Wie DPD mit dem Arbeitskräftemangel umgeht

Automatisierung, anstrengende Arbeit, unattraktive Arbeits­zeiten. Die Suche neuen Mitarbeitenden in der Logistik gestaltet sich schwierig. Doch der Bedarf wäre riesig. Denn das Paketaufkommen in Deutschland steigt. Ein Gespräch mit DPD-Personalchef Dirk Müller über Arbeitsbedingungen, Löhne und Erwartungsmanagement.

Personalmagazin: Landesweit betrachtet gäbe es in Deutschland keinen Fachkräftemangel, sondern lediglich ein Verteilungsproblem, sagte der Ökonom Simon Jäger kürzlich im Spiegel-Interview. Würden Sie dem zustimmen?

Dirk Müller: Das ist eine Frage der Betrachtungsweise. Ich würde dem trotzdem widersprechen. Wenn wir die demografische Entwicklung in Deutschland betrachten, müssen wir nach heutigem Stand davon ausgehen, dass uns im Jahr 2035 bis zu sieben Millionen Erwerbstätige fehlen werden. Das ist dann keine Frage der Umverteilung mehr, sondern des Arbeitskräftemangels. 

Personalmagazin: Welchen Ausweg sehen Sie für Unternehmen?

Müller: Wir müssen den Pool der Kandidaten erweitern und Mitarbeitende langfristig an uns binden. Das allein wird allerdings nicht genügen. Das weiß auch die Politik. Deshalb bin ich gespannt, welche Lösungsansätze dort entwickelt werden. Die Integration geflüchteter Menschen, aktuell beispielsweise aus der Ukraine, ist sicherlich ein richtiger und wichtiger Schritt. Doch der sollte nicht nur in Krisensituationen eine Option sein. 

Strategien gegen den Arbeitskräftemangel

Personalmagazin: In welchen Bereichen betrifft Sie der Arbeitskräftemangel?

Müller: Überall. Wir merken, dass die Personalsuche wesentlich länger dauert und gerade im gewerblichen Bereich deutlich schwieriger geworden ist. Deshalb versuchen wir mit Benefits und Halteprogrammen zu reagieren. Das ist allerdings, so ehrlich möchte ich sein, sehr schwierig. 

Personalmagazin: Benefits, also betriebliche Zusatzleistungen, können ein niedriges Gehalt nur bedingt kompensieren. Wie erfolgversprechend ist eine solche Strategie?

Müller: Zunächst einmal zahlen wir unsere Beschäftigten nach regionalen Tarifverträgen. 

Personalmagazin: Sie könnten Ihren Beschäftigten kurzfristig bis zu 3.000 Euro netto zusätzlich als Inflationsausgleichsprämie auszahlen.

Müller: So einfach ist das nicht. Würden wir diese Zahlung kurzfristig freigeben und sich einige Tage später unsere Tarifkommission auf eine Lohnerhöhung verständigen, müssten wir am Ende möglicherweise das Doppelte zahlen. Deshalb sind wir zurückhaltend und sprechen mit Arbeitnehmervertretern und Gewerkschaften über die Möglichkeiten, die Inflationsausgleichsprämie in einer Tariferhöhung zu berücksichtigen.

"Höhere Löhne für unsere Beschäftigten würden mit deutlich höheren Preisen für unsere Endkunden einhergehen. Denn unsere Ertragslage ist nicht so, dass wir mit riesigen Gewinnen unterwegs sind." – Dirk Müller, Personalchef DPD


Personalmagazin: In der Logistik herrscht ein harter Wettbewerb. Die DHL hat zum Jahreswechsel 2023 ihre Preise deutlich erhöht. Welche Strategie haben Sie? Streben Sie eine Preisführerschaft an?

Müller: Nein. Wenn wir uns die steigenden Energiekosten, die hohe Inflation und die steigenden Löhne anschauen, ist klar, dass auch wir gezwungen sind, unsere Preise zu erhöhen. Der starke Wettbewerb hierzulande sorgt allerdings dafür, dass die Preise in Deutschland im europaweiten Vergleich noch sehr moderat sind. 

