BVerfG nimmt Syndikus-Verfassungsbeschwerde nicht an, hilft aber

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden zweier Syndikusrechtsanwälte gegen die Ablehnung ihrer Befreiung von der Rentenversicherungspflicht wegen der erfolgten Neuregelung nicht zur Entscheidung angenommen. Im Ergebnis obsiegt haben sie aber doch, denn das BVerfG machte "am Rande" rechtliche Vorgaben in ihrem Sinne und schonte ihren Geldbeutel.

Verfassungsbeschwerde eingelegt hatte u.a. eine Syndikusrechtsanwältin, die vor der am 1.1.2016 in Kraft getretenen gesetzlichen Neuregelung des Rechtes der Syndikusrechtsanwälte vergeblich die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht beantragt hatte. Ihre Klage waren in letzter Instanz durch das BSG (BSG, Urteil v. 3.4.2014, B 5 RE 13/14 R) zurückgewiesen worden. Hiergegen hatte sie Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche Bedeutung mehr

Das höchste deutsche Gericht nahm die Verfassungsbeschwerde in Ermangelung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 93 Abs. 2  BverfGG nicht zur Entscheidung an.

  • Nach Auffassung der Verfassungsrichter kam der Verfassungsbeschwerde nach Inkrafttreten der Neuregelung des Rechts der Syndikusrechtsanwälte keine grundsätzliche Bedeutung mehr zu,
  • da die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Rechtslage sich nach Einlegung der Verfassungsbeschwerde geändert habe
  • und damit eine für die Beschwerdeführerin rechtlich vorteilhaftere Situation eingetreten sei.

Beschwer durch Änderung der Rechtslage entfallen

Nach Auffassung der Verfassungsrichter hatte die Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf die nunmehr geltende Rechtslage auch keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Dies gelte regelmäßig, wenn eine mit einer Verfassungsbeschwerde unmittelbar oder mittelbar angegriffene Rechtsnorm gegenstandslos geworden sei und eine hieraus fortdauernde Beschwer nicht mehr bestehe. Ausnahmsweise könne eine solche Beschwer fortbestehen, wenn

  • eine Wiederholungsgefahr greifbar sei oder
  • eine fortdauernde Beeinträchtigung oder
  • eine anderweitig nicht zu beseitigende Grundrechtsbeeinträchtigung ohne Prüfung der Verfassungsbeschwerde nicht zu beseitigen sei.

Hierfür seien vorliegend aber keine Anhaltspunkte vorhanden, da die Beschwerdeführerin ihre Möglichkeiten nach der nunmehr geltenden Rechtslage noch unter keinem Gesichtspunkt ausgeschöpft habe.

Gefahr des Verlustes der rückwirkenden Befreiung

  • Nach Inkrafttreten der Neuregelung hatte die Beschwerdeführerin gemäß §§ 46 c Abs. 1 BRAO, 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI nachträglich einen Antrag für die Befreiung von der Versicherungspflicht gestellt.
  • Dieser Antrag wirkt nach § 231 Absatz 4b und 4c SGB VI auf den Beginn der Beschäftigung zurück, für die die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht erteilt wird.
  • Die Befreiung erstreckt sich auch auf eine davor liegende Beschäftigung,
  • wenn während dieser Beschäftigung eine Pflichtmitgliedschaft bei einem berufsständigen Versorgungswerk bestand.
  • Antrag auf rückwirkende Befreiung hatte die Beschwerdeführerin auch gestellt.

Im Hinblick auf § 231 Absatz 4b Satz 5 SGB VI war die Beschwerdeführerin jedoch der Auffassung, dass sie eine Rückwirkung ihrer Befreiungsanträge ohne Durchführung der Verfassungsbeschwerde nicht erreichen könne.

Diese Vorschrift schließt nämlich die rückwirkende Befreiung für die Fälle aus, in denen eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt aufgrund einer vor dem 4.4.2014 ergangenen Entscheidung bestandskräftig abgelehnt wurde. Dies war vorliegend insoweit der Fall, als die Entscheidung des BSG rechtskräftig und damit die zeitlich davor liegende Ablehnungsentscheidung bestandskräftig geworden war.

BVerfG legt teleologische Reduktion des Gesetzes nahe

Auch diese Argumentation überzeugte die Verfassungsrichter jedoch nicht.

