Der richtige Fokus für Personalentwicklung

Personalentwicklung ist immer wichtig - doch die Top-Managemententwicklung ist wichtiger. Noch zu häufig treffen wir auf diese unausgesprochene Hierarchie innerhalb des Personalmanagements, erklärt Kolumnist Dominique René Fara. Dabei ist dieses Prestige-Denken nicht mehr zeitgemäß.

Gerade startet das Meeting. Michael, Sandra und Judith aus der Personalentwicklung begrüßen den renommierten und weithin bekannten Coach Borbonus Lange. Er und sein Trainingsinstitut sollen in den zukünftigen Entwicklungsprogrammen eine wichtige Rolle spielen.

Judith, die gerade neu in die Organisation gekommen ist, erzählt in ihrer persönlichen Vorstellung von der ersten Verantwortung für den Trainingskatalog und von den Seminaren für die Mitarbeitenden der Organisation. Michael zeigt bei seiner Vorstellung mit dem Finger nach rechts oben, wo er laut seiner Worte die Zukunft vermutet, und macht deutlich, wie sehr sein Zuständigkeitsbereich für das LMS und die Onlinekurse ganz weit vorne bei der Digitalisierung sind. Sandra hört die ganze Zeit gelassen zu und scheint die Ruhe in sich zu tragen, während sie mit einem bedeutungsvollen Blick und gezielten Worten verdeutlicht, dass bei ihr die Top-Managemententwicklung verortet ist.

Die Führungskräfteentwicklung als Olymp des Personalmanagements

Wer die internen Hierarchien der Personalentwicklung kennt, weiß: Das Top-Management ist der Olymp der Verantwortung. Auch die Talentprogramme und die generelle Führungskräfteentwicklung sind prestigeträchtige Zuständigkeiten. Nur die Besten der Besten bekommen die Verantwortung für diese elitären Zielgruppen.

Das E-Learning ist etwas außen vor, da es sich den technischen Anstrich der Zukunftsausrichtung gibt und somit vermeintlich die Zukunft der Personalentwicklung verkörpert. Doch meist sind fürs E-Learning diejenigen verantwortlich, die schon einiges an Erfahrung mitbringen, aber aus irgendwelchen Gründen nicht die High-Potentials oder die Top-Manager übertragen bekommen.

Am Ende der Nahrungskette finden wir die Verantwortlichen für die Mitarbeitenden. Was auch immer für diese Zielgruppe angeboten wird: Es hat offensichtlich nicht die höchste Sichtbarkeit von der obersten Unternehmensebene aus und kann daher von den unerfahrenen Kollegeninnen und Kollegen übernommen werden.

Doch ist das noch "state of the art"?

Der Fokus auf Führungskräfteentwicklung ist ein überholtes Relikt

Aus meiner Sicht ist dieser Fokus noch ein Überbleibsel aus den streng hierarchischen Organisationsstrukturen, die ihren Siegeszug im Industriezeitalter feiern konnten. Verbesserte Prozesse führten damals zu günstigeren Produktionskosten und steigerten damit die Wettbewerbsfähigkeit. Dazu brauchte es starke, durchsetzungsfähige und prozessgetriebene Manager und Talente, die diese Rolle in Zukunft ausführen sollten.

Somit war es wohl der richtige Fokus. Zumindest für damalige Zeiten. Sehen wir uns also einmal an, ob dieser Fokus auf Prozesse und Führungskräfte auch heute noch zu einem Wettbewerbsvorteil führt – oder ob es Zeit ist, uns neu zu fokussieren.

Betrachten wir also diejenigen Firmen, die auf dem Markt klar die Nase vorn haben. Was haben sie alle gemeinsam? Sie alle schaffen es, sich schnell auf neue Geschäftsmodelle einzustellen und diese anzupassen beziehungsweise neu zu entwickeln. Wenn es sich dazu noch um datenbasierte Geschäftsmodelle handelt – umso besser. Aber auch neue Technologien ermöglichen es unseren Spitzenreiter-Organisationen, wettbewerbsfähig zu bleiben.

Doch reicht es dafür, dass allein Führungskräfte resilient, technologieaffin und innovativ sind? Transformation gelingt nur als Organisation, die alle mitzieht, Talente erkennt, Expertisen fördert und zusammenbringt. Das fordert nicht zuletzt die Dynamik unseres technologischen Fortschritts. Es sind Teams, die in unserer VUCA-Welt komplexe Situationen meistern.

Den agilen Systemen gehört die Gegenwart von L&D – und die Zukunft

Wenn also unser Wettbewerbsvorteil heute nicht mehr in schnellen Prozessen, sondern in innovativen und veränderungsfähigen Systemen liegt - muss sich dann nicht auch der Fokus von People & Culture L&D ändern? Letztlich ist es doch die Aufgabe der Personalentwicklung, die Menschen dahin zu entwickeln, dass diese die Organisation in eine erfolgreiche Zukunft begleiten.

Die Konsequenz ist einfach und schwer zugleich. Die Berufseinsteiger in der Personalentwicklung werden sich eher auf einzelne Zielgruppen konzentrieren und gegebenenfalls weiterhin rollenbasierte Entwicklungsmaßnahmen erstellen. Die erfahrenen Personalentwicklerinnen und Personalentwickler sollten ihre Kreativität und Erfahrung allerdings darauf lenken, starke Systeme zu schaffen.

Denn eins ist klar: Die veränderungsfähigsten Systeme werden gewinnen. Und die besten Personalentwicklerinnen und Personalentwickler können sich zukünftig etwas darauf einbilden, wenn sie neue Konzepte entwickeln, die genau solche Systeme stärken, die hierarchieübergreifend komplexe Situationen meistern und zu neuen Lösungen kommen.

Und wenn wir Personalentwicklerinnen und Personalentwickler nicht mehr in Hierarchien, sondern in starken Systemen denken würden, … vielleicht würden wir dann bei der Vorstellung im nächsten Meeting auch eher unser System stärken, anstatt uns nur selbst zu profilieren.

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Zur Kolumne: Die Beiträge dieser Kolumne stammen von Mitgliedern des Roundtables Corporate Learning. Hier treten leitende Köpfe aus Personalwesen und Personalentwicklung vieler deutscher Unternehmen (zum Beispiel Adidas, Axa, Bayer, BASF, Festo, Funkemediengruppe, HP, Ikea, Lanxess, Lufthansa, Otto Group, SAP, Swisscom, Swiss-Post, Telekom, VW, Wilo u.v.m.) regelmäßig in Austausch. Offen werden aktuelle Erfolge und Schwierigkeiten vorgestellt und diskutiert. Geleitet und moderiert wird der Austauschkreis von Dr. Sina Faeckeler (Axa) und Dominique René Fara.