Wie resilient war Steve Jobs?

Steve Jobs war Mitgründer und langjähriger CEO von Apple. Er gilt als eine der bekanntesten und erfolgreichsten Persönlichkeiten der Computerindustrie. Ob er auch vorbildlich resilient war, dieser Frage geht Diplom-Psychologe Denis Mourlane nach – und zeigt ebenso große Stärken wie offensichtliche Schwächen von Jobs auf.

Leider hatte ich selbst niemals die Gelegenheit, Steve Jobs (1955-2011) persönlich kennenzulernen. Deshalb soll die Analyse von Steve Jobs Persönlichkeit auf Basis der Biografie des Journalisten Walter Isaacson erfolgen. Sein Buch trägt den Titel "Steve Jobs: Die autorisierte Biografie des Apple-Gründers" und ist im Jahr 2012 im BTB Verlag erschienen. Isaacson ist ein erfahrener Autor von Biografien und hat schon erfolgreich Bücher über das Leben von Leonardo Da Vinci, Albert Einstein oder Henry Kissinger geschrieben. 

Die vier ausgeprägten Resilienzfaktoren von Steve Jobs

Aufgrund seines Erfolgs müssen wir davon ausgehen, dass Steve Jobs selbstverständlich über überdurchschnittliche Resilienzwerte verfügt haben muss. Andererseits war er als schwieriger Mensch bekannt und hatte beim Thema Resilienz auch Schwächen. Lassen Sie uns hier die vier am besten ausgebildeten Resilienzfaktoren von Steve Jobs einmal genauer betrachten.

1. Optimismus 

Die Fähigkeit zum Optimismus steht für unseren Glauben, dass sich Dinge zum Positiven wenden werden. Hätte Jobs diese Einstellung nicht gehabt, so wäre es ihm niemals möglich gewesen, die Ära der Personal Computer mit einzuleiten, nach seinem Rauswurf bei Apple Inc. zwei neue Unternehmen aufzubauen, von denen eines, Pixar, außerordentlich erfolgreich wurde, und dann wieder zu Apple zurückzukehren, um das brachliegende Unternehmen zu dem wertvollsten Unternehmen der Welt aufzubauen. Wir finden diesen Optimismus auch in den kleinsten Details, wenn es also beispielsweise darum ging, ein neues Produkt bis zu einem gewissen Zeitpunkt fertigzustellen. Jobs war hier in der Lage, die Realität vollkommen zu ignorieren, sich seine eigene gedankliche Welt zu schaffen, was seine Mitarbeiter als "Reality Distortion Field" (Realitätsverzerrungsfeld) bezeichneten.

Dieses Feld umgab bildlich gesprochen seine gesamte Person, verzerrte die tatsächlichen Gegebenheiten und konnte diese dadurch anders aussehen lassen, als sie wirklich waren. Er hatte dabei eine solche Überzeugungskraft, dass seine Mitarbeiter sich förmlich davor in Acht nahmen, in dieses Feld hineingesogen zu werden und darüber die Realität selber zu vergessen. Ihm gelang es dadurch, sich und seine Mitarbeiter zu Höchstleistungen anzutreiben und Produkte in einem Zeitraum fertigzustellen, wie es niemand für möglich gehalten hätte. 

Dies führte allerdings auch dazu, dass seine Mitarbeiter teilweise Tag und Nacht arbeiten mussten, wochenlang fast nur noch im Büro schliefen und entsprechend auch zahlreiche Erschöpfungssyndrome auftraten. Den Begriff "realistischer Optimismus" kann man an dieser Stelle nicht verwenden, denn diesen hatte Jobs nicht. Er ist als Mensch eines der Beispiele dafür, dass ein solch extremer Optimismus tatsächlich häufig zu wirtschaftlichem Erfolg führen kann. Schauen wir uns aber seine Arbeit detaillierter an, so werden wir auch viele Beispiele finden, bei denen ihn dieser Optimismus beinahe in den Ruin getrieben hätte. 