Personalmagazin: Auf dem Bewertungsportal Kununu geben rund 40 Prozent Ihren aktuellen und früheren Beschäftigten an, mit den Löhnen unzufrieden zu sein. 

Müller: Höhere Löhne für unsere Beschäftigten würden mit deutlich höheren Preisen für unsere Endkunden einhergehen. Denn unsere Ertragslage ist nicht so, dass wir mit riesigen Gewinnen unterwegs sind. Deshalb versuchen wir mit einer flexiblen Preisstrategie insbesondere dort Gelder zu erzielen, wo es gerade möglich ist.  

In der To-Shop-Zustellung liegt die Zukunft

Personalmagazin: Die Alternative wäre, die Effizienz zu erhöhen. Ist das realistisch?

Müller: Das stimmt. Das teuerste an einer Sendung ist die Zustellung. Stellen Sie sich vor, ein Zusteller muss in einem Hochhaus in den zehnten Stock. Das ist enorm aufwendig, der Zustellstopp dauert lang. Deshalb müssen wir immer stärker in die "To-Shop-Zustellung" kommen. Wenn also unsere Kunden bereit sind, ihre Pakete in einem Shop abzuholen, ist das deutlich günstiger, für sie und für uns. Darauf baut unsere differenzierte Preisstrategie auf. 

Personalmagazin: Nehmen Ihre Kunden das Angebot denn an? Oder siegt die Bequemlichkeit? 

Müller: Größtenteils ja. Aber wir sind froher Hoffnung, dass es in Zukunft noch mehr Kunden werden. In Skandinavien beispielsweise ist diese Form der Zustellung längst Standard und die Haustürzustellung die Ausnahme. 

Personalmagazin: Arbeiten Sie in der Zustellung mit Eigenpersonal oder mit Subunternehmern?

Müller: Der größte Teil des Personals ist bei Subunternehmern beschäftigt. Von rund 10.000 Zustellern sind aktuell circa 400 beim DPD angestellt. Das hat auch historische Gründe. Im Ursprung waren wir ein Speditionsunternehmen, das das Zustellgeschäft eher nebenbei betrieben hat. Das hat sich jedoch rasch geändert, und seither ist die Zustellung ein wichtiges Standbein für uns. An unserer Strategie, mit selbstständigen Unternehmern zu arbeiten, hat sich allerdings nichts geändert. Denn diese ermöglicht uns ein hohes Maß an Flexibilität. Wir arbeiten überwiegend mit lokalen Partnern, die meisten davon kleine Mittelständler. Hinzu kommen noch einige Subunternehmer, die Standorte für uns betreiben.

Arbeitsbedingungen in Subunternehmen im Blick

Personalmagazin: Welchen Einfluss haben Sie auf die Arbeitsbedingungen bei Ihren Subunternehmern?

Müller: Das war für uns eine ganze Zeit lang tatsächlich sehr schwierig und lag vor allem am Thema der Scheinselbstständigkeit. Denn unsere Partner sind ja eigenständige Unternehmer, die selbst entscheiden müssen, was für sie gut und was schlecht ist. Bereits im Jahr 2007 haben wir uns allerdings im Austausch mit der Politik und den zuständigen Gremien auf eine Zertifizierung verständigt, die dafür sorgt, dass alle unsere Subunternehmer die gesetzlichen Anforderungen erfüllen. Damit haben wir die Sicherheit, dass die Beschäftigten dort vernünftige Arbeitsbedingungen vorfinden. 

Personalmagazin: Der Onlinehändler Amazon steht für die Arbeitsbedingungen seiner Paketzusteller immer wieder massiv in der Kritik. Teilweise ist von Ausbeutung die Rede. Können Sie so etwas bei Ihren Subunternehmern ausschließen? 

Müller: Wir verlassen uns auf die Zertifizierung unserer Subunternehmer durch eine unabhängige Instanz. Natürlich kann es sein, dass die Zusteller in der Hochsaison vor Weihnachten mal im Laufschritt unterwegs sind. Aber diese Phasen werden dann im Laufe des Jahres aus wieder ausgeglichen. 