  • Das Gericht verkannte zwar nicht, dass einer bestimmten Gruppe von „Alt-Syndizi“  die Befreiungsmöglichkeit nach der Intention des Gesetzgebers verwehrt werden soll.
  • Dies betreffe aber nur diejenige Gruppe von Alt-Syndizi, die ihre Ablehnungsbescheide nicht angefochten und stattdessen Beiträge in die Rentenkasse eingezahlt und damit zumindest äußerlich ihre Eingruppierung in die gesetzliche Rentenversicherung akzeptiert hätten.

Dies sei bei der Beschwerdeführerin, die bis zum BVerfG gegangen sei, anders. Insoweit komme zumindest ein Ausschluss der Beschwerdeführerin vom personellen Anwendungsbereich dieser Versagungsvorschrift im Wege der teleologischen Reduktion in Betracht.

Gesetze müssen zunächst durch die Fachgerichte ausgelegt werden

Nach Auffassung der Verfassungsrichter müssen diese, mit der Anwendung der Vorschrift des § 231 SGB VI verbundenen Auslegungsprobleme aufgrund des Subsidiaritätsprinzips zunächst von den Fachgerichten geprüft werden.

Der Weg zu den Fachgerichten sei der Beschwerdeführerin auch zuzumuten, auch wenn der Wortlaut des § 231 Absatz 4b Satz 5 SGB VI den Ausschluss der Beschwerdeführerin von den gesetzlichen Befreiungsmöglichkeiten nahe lege. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass diese Vorschrift bisher nicht Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sei und die zunächst veranlasste Prüfung des einfachen Rechts durch die Fachgerichte eine verbesserte Entscheidungsgrundlage für eine eventuell später erneut einzulegende Verfassungsbeschwerde darstelle.

Eine Vorabprüfung durch das Verfassungsgericht komme  in einem solchen Fall nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG grundsätzlich nicht in Betracht (BVerfG, Beschluss v. 16.7.2015, 1 BvR 1014/13).

BVerfG gibt ziemlich eindeutige Auslegungsmaßstäbe vor

Trotz dieser, die Beschwerdeführerin formal zurückweisenden Argumentation sprangen die Verfassungsrichter der Beschwerdeführerin dann rechtlich doch zur Seite. Das Gericht legte den mit ähnlich gelagerten Fällen befassen Sozialgerichten nahe, die Ausnahmevorschrift des

  • § 231 Absatz 4b Satz 5 SGB VI verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die Grundrechte der betroffenen Syndikusrechtsanwälte gemäß Art. 2, 12 GG zu beachten seien.
  • Auch wenn diese Vorschrift nach ihrem Wortlaut bei bestandskräftigen Ablehnungen der Befreiung von der Rentenversicherungspflicht eine nachträgliche rückwirkende Befreiung ausschließe, so sei nach dem Gesetzeszweck bei Anwendung dieser Vorschrift in Rechnung zu stellen, dass diejenigen Syndikusrechtsanwälte, die die Ablehnungsbescheide bis zur letzten Instanz angefochten und schließlich sogar Verfassungsbeschwerde eingelegt haben, klar gezeigt hätten, dass sie die Ablehnung ihrer Anträge nicht akzeptierten.
  • Der Sinn des Gesetzes sei es aber, speziell diejenigen Syndikusrechtsanwälte von der Rückwirkungsmöglichkeit der Befreiung auszuschließen, die die Ablehnung ihrer Befreiungsanträge akzeptiert und bei der Rentenversicherung entsprechende Beiträge eingezahlt hätten.

Eine Ablehnung ist manchmal auch ein Sieg

Damit nicht genug: Die Verfassungsrichter vertraten die Auffassung, dass der Gesetzgeber durch die zum 1.1.2016 in Kraft getretene Reform den inhaltlich von der Beschwerdeführerin mit ihrer Verfassungsbeschwerde verfolgten Zweck quasi adaptiert habe.

Erst durch die Gesetzesänderung sei das Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführerin nachträglich entfallen. Aus diesem Grunde hielten es die Verfassungsrichter für angemessen, dem Land Nordrhein-Westfalen aus Billigkeitserwägungen sogar die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin aufzugeben.

Das formale Unterliegen der Beschwerdeführerin war damit in der Sache eher ein Obsiegen. Sie ist mit ihrem Befreiungsantrag zwar noch nicht am Ziel, aber dem Ziel unter Beachtung der Auslegungsvorgaben des BVerfG doch ziemlich nah.

(BVerfG, Beschluss v. 30.8.2016, 1 BvR 2534/14)

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