Erste-Hilfe-Balanced-Scorecard-Kasten für gute Zeiten

Seien wir doch einmal ehrlich: In einem Autohaus hat kaum ein(e) Mitarbeiter:in  Lust auf Controlling. Und auf was haben Mitarbeitende in einem Autohaus Lust und Laune? Autofahren! Nun werden Sie mir sicherlich auch zustimmen, dass keiner von Ihnen ein Auto fahren würde, das weder eine Benzin-, eine Tacho-, noch eine Ölstandsmessung hat. Und das genau ist Controlling. Sie bleiben sicher auf der Straße und können trotzdem Spaß am Fahren haben.

Engpässe und Beschleunigungsstrecken antizipieren

Vor meinen Telefonaten mit Branchenexperten bin ich davon ausgegangen, dass Autohäuser in einem Schlaraffenland leben, weil sie mehr verkaufen, als die Hersteller liefern können und dass ihnen die Kunden die Buden einrennen. Mal unabhängig davon, dass nicht alle Profits der Hersteller bei den Händlern ankommen, fand ich hochspannend zu hören, dass die Ergebnisse in diesem Jahr super sind, aber schon jetzt weniger Kunden in die Showrooms kommen und es absehbar ist, dass sich die Lage wohl ändert. Um in unserem Bild von vorhin zu bleiben: Wir fahren noch auf der achtspurigen Autobahn und vorne wird es zweispurig. Und bei so einer Konstellation kann Controlling helfen, nicht mit 200 km/h in die Engstelle zu ‚knattern‘, sondern kontrolliert und sicher auch durch die Engstelle zu kommen, so dass Sie am Ende der Engstelle, wenn die Autobahn wieder vierspurig wird, wieder Vollgas geben können.

Beim Autofahren schauen Sie nicht nur in den Rückspiegel, sondern auch nach vorne. So ist es auch im Controlling. Frühwarnindikatoren sollten genutzt werden, denn das ist die betriebswirtschaftliche Windschutzscheibe und das Fernlicht. Controlling der Zukunft heißt auch, noch schneller zu werden, Alternativen zu planen und letztlich noch bessere Entscheidungen zu treffen, kurz: vorausschauend fahren.

Vom Kennzahlenhaufen...

Controlling schaut in vielen Autohäusern wie ein Formel-Eins-Lenkrad aus und man hat keinen Durchblick. Es ist ein Formel-Eins-Lenkrad mit 1.000 Knöpfen. Lassen Sie es uns einfach einmal wieder handhabbarer machen. Dazu schauen wir uns verschiedene Knöpfe an:

  • Finanz-,
  • Kunden-,
  • Prozesse- und
  • Entwicklungskennzahlen.

...zur strukturierten Balanced Scorecard

Da jeder von uns sicherlich unübersichtliche Reports mit bis zu 1.000 Kennzahlen kennt, bringen wir die relevanten Kennzahlen nun in eine gute Struktur, in eine sogenannte Strategy Map (1996), eine Weiterentwicklung einer Balanced Scorecard, beide entwickelt von Kaplan und Norton (1992). Jetzt denken einige vielleicht, dass sei ein uraltes Konzept und ‚Tell me something new!‘. Atmen ist auch ein ziemlich altes Konzept, das sich sicher bewährt hat. Ich möchte Ihnen gern praxiserprobte Tipps mitgeben, die Sie sofort in Ihrem Betrieb umsetzen können.

Nehmen wir einmal ein Beispiel, das Sie alle kennen: Coca-Cola. Der damalige CEO, Ulrik Nehammer, hat sich gefragt, wie Coca-Cola in Deutschland deutlich profitabler werden kann. Und dazu hat er Kunden besucht und ist mit dem Außendienst mitgefahren. Was er festgestellt hat: Wenn ein Kunde einen Shop-Kühlschrank haben wollte, dann hat es durchschnittlich vier Wochen gedauert. Das waren vier Wochen kein Umsatz für den Kunden. Und das waren auch vier Wochen kein Umsatz für Coca-Cola. Zudem waren es vier Wochen Risiko, dass ein Wettbewerber ‚eingrätscht‘. Dann hat er sich überlegt, was man tun kann, um dem Kunden und Coca-Cola zu helfen? Wie wäre eine Kühlschrank-Lieferung anstelle von vier Wochen in 24 h? Begeisterung, denn vier Wochen eher Umsatz! Und das sind 8% Umsatzwachstum nur aufgrund einer schnelleren Lieferung!

