Entscheidungsstichwort (Thema)

Räumung und Herausgabe

 

Leitsatz (amtlich)

Die wegen Zahlungsverzugs ausgesprochene fristlose Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses wird gemäß § 554 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 zweite Alternative BGB unwirksam, wenn die Verpflichtungserklärung einer öffentlichen Stelle bis zum Ablauf eines Monats nach Eintritt der Rechtshängigkeit dem Vermieter zugeht. Es genügt nicht, daß die Erklärung innerhalb der Frist abgegeben wird oder daß sie dem Mieter oder dem mit dem Räumungsrechtsstreit befaßten Gericht zugeht.

 

Normenkette

BGB § 554 Abs. 2 Nr. 2 S. 1, § 130 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG München I (Beschluss vom 24.11.1993; Aktenzeichen 14 S 10491/93)

AG München (Aktenzeichen 453 C 3141/93)

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin ist die Vermieterin der von der Beklagten bewohnten Wohnung. Sie hat das Mietverhältnis im Februar 1993 fristlos gekündigt, weil die Beklagte sich mit der Mietzinszahlung für mehr als zwei Monate in Verzug befinde. Die Räumungsklage ist der Beklagten am 20.3.1993 zugestellt worden. Mit einem an die Vermieterin gerichteten Schreiben vom 19.4.1993 hat die Landeshauptstadt München als Träger der Sozialhilfe sich verpflichtet, die im Zeitpunkt des Zugangs dieser Erklärung bestehenden Mietrückstände für die Zeit von Dezember 1992 bis einschließlich April 1993 sowie die Kosten des Räumungsrechtsstreits, die mit der Klageerhebung bis zum Zeitpunkt des Zugangs dieser Erklärung entstanden seien, für die Beklagte zu übernehmen, um “die Kündigung kraft Gesetzes unwirksam werden zu lassen (§ 554 Abs. 2 Nr. 2 BGB)”. Das Schreiben ist bei der Vermieterin am 21.4.1993 eingegangen. Bei den Gerichtsakten befindet sich ein an das Amtsgericht adressierter Abdruck ohne Eingangsvermerk.

Das Amtsgericht hat die Räumungsklage mit der Begründung abgewiesen, die fristlose Kündigung sei durch die vor Ablauf der Schonfrist abgegebene Verpflichtungserklärung der Landeshauptstadt München unwirksam geworden. Auf den rechtzeitigen Zugang bei der Vermieterin komme es nicht an, ebensowenig wie bei einer Zahlung des Mieters. Die Klägerin hat Berufung eingelegt, mit der sie ihren Räumungsanspruch weiterverfolgt. Das Landgericht hat mit Beschluß vom 24.11.1993 die folgende Frage zum Rechtsentscheid vorgelegt:

Genügt bei einem Wohnraummietverhältnis zum Unwirksamwerden einer fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzuges nach § 554 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 BGB die Abgabe der Verpflichtungserklärung einer öffentlichen Stelle zur Befriedigung bis zum Ablauf eines Monats nach Eintritt der Rechtshängigkeit oder kommt es auf deren Zugang bei dem Vermieter oder dem mit dem Räumungsrechtsstreit befaßten Gericht an?

Zur Begründung hat es ausgeführt, falls der Zugang bei Gericht maßgebend sei, sei davon auszugehen, daß die Erklärung am 20.4.1993 eingegangen sei, dem letzten Tag der Schonfrist. Die Kammer neige jedoch dazu, auf den Zugang der Erklärung beim Vermieter abzustellen. Die Verpflichtungserklärung müsse dem Vermieter einen eigenen einklagbaren Anspruch gewähren. Dies setze voraus, daß er davon Kenntnis erlange. Ob eine nach den Grundsätzen des Verwaltungsrechts bei Abgabe bindende oder unwiderrufliche Verpflichtungserklärung vorliegen müsse, könne insoweit dahingestellt bleiben.

 

Entscheidungsgründe

II.

  • Die Vorlage, über die das Bayerische Oberste Landesgericht zu entscheiden hat (BayObLGZ 1991, 348/350 und ständige Rechtsprechung), ist statthaft (§ 541 Abs. 1 Satz 1 ZPO, vgl. BayObLGZ 1989, 319/321) und zulässig.

    • Für die Entscheidung über die Berufung der Klägerin, mit der sie ihren Räumungsanspruch weiterverfolgt, kommt es darauf an, ob die wegen Zahlungsverzugs im Sinn von § 554 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgesprochene fristlose Kündigung des Wohnraummietverhältnisses gemäß § 554 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 zweite Alternative BGB unwirksam geworden ist, weil die Landeshauptstadt München sich gemäß dieser Vorschrift mit Schreiben vom 19.4.1993 zur Befriedigung der Vermieterin verpflichtet hat. Die Erklärung der Stadt ist der Vermieterin am 21.4.1993 zugegangen, somit nicht mehr innerhalb eines Monats nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs (§ 261 Abs. 1, § 253 Abs. 1 ZPO). Denn die Klageschrift ist am 20.3.1993 zugestellt worden. Die Annahme des Landgerichts, daß die fristlose Kündigung wirksam geblieben und der Räumungsanspruch der Klägerin begründet wäre, wenn es für die Einhaltung der Frist des § 554 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 zweite Alternative BGB auf den Zugang der Erklärung beim Vermieter ankäme, begegnet daher keinen rechtlichen Bedenken.
    • Auch die weiteren Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Rechtsentscheids sind gegeben (§ 541 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO). Die vorgelegte Rechtsfrage ist von grundsätzlicher Bedeutung. Soweit ersichtlich, ist die Vorlagefrage bisher noch nicht Gegenstand eines Rechtsentscheids gewesen, auch nicht nur ihrem Inhalt nach (vgl. BayObLGZ 1987, 260/263).
  • Der Senat faßt die Frage ohne Veränderung ihres rechtlichen Kerns (vgl. BayObLGZ 1989, 406/409) neu und beantwortet sie dahin, daß...

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