1 Leitsatz

Die Entfernung von Bäumen, welche unter Missachtung des Grenzabstands gem. § 16 des baden-württembergischen Nachbarrechtsgesetzes (NRG) zu nahe an der Grenze gepflanzt wurden, kann allein zur Abwehr der von ihnen verursachten Immissionen (Nadeln, Zapfen) nach Verjährung des nachbarrechtlichen Beseitigungsanspruchs (§ 26 NRG) grundsätzlich auch nicht mehr gem. § 1004 BGB oder auf Grund des nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses verlangt werden.

2 Normenkette

§ 1004 BGB

3 Das Problem

K ist Eigentümer des Grundstücks 1. B1 bis B4 sind die Wohnungseigentümer des benachbarten Grundstücks 2 (ein Doppelhaus). Im Abstand von 0,5 m bis 3 m zur Grundstücksgrenze stehen seit dem Jahr 1985 auf dem im Wohnungseigentum aufgeteilten Grundstück 2 heute über 10 m hohe Kiefern. B1 und B2 ist das alleinige Sondernutzungsrecht an ihrer Grundstückshälfte zugewiesen; auf dieser Hälfte stehen die Bäume. Die Gemeinschaftsordnung bestimmt, dass "die nicht sondereigentumsfähigen … Grundstücksflächen samt Bestandteilen im Bereich der Sondernutzungsrechte bezüglich der Unterhaltung, Instandhaltung und Pflege… so anzusehen sind, als ob sie Sondereigentum wären."

K verlangt von B1 bis B4 im Jahr 2021 die Beseitigung der Bäume. Diese seien wegen Trockenheit stark angegriffen und nicht mehr standsicher. Aufgrund des Winddrucks bestehe die akute Gefahr, dass die Bäume auf sein Wohnhaus stürzen. Wegen der von den Bäumen ausgehenden Immissionen durch Nadeln, Zapfen und Pflanzenreste sei sein Grundstück einer außerordentlichen Belastung ausgesetzt: Regelmäßig verstopften die Dachrinnen; diese und die Gehweg- und Terrassenflächen müssten mit erheblichem Aufwand, auch wegen der Harzantragungen, gereinigt werden. Die Kosten einer Reinigung durch eine gewerbliche Gartenbaufirma beliefen sich auf mindestens 3.500 EUR jährlich. Dabei würden 80 % des Arbeitsaufwands durch die beiden Bäume generiert. Weil der Grenzkanal seines Dachs durch Pflanzenteile der Kiefern verstopft worden sei, sei es bereits zu einem Wassereinbruch in seinem Wohnhaus gekommen. Das LG weist die Klage ab. Dagegen wenden sich B1 und B2.

4 Die Entscheidung

Das OLG meint, das angegriffene Urteil stehe insgesamt zur Überprüfung, weil es gegenüber den B3 und B4 nicht in Rechtskraft erwachsen sei. Die Beklagten seien nämlich aus materiell-rechtlichen Gründen Streitgenossen. Die Beseitigung der Bäume betreffe nicht allein die Ausübung des Sondernutzungsrechts zur Unterhaltung/Pflege der eigenen Gartenfläche, sondern stelle einen das Gesamtbild der Anlage verändernden, substanziellen Eingriff in das Grundstück dar. Einzelne Miteigentümer dürften diesen nicht eigenmächtig vornehmen (Hinweis auf BGH, Urteil v. 22.2.2019, V ZR 136/18, Rn. 6). K habe gegen die Beklagten aber keinen Anspruch auf Beseitigung. Dieser sei wegen Verjährung nicht durchsetzbar!

5 Hinweis

Problemüberblick

Für das Wohnungseigentumsrecht fragt sich, ob K wegen § 9a Abs. 2 WEG gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer vorgehen musste. Liegen die Dinge so, wie es das OLG annimmt, müssten also alle Wohnungseigentümer über die Beseitigung entscheiden, ist die Frage meines Erachtens zu bejahen. Die Klage wäre daher abzuweisen gewesen, hätte gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer aber denselben Erfolg haben können. Denn Verjährung ist Verjährung.

Was ist für die Verwaltung besonders wichtig?

Die Frage, wann die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu einem Handeln berufen ist oder ein Pflicht wahrzunehmen hat, ist häufig nicht leicht zu beantworten. Die Verwaltung darf insoweit namens der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer Rechtsrat einholen. Der Anwaltsvertrag ist regelmäßig von § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG gedeckt.

6 Entscheidung

OLG Karlsruhe, Urteil v. 2.3.2023, 12 U 165/22

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