Personalmagazin: Wirken sich Praktiken wie bei Amazon auf die Branche aus?

Müller: Ja, sicherlich. Häufig werden Gesetzesverschärfungen gefordert. Dabei wird jedoch vergessen, dass es meist nicht um die großen Konzerne, sondern um kleine und mittelständische Unternehmen geht, die den Großteil der Zusteller ausmachen. Für die bedeuten mehr Regularien, mehr Bürokratie und mehr Aufwand. Das ist nicht immer sinnvoll. 

Mit Mitarbeiterbindung und Recruiting gegen die Fluktuation

Personalmagazin: Die Coronapandemie hat gezeigt, dass gerade im Niedriglohnsektor Angestellte bereit sind, für eine bessere Bezahlung den Job zu wechseln. Wie groß ist die Fluktuation bei Ihnen?

Müller: Die Fluktuation in der Logistikbranche war und ist schon immer sehr hoch. Das spüren wir trotz Tarifbindung gerade regional. Nehmen wir die Region Stuttgart: Wenn dort ein gewerblicher Mitarbeiter die Chance auf eine gleichwertige Tätigkeit bei einem der großen Auto- oder Maschinenbauer hat, ist er oder sie höchstwahrscheinlich weg. Mit den Tarifen der IG Metall können wir nicht mithalten. Das hat mit der Pandemie allerdings wenig zu tun. Im Gegenteil: Wir konnten sogar einige Mitarbeitende aus der Gastronomie gewinnen.

Personalmagazin: Was ist Ihrer Meinung nach wichtiger, um die Fluktuation in der Belegschaft auszugleichen: Mitarbeiterbindung oder Recruiting?

Müller: Beides ist wichtig. Gerade beim Recruiting kommt es allerdings auf die richtigen Kanäle an. Gewerbliche Mitarbeitende suchen wir meist regional, über entsprechende Portale oder auch Wurfsendungen. Gleichzeitig wollen wir neue Kolleginnen und Kollegen mit einem strukturierten Onboarding-Prozess an uns binden. 

"Wir müssen schon sehr genau darauf achten, dass wir Bewerbenden ein realistisches Bild der Tätigkeiten vermitteln. Denn das ist, keine Frage, harte körper­liche Arbeit." – Dirk Müller, DPD


Personalmagazin: Die Logistik ist ein hartes Brot: fortschreitende Automatisierung, anstrengende Arbeit, unattraktive Arbeitszeiten. Wer hat darauf Lust?

Müller: Dazu kann ich Ihnen eine Anekdote erzählen: Ich komme aus Dortmund und habe früher am Standort Hagen gearbeitet. Dort kam eines Tages ein Fußballprofi von Borussia Dortmund und hat zwei seiner Freunde zu DPD zur Schicht gebracht. Er hat dann gefragt, ob er sich die Arbeit im Lager mal anschauen dürfe. Nach ein paar Minuten hat er den Kopf geschüttelt und gesagt, dass das nichts für ihn wäre. Was ich damit sagen will: Wir müssen schon sehr genau darauf achten, dass wir Bewerbenden ein realistisches Bild der Tätigkeiten  in der Logistik vermitteln. Denn das ist, keine Frage, harte körperliche Arbeit.

Personalmagazin: Lässt sich diese körperliche Belastung denn auf Dauer durchhalten?

Müller: Ja. Die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit unserer gewerblichen Mitarbeitenden liegt bei rund neun Jahren. Im Vergleich: Bei den kaufmännischen Mitarbeitenden sind es etwa elf Jahre. Hinzu kommt, dass wir auch viele Aushilfen, wie beispielsweise Studierende oder Ferienjobber beschäftigen. Diese bleiben natürlich nur für eine gewisse Zeit.

Personalmagazin: Was tun Sie konkret, um die Beschäftigten zu entlasten?

Müller: Wir arbeiten mit rollierenden Systemen, sodass die Mitarbeitenden immer wieder unterschiedliche Tätigkeiten ausführen und nicht dauerhaft die körperlich anstrengendsten Aufgaben erledigen müssen. Wir haben auch seit Längerem sogenannte Exoskelette, also Hebehilfen im Testbetrieb. 

