Auswirkungen der Corona-Krise auf Executive Search

Executive Search lebt von persönlichen Kontakten und Auswahl­gesprächen. Jetzt fangen die Personalberater wieder an, persönliche Vorstellungstermine zu vereinbaren. Aber in der Hochphase der Corona-Krise waren die meisten Einstellungsentscheidungen auf Eis gelegt. Einen Ausblick auf die Zukunft des Executive Search gibt Jörg Kasten von der Personalberatung Boyden.

Personalmagazin: Herr Kasten, wie ist es in der momentanen Lage um die Wechselwilligkeit von Kandidatinnen und Kandidaten bestellt?

Jörg Kasten: Hier besteht Zurückhaltung: Die Projekte, die eigentlich vor dem Abschluss standen, in denen der Kandidat oder die Kandidatin nur noch den Vertrag unterschreiben musste, kommen nicht zum Ende. Wer mehrere Jahre in einem Unternehmen tätig ist, scheut jetzt den Wechsel, so gut die Perspektive auch sein mag. Im Augenblick ist Sicherheit angesagt. Niemand verlässt gerade sein Unternehmen für eine aussichtsreiche Tätigkeit und gibt dafür zehn Jahre Betriebszugehörigkeit auf. Das macht Executive Search im Augenblick nicht wirklich einfach.

Personalmagazin: Haben die Unternehmen in Deutschland jetzt überhaupt Bedarf an neuen Top-Managern?

Kasten: Ja natürlich. Aber auch unser Geschäft leidet unter der Zurückhaltung vieler Unternehmen und Kandidaten. Wir haben deutlich weniger Mandate als wir normalerweise zu dieser Zeit hätten. Aber es kommen weiterhin neue Mandate ins Haus. Viele Unternehmen haben eine Vakanz, die sie unbedingt besetzen müssen. Die Positionen, für die es neue Mandate gibt, betreffen vor allem systemrelevante Positionen wie die Leitung des globalen Einkaufs oder die Geschäftsführung. Kein Unternehmen will aktuell die Leitung der Recruiting-Abteilung oder eine Stelle als HR Business Partner neu besetzen. Das ist alles zurzeit zurückgestellt. 

Personalfunktion im Unternehmen ist nicht systemrelevant

Personalmagazin: Das heißt, dass die Personalfunktion im Unternehmen als nicht systemrelevant angesehen wird?

Kasten: Das ist in der Tat so. Die Besetzung von Top-Positionen in HR und Marketing wird jetzt zurückgefahren. Gerade das Recruiting als ein Teilbereich von HR ist derzeit wenig gefragt. Unter unseren Kunden finden sich viele Unternehmen, die sich in einer Wachstumsphase befinden. Auch dort ist das Recruiting weitestgehend zurückgefahren worden.

Personalmagazin: Wird es zu strukturellen Veränderungen in der Personalberatungsbranche kommen?

Kasten: Ausschließen kann man nichts, aber ich erwarte keine grundlegenden Veränderungen. Wir gehen davon aus, dass sich das Geschäft im dritten Quartal 2020 wieder normalisieren wird und dass wir im vierten Quartal mehr Arbeit denn je haben werden. Zwar werden derzeit viele Themen aufgeschoben, aber sie müssen irgendwann angegangen werden, weil die Positionen besetzt werden müssen. Wenn ein Unternehmen entschieden hat, dass es niemanden im Haus gibt, der diese Position übernehmen kann, dann muss sie extern besetzt werden. Dennoch: Das Jahr wird nicht gut, weder für die Kunden noch für uns als Berater. Die strukturellen Veränderungen für unsere Branche werden ähnlich sein wie in den Krisenjahren 2001 oder 2008. Auch damals hat sich der Personalberatermarkt geschüttelt. Es wird einige Unternehmen geben, die das nicht überleben. Aber das werden diejenigen sein, die über ihre Verhältnisse gelebt haben. 

Executive Search: Digitalisierung wird zunehmen

Personalmagazin: Wie gut sind die Personalberatungen in Sachen Digitalisierung aufgestellt? Bringt die Corona-Krise jetzt den nötigen Schub für die Digitalisierung der Such- und Auswahlprozesse?

Kasten: Ein Skype-Interview ist natürlich besser als ein Telefonat oder gar kein Gespräch. Deshalb würde ich schon sagen, dass die Digitalisierung voranschreiten wird. Aber niemand will ein Skype-Interview führen, das länger als eine Stunde dauert. Ich bin nach wie vor ein Anhänger von persönlichen Interviews. Wenn ich jemanden noch nicht kenne, bekomme ich über Skype maximal 60 Prozent der Eindrücke. Bei einem persönlichen Treffen sehe ich, wie eine Person in den Raum kommt, welche Körpersprache sie hat, wie sie mit anderen Personen umgeht, ob die Schuhe sauber sind und vieles mehr. All das trägt zu einem Gesamteindruck bei. Wenn ich jemanden auf eine Vorstandsposition vermitteln will, dann muss das alles stimmen. Da genügt es nicht zu sagen, dass jemand per Skype gut ankommt und die benötigten Fachkenntnisse mitbringt. Digitalisierung ist gut, aber sie hat auch ihre Grenzen. Unser Geschäft lebt von einem sehr persönlichen Assessment. 

Personalmagazin: Wie gestaltet sich Ihre interne Zusammenarbeit? Wie digital ist diese geworden? 

Kasten: Auf die interne Kommunikation wirkt sich die Digitalisierung stärker aus. Unser Board Meeting haben wir über den Web-Dienst "Go to Meeting" durchgeführt. Früher wären wir alle gereist und hätten uns in New York, London oder Frankfurt getroffen. Das geht jetzt nicht mehr. Erstaunlicherweise funktionieren die virtuellen Meetings gut. Ich kann mir vorstellen, dass wir in Zukunft unser Reiseverhalten überdenken, auch wenn Reisen wieder uneingeschränkt möglich sein werden. Aber das beschränkt sich auf interne Meetings und Kontakte mit Kunden, die man bereits kennt. 

Ich mache mir über die Zukunft des Executive Search keine Sorgen." Jörg Kasten, Boyden


Personalmagazin: Können Sie noch einen kurzen Blick in die Zukunft, in die Zeit nach der akuten Krise werfen: Ist eine Veränderung in den Recruiting- und Personalauswahl-Prozessen zu erwarten? 

Kasten: Das hängt meiner Meinung nach vom Level ab. Geht es um die Suche und Auswahl von Führungsnachwuchskräften, kann ich mir durchaus vorstellen, dass verstärkt digitale Formate angewendet werden. Auf dem Level der Top-Führungskräfte, auf dem wir unterwegs sind, erwarte ich das nicht. Das Risiko, jemanden mit einem Jahresgehalt von über 500.000 Euro einzustellen, den sie nur virtuell gesehen haben, ist den Unternehmen viel zu groß. Aber das wollen auch die Kandidaten und Kandidatinnen nicht. Auch sie wollen keine Entscheidung treffen, wenn sie die Unternehmensleitung nicht kennengelernt haben. Ich mache mir über die Zukunft des Executive Search keine Sorgen. Das Headhunting war schon so oft totgesagt, zum Beispiel als die Business-Netzwerke wie Linkedin aufkamen. Aber Headhunter gibt es immer noch, weil es eine sehr individuelle Dienstleistung ist, die viel mit Vertrauen zu tun hat. 


Das Interview ist in ausführlicher Form erschienen in Personalmagazin 6/2020. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Personalmagazin-App.


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Schlagworte zum Thema:  Personalberatung, Digitalisierung, Recruiting