2. Zielerreichung 

Dieser Resilienzfaktor bezeichnet unsere Fähigkeit, uns immer wieder neue, herausfordernde Ziele zu setzen und diese relativ unabhängig von der Meinung anderer Menschen zu verfolgen. Es gibt wahrscheinlich keinen Resilienzfaktor, der Steve Jobs besser beschreibt als dieser, da er immer wieder aufs Neue Ideen entwickelte und die große Vision hatte, die Welt zu verändern. Barack Obama drückte dies nach dem Tod von Jobs so aus: "Steve Jobs war einer der größten amerikanischen Innovatoren – mutig genug, um anders zu denken, verwegen genug, um zu glauben, er könne die Welt verändern, und talentiert genug, es tatsächlich zu tun."

Dies war auch die Methode, mit der es ihm immer wieder gelang, talentierte Menschen dazu zu bewegen, für ihn zu arbeiten. Dies zeigt sich zum Beispiel in der Anekdote, als er es schaffte, John Sculley, einen Pepsi-Manager, zu Apple zu locken, indem er ihm sagte: "Willst du den Rest deines Lebens Zuckerwasser verkaufen oder willst du eine Chance, die Welt zu verändern?" Welcher einigermaßen ehrgeizige Mensch möchte das nicht? Es wird in dem Buch gesagt, dass Steve Jobs über viel Empathie verfügte und wusste, wie er Menschen anpacken musste, um sie zu solchen Schritten zu motivieren. Ich kann dies dem Buch nicht entnehmen, sondern es erscheint mir eher, als ob er es immer wieder genau mit der genannten "Masche" geschafft hat, Menschen für sich, sein Unternehmen und seine Produkte zu begeistern.

3. Selbstwirksamkeitsüberzeugung

Dieser Faktor war bei Jobs ebenfalls eindrucksvoll ausgeprägt. Wie sonst hätte er andere Menschen dazu motivieren können, mit ihm und seiner anscheinend häufig unausstehlichen Persönlichkeit gemeinsam die Welt zu verändern? Ja, Sie werden auch Beispiele finden, in denen er Selbstzweifel hat, aber das sind nur sehr wenige. Entsprechend war er fest davon überzeugt, dass es in seiner Hand liegt, etwas zu ändern, und dies hat vielleicht auch dazu geführt, dass er erst einmal dachte, er könne den Krebs ohne fremde Hilfe nur durch die Umstellung seiner Ernährung alleine besiegen Selbst als der Krebs zum dritten Mal aufgetreten war, weigerte er sich, Nahrung zu sich zu nehmen, und verlor darüber mehr als 20 Kilo an Gewicht.

Gleichzeitig war diese Selbstwirksamkeitsüberzeugung aber auch eingeschränkt. Dies war immer dann der Fall, wenn es darum ging, seine eigene Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Auch dies zeigt sich an mehreren Stellen im Buch. So zum Beispiel an der Stelle, als ihm einer seiner Mitarbeiter sagte: "Wenn du jemanden demütigst, schadet es mehr, als dass es etwas nützt." Jobs entschuldigte sich zwar dann und bekundete Verständnis, um dann wenig später mit den Worten "So bin ich eben" wieder einen Wutanfall zu bekommen. Wie sehr hätte Jobs wohl seine eigene Persönlichkeit weiterentwickeln können, nicht ändern (!), wenn er seine auf die externe Welt gerichtete außergewöhnliche Selbstwirksamkeitsüberzeugung auch auf sich selbst angewendet hätte?

4. Impulskontrolle

Das ist der letzte außergewöhnliche Resilienzfaktor, den wir bei Jobs finden können. Er ist insbesondere deshalb außergewöhnlich, weil sich auch hier das Extreme seiner Persönlichkeit zeigt. Wir verstehen unter dem Faktor zwei Verhaltensmerkmale: erstens die Fähigkeit, in Drucksituationen sein Verhalten zu kontrollieren, also zum Beispiel nicht herumzuschreien. Zweitens die Fähigkeit, sich diszipliniert auf eine Sache zu konzentrieren, um diese zielstrebig zu Ende zu bringen.

