Leiharbeitnehmer bei sämtlichen Schwellenwerten berücksichtigen

Das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) gilt in Betrieben mit mehr als zehn Mitarbeitern. Ende Januar entschied das BAG: Bei der Berechnung der Betriebsgröße sind auch Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen. Die Auswirkungen des Urteils erklärt der Arbeitsrechtler Dr. Thomas Lambrich.

Haufe Online-Redaktion: Bei der Berechnung der Betriebsgröße sind nun auch Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen. Warum zählen sie rechtlich zur Belegschaft, obwohl sie gar keinen Arbeitsvertrag mit dem Unternehmen besitzen?

Dr. Thomas Lambrich: Liest man § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG unbefangen, liegt es nahe, dass als Arbeitnehmer nur solche zu zählen sind, die in einem Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsinhaber stehen. Das entspricht auch nach wie vor der Rechtsprechung des BAG im Hinblick auf das Betriebsverfassungsgesetz. Bei § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG begründet das BAG seine abweichende Auffassung anhand des Gesetzeszwecks. Die Herausnahme der Kleinbetriebe aus dem Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes solle der dort häufig engen Zusammenarbeit, ihrer geringeren Finanzausstattung sowie dem Umstand Rechnung tragen, dass ihr Inhaber durch einen Kündigungsschutzprozess stärker belastet werde. Vor diesem Hintergrund mache es keinen Unterschied, ob die Personalstärke auf dem Einsatz eigener oder entliehener Arbeitnehmer beruhe. Allerdings schränkte das BAG auch ein, dass Leiharbeitnehmer nur zu berücksichtigen seien, wenn ihr Einsatz auf einem "in der Regel" vorhandenen Personalbedarf beruht.

Haufe Online-Redaktion: Was ist unter dem "in der Regel vorhandenen Personalbedarf" zu verstehen?

Lambrich: Die Pressemitteilung äußert sich hierzu nicht. Bis zur Vorlage der schriftlichen Entscheidungsgründe kann man also nur mutmaßen. "In der Regel" bedeutet, dass es nicht auf die Zahl zu einem bestimmten Stichtag ankommt, sondern eine Betrachtung über einen längeren Zeitraum anzustellen ist. Mit Blick auf die Zukunft ist der Personalbedarf dabei zu prognostizieren. Es spricht vieles dafür, dass sich der Personalbedarf anhand der in der Betriebsorganisation vorgesehenen Dauerarbeitsplätze bemisst. Wird der Leiharbeitnehmer also auf einer Position eingesetzt, welche unabhängig von einer etwaigen Fluktuation der Stelleninhaber dauerhaft im Organigramm des Betriebs vorgesehen ist, zählt er im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG zum Betrieb. Anders ist zu entscheiden, wenn für den vorübergehenden Einsatz eines Leiharbeitnehmers eigens eine temporäre Position geschaffen wird, die nach Beendigung des Einsatzes wieder wegfallen soll.

Haufe Online-Redaktion: Bedeutet die aktuelle Entscheidung, dass Leiharbeitnehmer auch bei Schwellenwerten in anderen Gesetzen zu berücksichtigen sind?

Lambrich: Wie bereits erwähnt geht das BAG für die betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung eines Arbeitnehmers zu einem Betrieb noch davon aus, dass ein Arbeitsverhältnisses zum Betriebsinhaber bestehen muss. Die Rechtsauffassung bröckelt aber. So hat das BAG für den wichtigen Schwellenwert in § 111 BetrVG unlängst anders entschieden. Bei Betriebsänderungen sind die Beteiligungsrechte des Betriebsrats nur in Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern zu beachten. Leiharbeitnehmer sind insoweit mit zu berücksichtigen.

Im Rahmen des Mitbestimmungsgesetzes sind nach Ansicht des Arbeitsgerichts Offenbach Leiharbeitnehmer mitzuzählen, die länger als drei Monate im Unternehmen beschäftigt sind. Es steht zu erwarten, dass Leiharbeitnehmer perspektivisch bei sämtlichen Schwellenwerten Berücksichtigung finden. Abhängig vom jeweiligen Zweck des Schwellenwerts sind in Nuancen unterschiedliche einschränkende Voraussetzungen denkbar.


Dr. Thomas Lambrich ist Rechtsanwalt und Partner bei Beiten Burkhardt.

Zitierte Urteile: BAG, Az. 2 AZR 149/12 BAG, Az. 1 AZR 335/10, Arbeitsgericht Offenbach, Az. 10 BV 6/11



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