Nachhaltige und gesunde Stadtentwicklung: Fünf Thesen

Enge Räume, sozial benachteiligte Viertel, kaum Grünflächen – das kann Städte krank machen. Eine nachhaltige und sozialverträgliche Stadtentwicklung ist nicht erst in Zeiten des Coronavirus ein Thema. Das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) hat fünf Thesen aufgestellt: So geht es gesund.

Wie könnte eine gesundheitsfördernde und gleichzeitig nachhaltige Stadt- und Quartiersentwicklung aussehen? Die am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) angesiedelte "Arbeitsgruppe Gesundheitsfördernde Gemeinde- und Stadtentwicklung" (AGGSE)  hat fünf Thesen veröffentlicht, die Anregungen geben sollen.

These 1: Gesellschaftlicher Wandel

In Deutschland leben laut Difu aktuell 75 Prozent der Bevölkerung in den Städten. Tendenz: steigend. Im Zuge der immer globaler vernetzten Informationsgesellschaft verliert sich die soziale Integrationskraft, die Bevölkerung wird bunter, vielfältiger, älter, viele ärmer. Kleinere Haushalte bei wachsender Wohnfläche pro Einwohner verstärken den Druck auf den Wohnungsmarkt. Die Gentrifizierung ganzer Viertel in Großstädten nimmt zu, unter Umweltbelastungen leiden vor allem Menschen in benachteiligten Quartieren: Mehr Lärm, mehr Schmutz, weniger Grün zum Beispiel.

Der Wohnungsmangel steigt vor allem für sozial Benachteiligte. Entsolidarisierung, soziale Ausgrenzung, Isolation und Gewalt sind Schlagworte für gesundheitsabträgliche Entwicklungen in den Städten. Hier kommt der Kommunalpolitik eine tragende Rolle bei der Gestaltung gesundheitsförderlicher Lebenswelten (Settings) zu, da sie als steuernder und planender Akteur im Zuge der Daseinsvorsorge gesundheitsfördernde Prozesse anregen und gemeinsam mit den Bürgern entwickeln und umsetzen kann.

These 2: Soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz und Partizipation

Sozialräumliche Segregation abbauen: Die ansteigende Konzentration von Armut in einzelnen Stadtteilen der Großstädte wird verstärkt und damit auch die negativen Auswirkungen von Armut, unter anderem im Hinblick auf die gesundheitliche Lage der Bewohner. Hier könnte unter anderem eine verstärkte Sozialraumorientierung als verbindliche Grundlage für ressortübergreifende Planungen der sozialen Segregation entgegengewirken.

Umweltgerechtigkeit schaffen: In einzelnen Quartieren und Wohnlagen sind die Städter Mehrfachbelastungen durch ökologische und soziale Probleme ausgesetzt, was zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen kann. Kommunen sollten deshalb Umweltgerechtigkeit schaffen und Klimaschutz, Gesundheitsförderung und soziale Gerechtigkeit mit integrierten Ansätzen verfolgen.

Nachhaltige Mobilität fördern: Eine nachhaltige Mobilität kann dabei helfen, das Aufkommen des motorisierten Individual- und Güterverkehrs zu reduzieren und die Emission von Luftschadstoffen, Treibhausgasen und Lärm in der Stadt insgesamt zu senken.

Urbanes Grün erhalten und entwickeln: In wachsenden Städten steht urbanes Grün besonders unter Druck. Die Städte sollten deshalb urbanes Grün erhalten und weiterentwickeln, auch weil Grün- und Freiflächen Orte der Bewegung, der Erholung, der Naturerfahrung und der sozialen Begegnung sind. Außerdem haben sie bioklimatische und ökologische Funktionen.

Partizipation ermöglichen: Die Beteiligung von Bewohnern bei Planungsprozessen ist eine wesentliche Aufgabe der Städte. Sie sollte auch benachteiligte Bevölkerungsgruppen erreichen. Mit Blick auf Glaubwürdigkeit ist es notwendig, dass die Kommune die Spielräume der Partizipation frühzeitig transparent macht.