Nimmt man die erste Definition, so muss man Jobs hier als echten Anfänger bezeichnen, denn er war für seine Wutanfälle berühmt. Entsprechend muss die mangelnde Impulskontrolle an dieser Stelle eher auf seine schlechte Emotionssteuerung zurückzuführen sein, die wir weiter unten beleuchten werden. Nimmt man den zweiten Aspekt von Impulskontrolle, so zeigt sich, dass er auch hier über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügt haben muss, die sich insbesondere in seiner großen Disziplin sich selbst und seinen Produkten gegenüber zeigte und die er auch von seinen Mitarbeitern einforderte. Er war entsprechend in der Lage, alle Störfaktoren auszublenden, um sich nur auf eine Sache zu konzentrieren. Jobs' Frau und sein Biograf drücken dies im Buch folgendermaßen aus: "Die Schattenseite seiner ungeheuren Konzentrationsfähigkeit war seine beängstigende Tendenz, alles auszufiltern, womit er sich nicht befassen wollte. Das führte zu vielen großen Durchbrüchen, konnte aber auch auf ihn zurückschlagen. Er hat die Fähigkeit, alles zu ignorieren, was er nicht sehen will."

An dieser Stelle wird auch sein massiver Kontrollwahn und seine Detailversessenheit sichtbar, die ihn im Endeffekt dazu bewegte, die Geräte zu schaffen, die heute Milliarden von Menschen faszinieren und in ihren Bann ziehen. Hätte er seine Impulse hier nicht kontrolliert, sich immer wieder durch seine Kreativität und neue Ideen ablenken lassen, wäre ihm dies nicht gelungen.

Die Schwächen in puncto Resilienz

Wir finden zahlreiche Beispiele, die uns starke Hinweise darauf geben, dass Steve Jobs über außergewöhnliche Ausprägungen auf vier der sieben Resilienzfaktoren verfügte. Diese erscheinen so außergewöhnlich, dass sie, wie dies bei menschlichen Eigenschaften so häufig der Fall ist, nicht nur positive, sondern auch negative Aspekte mit sich brachten. Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. Dies ist auch bei Menschen mit starker Resilienz der Fall. Es sei denn, die hohen Faktoren werden durch die letzten drei wieder ausgeglichen beziehungsweise mit gesteuert.

Wie stand es nun um diese? Wir können sagen, dass Steve Jobs sehr niedrige Resilienzwerte bei den drei Faktoren Empathie, Kausalanalyse und Emotionssteuerung hatte. Seine Schwächen im Einzelnen:

1. Schwache Empathie

Die Empathie beschreibt die Fähigkeit eines Menschen, sich in die Gefühlswelt seines Gegenübers einzufühlen und im Sinne von Mitfühlen und sein Verhalten auch auf das Gegenüber einzustellen. Die Menschen aus dem Umfeld von Jobs äußern sich an dieser Stelle in einer eher widersprüchlichen Art und Weise. Einerseits wird er an vielen Stellen als sehr empathischer Mensch bezeichnet. Als Beweis dafür wird angebracht, dass es ihm gelang, sich in seine Gegenüber hineinzudenken, dadurch deren Stärken und Schwächen zu erkennen und diese darüber zu Höchstleistungen anzutreiben. Andererseits wird er als sehr wenig empathischer Mensch beschrieben, der durch seine ehrlichen und unverblümten Aussagen Menschen sehr häufig tief in ihrer Würde verletzte. 

Wie stand es also nun um die Empathie von Jobs? An dieser Stelle hilft uns die Definition von Arthur Ciaramicoli weiter, der zwischen authentischer Empathie und funktionaler Empathie unterscheidet. Die erste entspricht der weiter oben genannten Definition, die auch den in diesem Buch genannten Resilienzfaktor beschreibt. Funktionale Empathie dagegen ist eine, die nicht auf Mitgefühl basiert, sondern einzig und allein einen manipulativen und teilweise ausbeuterischen Zweck verfolgt. 

Entsprechend wusste Jobs tatsächlich sehr genau, welche Knöpfe er drücken musste, um seine Mitarbeiter und Lieferanten zu Höchstleistungen zu bewegen, und er nutzte hier sicherlich auch den schon zu Lebzeiten existierenden Kultstatus, der ihn umgab. Entsprechend war er auch niemand, der Marktforschung betrieb, um herauszufinden, was die Kunden wünschen. Seine Einstellung dazu war, dass der Kunde selbst nicht weiß, was er benötigt, und genauso verhielt er sich auch gegenüber der Mehrzahl der Menschen in seinem Unternehmen und auch häufig in seinem privaten Umfeld. Wie hätte er, der als Kind adoptiert worden war, was ihm augenscheinlich auch viele Sorgen bereitete, sonst so viele Jahre lang, trotz positivem Vaterschaftstest, seine erste Tochter verleugnen können? Einem wirklich empathischen Menschen wäre dies nicht passiert. Ihm also eine echte, mitfühlende Empathie zuzusprechen, erscheint auf der Basis der Informationen, die über ihn vorliegen, als eine nicht tragbare Hypothese.