Personalmagazin: Lassen sich diese anstrengenden Tätigkeiten nicht automatisieren?

Müller: Einige schon, aber bei Weitem nicht alle. Manche Bewegungsabläufe sind schlicht noch zu komplex. Da wäre kein Roboter mit einem Menschen wettbewerbsfähig. Trotzdem gehe ich davon aus, dass sich die Logistik in der Zukunft grundlegend verändern wird. Schon jetzt sorgen Nachhaltigkeitsziele dafür, dass wir Innenstädte anders beliefern, etwa mit Lastenfahrrädern. Deshalb werden wir künftig mit kleineren Depots näher an die Städte heranrücken müssen.

Übernahmegarantie für Auszubildende

Personalmagazin: Die gewerblichen und kaufmännischen Beschäftigten sind bei Ihnen größtenteils auch räumlich getrennt, die einen im Büro, die anderen im Lager oder im Zustellfahrzeug. Welche Aufstiegsmöglichkeiten gibt es da?

Müller: Die Durchlässigkeit ist in allen Bereichen gegeben. Wir haben zahlreiche Beispiele von Kolleginnen und Kollegen, die als Auszubildende oder auch Zusteller angefangen haben und inzwischen in leitenden Positionen arbeiten. Wir haben sie dabei unterstützt, im Laufe der Zeit die entsprechenden Qualifikationen zu erwerben.

Personalmagazin: Heißt, wer bei Ihnen eine Ausbildung beginnt, hat hinterher auch einen sicheren Job?

Müller: Ja, das ist unser Ziel. Wir sprechen allen unseren Auszubildenden eine Übernahmegarantie aus. Das kommt Mitarbeitenden und Unternehmen zugute. 

Personalmagazin: Sehen Sie eine Chance, durch bessere Arbeitsbedingungen, etwa flexiblere Arbeitszeiten, mehr Arbeitskräfte für den gewerblichen Bereich zu gewinnen?

Müller: Das halte ich für schwierig. Am ehesten hilft da die Rotation im Job, mit der wir dafür sorgen, dass sich die Belastung durch besonders körperlich anstrengende Tätigkeiten besser auf die Beschäftigten verteilt.

Personalmagazin: Andere Unternehmen setzen auf flexible Schichtplanung oder Teilzeitmodelle im Schichtbetrieb.

Müller: Auch wir arbeiten in Pilotprojekten an diesen Lösungen. Allerdings ist das in der Logistik, wo Warenströme mit Kundenanforderungen abgeglichen werden müssen, ein sehr komplexes Unterfangen. Wenn sich die betrieblichen Anforderungen mit den Wünschen unserer Beschäftigten vereinen lassen, spricht nichts dagegen, Flexibilität zu ermöglichen.

Personalmagazin: Was bedeutet ein zunehmender Fachkräftemangel bei steigendem Paketaufkommen für Ihr Unternehmen in der Zukunft?

Müller: Nach heutigen Prognosen muss ich davon ausgehen, dass wir kaum Personal aufbauen können. Im Umkehrschluss heißt das, wir müssen mehr Arbeit mit der gleichen Anzahl an Beschäftigten bewältigen. Deshalb schauen wir, beispielsweise gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut, nach Automatisierungspotenzialen. In Lagern könnten sogenannte Load Runner eingesetzt werden; das sind kleine selbstfahrende Einheiten, die Pakete transportieren. Doch gerade, wenn es darum geht, manuelle Tätigkeiten zu ersetzen, sind Roboter oft noch nicht gut oder schnell genug. Das ist dann weniger eine Frage der Kosten als schlicht der Komplexität der Bewegungsabläufe. Also müssen wir sehen, wie wir anderweitig die Effizienz unserer Abläufe erhöhen können.


Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin Ausgabe 4/2023. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Personalmagazin-App.

Schlagworte zum Thema:  Fachkräftemangel, Recruiting, Mitarbeiterbindung