Arbeitslosengeld ohne Kündigung bei Mobbingsituation

Ist ein Arbeitnehmer faktisch arbeitslos, weil er sich infolge Mobbings zur Arbeitsleistung nicht mehr in der Lage sieht, hat er Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn der Arbeitgeber ihm keinen angemessenen Ersatzarbeitsplatz zur Verfügung stellt.

Das Sozialgericht Dortmund hat eine viel beachtete Entscheidung zur Frage „faktischer Arbeitslosigkeit“ getroffen. Eine Angestellte des AG Dortmund war längere Zeit arbeitsunfähig krank geschrieben. Grund waren schwere psychische Probleme aufgrund Mobbings am Arbeitsplatz.

Stufenweise Wiedereingliederung

Nachdem ihre Arbeitsunfähigkeit beendet war, leitete der Arbeitgeber, das Land NRW, eine stufenweise Wiedereingliederung in das Arbeitsgeschehen ein. Zu diesem Zweck wurde die Angestellte an verschiedenen Amtsgerichten eingesetzt.

  • Nachdem die Wiedereingliederung erfolgreich verlaufen war,
  • sollte die Angestellte wieder zu ihrem ursprünglichen Arbeitsplatz, dem AG Dortmund, zurückkehren.
  • Hierzu sah sich die Arbeitnehmerin aus gesundheitlichen Gründen aber nicht in der Lage,
  • da sie eine Wiederholung der Mobbing-Situation befürchtete.

Für die von der Arbeitnehmerin geforderte dauerhafte Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz, sah das Land NRW allerdings keine Notwendigkeit.

Arbeitnehmerin macht Anspruch auf Arbeitslosengeld geltend

  • Die Arbeitnehmerin kehrte nicht zu ihrem Arbeitsplatz zurück
  • und klagte beim ArbG Dortmund auf Versetzung zu einem anderen Gericht.
  • Daneben meldete sie sich bei der Arbeitsagentur arbeitslos.

Gegenüber der Arbeitsagentur erklärte sie, das Land NRW habe sie von der Arbeitsleistung unter Aussetzung der Gehaltszahlung freigestellt. Sie betrachte sich deshalb als beschäftigungslos und stehe dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung. Vorsorglich würde sie jedoch das Arbeitsverhältnis beim Land NRW nicht von sich aus kündigen, um mögliche Rechte aus dem Arbeitsverhältnis nicht aufzugeben.

Die Arbeitsagentur verweigert die Zahlung von Arbeitslosengeld

Dem Antrag der Betroffenen auf die Zahlung von Arbeitslosengeld I gab die Arbeitsagentur nicht statt.

Die Arbeitsagentur stellte sich auf den Standpunkt, die Antragstellerin befinde sich in einem ungekündigten Beschäftigungsverhältnis.

Die Voraussetzungen für die Zahlung von Arbeitslosengeld seien daher nicht erfüllt.

Infolge des ungekündigten Beschäftigungsverhältnisses sei sie im übrigen nicht berechtigt, ihren Einsatz am AG Dortmund zu verweigern. Sie sei jederzeit der Lage, zu ihrem Arbeitsblatt zurückzukehren. Unter diesen Voraussetzungen bestehe ein Anspruch auf Arbeitslosengeld unter keinem Gesichtspunkt.

Die Arbeitnehmerin macht faktische Arbeitslosigkeit geltend

Hierauf verklagte die Betroffene die Arbeitsagentur vor dem SG Dortmund auf Zahlung von Arbeitslosengeld I. Die Betroffene machte geltend.

  • Die Agentur stelle sich zu Unrecht auf den rein formal begründeten Rechtsstandpunkt des rechtlich fortbestehenden Beschäftigungsverhältnisses.
  • Das allein formalrechtlich bestehende Arbeitsverhältnis sei für sie irrelevant, da sie aus gesundheitlichen Gründen an dem angebotenen Arbeitsplatz unter keinen Umständen arbeiten könne.

Tatsächlich sei sie beschäftigungslos, da der Arbeitgeber sich weigere, ihr einen ihrer psychischen Befindlichkeit angemessenen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen.

Klägerin hält zu Recht am bestehenden Beschäftigungsverhältnis fest

Für den Standpunkt der Arbeitnehmerin hatte das SG Dortmund volles Verständnis.

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Zu Recht halte die Klägerin sich mit der Einreichung der förmlichen Kündigung ihres mit dem Land NRW bestehenden Arbeitsverhältnisses zurück, da sie dort immer noch die Hoffnung auf eine anderweitige, ihr zumutbare Arbeit habe.

Der Klägerin steht das Recht zu, sämtliche rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um eine Wiederaufnahme der Beschäftigung bei ihrem bisherigen Arbeitgeber durch eine Versetzung zu erreichen.

Vor diesem Hintergrund sei es ohne weiteres nachvollziehbar, dass die Arbeitnehmerin das Beschäftigungsverhältnis formalrechtlich aufrechterhalte.

SG gibt der Klage in vollem Umfange statt

Durch die Meldung beim Arbeitsamt habe sie im übrigen kundgetan, dass sie dem Arbeitsmarkt grundsätzlich zur Verfügung stehe. Die Bemühungen um Fortführung ihrer Tätigkeit bei ihrem bisherigen Arbeitgeber lägen vor diesem Hintergrund auch im Interesse auch der Arbeitsagentur. Die faktische Beschäftigungslosigkeit berechtige sie vor diesem Hintergrund, von der Arbeitsagentur die Zahlung von Arbeitslosengeld I zu verlangen. Die Klage vor dem SG war daher im Ergebnis erfolgreich.

(SG Dortmund, Urteil v. 10.10.2016 , S 31 AL 84/16)

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Pflicht zur Diskriminierungsvorsorge

Hintergrund:

Bei Belästigungen und Mobbing zu Lasten eines Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber durch geeignete Maßnahmen dafür sorgen, dass diese in Zukunft abgestellt werden. Tut er dies nicht, hat der Arbeitnehmer ein Leistungsverweigerungsrecht.

Liegt ein Mobbing- oder Diskriminierungstatbestand vor, kann und muss der Arbeitgeber zum Schutz des Betroffenen - unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - Maßnahmen einleiten:

  • Aufforderung zur Unterlassung weiterer Belästigungen
  • rügen, abmahnen,
  • umsetzen oder versetzen,
  • im äußersten Fall ordentlich oder sogar außerordentlich verhaltensbedingt kündigen.

Auch Strafanzeigen kommen in Betracht.