen dieses Verbot werden geahndet.

Hilfe und Beweislastumkehr für Whistleblower bei Abwehr von Verfolgung und Nachteilen

Ergänzend zum Benachteiligungs- und Vergeltungsverbot kann der betroffene Whistleblower kostenlos Beratung in Anspruch nehmen und wird bei Abwehrmaßnahmen gegen Benachteiligung- und Vergeltung unterstützt.

Ebenfalls sehr hilfreich in solchen Verfahren wird für den Whistleblower sein, dass der EU-Richtlinienvorschlag eine Beweislastumkehr vorsieht. Eine nachvollziehbare Behauptung, dass er Opfer einer Vergeltungsmaßnahme geworden ist, reicht. Der Arbeitgeber muss dann das Gegenteil beweisen. Zudem kann Whistleblowern kein Verstoß gegen vertragliche oder gesetzliche Geheimhaltungsverbote vorgeworfen werden. Der Richtlinien-Vorschlag will sie hiervon befreit wissen.

Schutz gilt nur für verantwortungsvolle Whistleblower

Das alles gilt für redliche Whistleblower, die in der Absicht handeln, die Öffentlichkeit und EU-Recht schützen zu wollen. Informationen aus Rache, Konkurrenzabsichten, zum Zweck der Rufschädigung oder aus sonstigen missbräuchlichen Motiven hingegen sollen unterbunden bzw. bestraft werden.

(EU-Richtinienvorschlag 2018/0106 der Europäischen Kommission v. 23.4.2018).



Hintergrund zum Ist-Stand:

Im Arbeits- und Beamtenrecht ist Whistleblowing kein neues Thema. Ob schlecht recherchierte Stories bei Bild, Diskriminierung von Ausländern am Arbeitsplatz oder Hygienemängel in Imnis-Ketten, der Whistleblower-Veteran in Deutschland, Günter Wallraff, hat durch seine Reportagen als Wegbereiter einiges dazu beigetragen, Missstände offen zu legen, aber auch Rechtsfragen aufgeworfen.

Unter Whistleblowing wird gemeinhin das Aufdecken von Missständen in staatlichen oder betrieblichen Einheiten durch Eingeweihte angesehen.


Da die Whistleblower selbst häufig Arbeitnehmer oder auch Beamte der jeweils kritisierten Institution sind, leben sie gefährlich, denn sie riskieren häufig ihren Arbeitsplatz, wenn sie mit ihrer Kritik zu schnell an die Öffentlichkeit gehen.

  • Größere Unternehmen arbeiten daher nicht selten mit einem „Code of Ethics“ und weisen ihre Mitarbeiter in Compliance-Trainings daraufhin, in welcher Weise Missstände zu rügen sind.
  • In der Regel sind hiernach auch schwere Missstände eines Unternehmens zunächst nur intern gegenüber den Vorgesetzten zu monieren.
  • Die Unterrichtung der Öffentlichkeit bzw. der Medien wird nur in schwerwiegenden Ausnahmefällen und nach mehrfachen vergeblichen internen Rügen als zulässig angesehen. 

Für Beamte schreibt § 125 BBG grundsätzlich die Einhaltung des Dienstwegs vor. Eine Unterrichtung der Öffentlichkeit ist nach dem Beamtenrecht nicht vorgesehen. In ähnlicher Weise sind Arbeitnehmer nach § 84 Abs. 1 BetrVG gehalten, sich zunächst an die im Betrieb zuständige Stelle, beispielsweise den Betriebsrat, zu wenden.


Normen:

Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung (Text von Bedeutung für den EWR)

Art. 5

Ausnahmen

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein Antrag auf die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe abgelehnt wird, wenn der angebliche Erwerb oder die angebliche Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses in einem der folgenden Fälle erfolgt ist:

a)

zur Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit gemäß der Charta, einschließlich der Achtung der Freiheit und der Pluralität der Medien;

b)

zur Aufdeckung eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens oder einer illegalen Tätigkeit, sofern der Antragsgegner in der Absicht gehandelt hat, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen;

c)

Offenlegung durch Arbeitnehmer gegenüber ihren Vertretern im Rahmen der rechtmäßigen Erfüllung der Aufgaben dieser Vertreter gemäß dem Unionsrecht oder dem nationalen Recht, sofern die Offenlegung zur Erfüllung dieser Aufgaben erforderlich war;

d)

zum Schutz eines durch das Unionsrecht oder das nationale Recht anerkannten legitimen Interesses.



Entwurf des Geschäftsgeheimnisschutzgesetzes

§ 5 Rechtfertigungsgründe

Die  Erlangung,  die  Nutzung  oder  die  Offenlegung  eines  Geschäftsgeheimnisses  ist gerechtfertigt, wenn dies zum Schutz eines berechtigten Interesses erfolgt, insbesondere

1.    zur Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit nach der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, einschließlich der Achtung der Freiheit und der Pluralität der Medien;

2.    zur Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung oder eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens, wenn die das Geschäftsgeheimnis erlangende, nutzende oder offenlegende Person in der Absicht handelt, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen;

3.    im Rahmen der Offenlegung durch Arbeitnehmer gegenüber der Arbeitnehmervertretung,  wenn  dies  erforderlich  ist,  damit  die  Arbeitnehmervertretung  ihre  Aufgaben  erfüllen kann.


Schlagworte zum Thema:  Whistleblowing, EU-Richtlinie