Ulrik Nehmanner fragte die Mannschaft: „Was müssen wir tun, um einen Kühlschrank innerhalb von 24h in den Showroom zu bringen?“ Es stellte sich heraus, dass die Prozesse nicht passten. Dann folgte die Frage: „Wie muss ich die Prozesse optimieren?“ Um die Prozesse sicherzustellen, musste die Datenverarbeitung angepasst und Mitarbeitende mussten entwickelt werden. Und da bietet sich die Balanced Scorecard inkl. der Strategy Map an:

  • Um 8% mehr Umsatz zu generieren (Finanzen),
  • erhalten die Kunden ihre Show-Kühlschränke vier Wochen eher (Kunden).
  • Dies beruht auf schnelleren Wegen (Prozessen) und
  • die IT wird optimiert sowie die Mitarbeitenden werden entsprechend geschult (Entwicklung).

BSC funktioniert in beide Richtungen

Und das Modell einer Balanced Scorecard kann in beide Richtungen gelesen werden. Genauso hat Ulrik Nehammer es auch andersherum gemacht: Zu Hause auf dem Sofa wurde mit der Familie nach einem neuen Sofa recherchiert. Ein Familienmitglied schlägt die Ikea-App vor, da man dort im Vorfeld schon sehen kann, ob das Sofa in das Wohnzimmer passt.

  • Und hier entstand eine Idee, ob man diese Technik nicht auch für Show-Kühlschränke für Coca-Cola erstellen könne (Entwicklung).
  • Neben der Langsamkeit hatte Coca-Cola zudem das Problem, dass Kühlschränke bestellt wurden, diese dann aber leider nicht in die Lücke in das Ladengeschäft passte. Nun kann der Kunde im Vorfeld sein Modell sehen und einpassen, ob es auch wirklich passt. Das ist nun für beide Seiten besser (Prozesse).
  • Daraufhin wurde den Kunden gleich im Verkaufsprozess der Kühlschrank per App in den Raum gestellt und so konnte sich jeder gleich vorstellen, wie der Kühlschrank wo am besten aussieht. Und natürlich waren dort auch hoffentlich die richtigen Anschlüsse. Die App weckte zudem Emotionen bei den Kunden und führte zu einer höheren Kaufbereitschaft (Kunden).
  • Das Ergebnis zeigte sich in 8% höheren Umsätzen (Finanzen).

Mit dem bewährten Erste-Hilfe-Balanced-Scorecard-Kasten kann eine Strukturierung in die Kernbereiche erfolgen, so dass in einem nächsten Schritt konkrete Kennzahlen abgeleitet werden können.

To Go’s:

  • Balanced Scorecard beinhaltet Finanzen, Kunden, Prozesse und Entwicklung in eine Richtung,
  • Stratgy Maps helfen, Einflussfaktoren aufzuzeigen mit immenser Wirkung und
  • ... Controlling rockt Ihre Woche!

Literaturverzeichnis:
Jekel, T. und Kuhnt, H. (2020): Mach dir Umsatz auf! Digitalisierung, Führung, Umsetzung im Vertrieb, Wie Coca-Cola in Deutschland auf den Erfolg von gestern die Erfolge von morgen geschaffen hat, Gabal Verlag.
Kaplan, R. S. und Norton, D. P. (1992): The Balanced Scorecard – Measures that Drive Performance, Harvard Business Review, 70, Nr. 1, (January-February), S. 71-79.
Kaplan, R. S. und Norton, D. P. (1996): The Balanced Scorecard, Translating Strategy into Action, Harvard Business Press, S. 30-32 und S. 148-150.

Der Artikel erschien erstmals im Controller Magazin 5/2023

Schlagworte zum Thema:  Controlling, Balanced Scorecard