2. Schwache Kausalanalyse

Menschen mit einem hohen Wert im Bereich Kausalanalyse nehmen sich die Zeit, Gründe für Erfolge und Misserfolge gründlich zu analysieren, und kommen auf dieser Basis zu treffenden Schlussfolgerungen. Solche Gründe können immer nur in uns oder außerhalb von uns liegen. Steve Jobs war genau das Gegenteil. Er verbrachte zwar viel Zeit in Meetings, um gemeinsam mit dem Vorstand oder den Top-100-Mitarbeitern seines Unternehmens neue Ideen zu entwickeln und auszuprobieren, aber er war vor allem ein Mensch, der zutiefst seinem Bauchgefühl und seiner Intuition folgte. Dies war gleichzeitig eine große Stärke von ihm, denn er hatte eben, zum Glück, häufig das richtige Bauchgefühl, die richtige Vision und Intuition. Entsprechend konnte er es nicht ertragen, eine Folienpräsentation anzuschauen, sondern musste Produkte anfassen können. Auf dieser Basis traf er dann seine (oftmals sehr guten, aber manchmal leider nicht immer richtigen) Entscheidungen. 

Hatte Jobs einen Erfolg, so konnte er vortrefflich den Ich-Stil anwenden: "Es war meine Idee, ich bin ein Genie." Hatte er jedoch einen Misserfolg, so waren in der Regel unfähige Mitarbeiter, dumme Kunden, andere Unternehmen, die ihm eine Idee gestohlen oder sie kopiert hatten, unfähige Lieferanten oder sonst welche externen Umstände dafür verantwortlich. Der große Nachteil ist, dass wir uns dann nicht weiterentwickeln und häufig auch den Selbstwert anderer Menschen deutlich verletzen. 

3. Schwache Emotionssteuerung

Die Emotionssteuerung hat zwei Aspekte. Einerseits die Fähigkeit, in Drucksituationen seine Emotionen wahrzunehmen und diese so zu steuern, dass sie nicht aus uns herausbrechen, andererseits die Fähigkeit, unser Leben so zu gestalten, dass wir zufrieden und glücklich sind. Es gibt einen deutlichen Hinweis darauf, dass Jobs in beiden Bereichen niemals seinen Frieden gefunden hat. Der erste Aspekt, die situative Emotionssteuerung, zieht sich durch sein gesamtes Leben und es ist zu keinem Moment erkennbar, dass er wirklich ernsthaft versucht hätte, seine Emotionen zu steuern. 

So konnte er einerseits völlig die Contenance verlieren und auch wildfremde Menschen auf das Übelste beschimpfen und beleidigen, andererseits aber auch aufgrund einer Enttäuschung plötzlich in Tränen ausbrechen. Hier zeigte er dann seine sensible und sehr verletzliche Seite. Zwischen Wut und Trauer lagen entsprechend manchmal nur ein paar Minuten. Wir sehen hier also einen Menschen, der sehr stark von seinen heftigen Emotionen beherrscht wurde und mit diesen Emotionen auch über andere Menschen herrschte. Sein Biograf Walter Isaacson drückt dies mit folgendem Satz aus: "Leider brachte ihn seine Zen-Ausbildung nie ganz zu einer dem Zen entsprechenden Ruhe oder zu innerer Gelassenheit."

Die glückliche Karriere geht vor

Über sein Leben sagte Steve Jobs zu seinem Biografen: "Ich hatte eine sehr glückliche Karriere, ein sehr glückliches Leben. Ich habe alles getan, was ich tun kann." Dieser Satz zu seinem Lebensglück ist bezeichnend, denn er nennt zuerst den Begriff "glückliche Karriere" und erst dann "glückliches Leben". 

Dieser Artikel ist erschienen in der Zeitschrift wirtschaft + weiterbildung 11+12/2022.


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Schlagworte zum Thema:  Resilienz, Personalentwicklung, Leadership