These 3: Integrierte Leitbilder, Handlungsansätze und Strategien

Gesundheitsfördernde Stadtentwicklung betrifft nahezu alle Ressorts der Kommunalverwaltung: neben Stadtentwicklung und Stadtplanung auch Gesundheit, Jugend, Umwelt und Grün, Verkehr und Mobilität, Sport, Bildung, Soziales und Finanzen. Zur Bewältigung dieser Aufgaben sind integrierte Leitbilder, Handlungsansätze und Strategien nötig. Wichtige Aspekte müssen zusammengeführt werden, darunter

  • verschiedene sektorale Handlungsfelder
  • Akteure innerhalb und außerhalb von Politik und Verwaltung
  • "top-down"- und "bottom-up"- Ansätze
  • unterschiedliche Ressourcen (Finanzmittel, Sachmittel, Know-how)
  • über- und untergeordnete Planungsebenen
  • unterschiedliche räumliche Ebenen (Quartiere/Stadtteile, Gesamtstadt, Region)

Oft stehen diese Aspekte in ihrer Umsetzung isoliert nebeneinander. Ihre Verknüpfung auf kommunaler Ebene kann zu einer nachhaltigen Ausgestaltung gesundheitsfördernder Stadtentwicklung beitragen und das Nebeneinander von Parallelstrukturen vermeiden.

Ein positives Beispiel, das es bereits gibt, ist das Städtebauförderungsprogramm "Soziale Stadt" von Bund und Ländern, das derzeit zum Städtebauförderprogramm "Sozialer Zusammenhalt – Zusammenleben im Quartier gemeinsam gestalten" weiterentwickelt wird.

These 4: Soziale, technische und grüne Infrastruktur

Die Kommunen haben die Aufgabe der allgemeinen Daseinsvorsorge. Gerade angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen sind die Kommunen gefordert, die sozialen, technischen und grünen Infrastrukturen zukunftsfähig und nachhaltig zu entwickeln sowie barrierefrei zu gestalten. Gemeint sind hier soziale Infrastruktur, etwa gesundheitliche und pflegerische Einrichtungen und Dienste, technische Infrastruktur wie sie beispielsweise zur Sicherung der Mobilität der Bewohner benötigt wird sowie grüne Infrastruktur als Netzwerk urbaner Grünflächen.

Die Bereitstellung sowie der qualitative und quantitative Ausbau dieser Infrastrukturen sind eine wichtige Voraussetzung, damit Städter gesund und ökologisch verträglich leben können. Die Kommunen haben hier einen eigenen großen Gestaltungsspielraum, dafür müssen die finanziellen Ressourcen aber verbindlich gestärkt werden. Richt- und Orientierungswerte sind ebenfalls Bausteine planerischer Praxis. Neben Pflichtaufgaben gibt es freiwillige Aufgaben, wie die Bereitstellung von Schwimmbädern, Kulturangeboten oder Nachbarschaftszentren. Auch der Ansatz einer intersektoralen Gesundheitspolitik (Health in All Policies) macht eine Umgestaltung des planerischen und kommunalpolitischen Handelns notwendig.

These 5: Global denken

"Gesundheitsfördernde Politik in den Städten muss global denken, um im lokalen Handeln den globalisierten Verhältnissen gerecht zu werden", schreiben die Autoren. Beispiele für die Verknüpfung lokaler mit globalen Ansätzen gesundheitsfördernder Politik sind unter anderem Städtepartnerschaften weltweit, die in Handlungsfeldern wie Umwelt, Gesundheit und Sozialpolitik zusammenarbeiten, oder das internationale Gesunde Städte-Netzwerk der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Aber auch die Erklärung des lokalen Klimanotstandes durch Stadtparlamente weltweit – vor dem Hintergrund gemeinsamer globaler Erkenntnisse über die aktuellen Gefahren und über die Chancen, den Gefahren zu begegnen.

So hat beispielsweise eine veränderte globale Verbreitung von lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Infektionen oder derzeit das Coronavirus besondere Auswirkungen auf die Gesundheit und die Lebenserwartung der Menschen in den Städten. Oder auch Klimapolitik ist gleichzeitig Gesundheits- und Sozialpolitik, bei der es darum geht, die sozialen und gesundheitlichen Ungleichheiten weltweit abzubauen. Es ist eine wichtige politische Aufgabe, sich in globalen Bündnissen für die Entwicklung einer Strategie einzusetzen und nach übertragbaren Lösungsansätzen zu suchen.


Thesen-Papier "Gesundheitsfördernde Gemeinde- und Stadtentwicklung" (AGGSE)


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