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BFH Urteil vom 03.05.1963 - VI 21/63 U

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Grundsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Der Nutzungswert der Wohnung im eigenen Haus ist in sinngemäßer Anwendung des § 8 Abs. 2 EStG mit der ortsüblichen mittleren Miete für Wohnungen vergleichbarer Art, Lage und Ausstattung anzusetzen.

Der Nutzungswert von steuerbegünstigten und frei finanzierten Wohnungen im Sinne des Teil IV des I. WoBauG - in der Fassung vom 25. August 1953, BGBl 1953 I S. 1047, BStBl 1953 I S. 616 - kann mit der nach § 45 Abs. 2 des I. WoBauG erzwingbaren Kostenmiete (= 150 v. H. des Mietrichtsatzes) angesetzt werden.

 

Normenkette

EStG § 8 Abs. 2, § 21 Abs. 2; WoBauG § 45

 

Tatbestand

Die aus zwei Mitgliedern bestehende Grundstücksgemeinschaft (Bgin.) ist Eigentümerin eines im Jahre 1955 wieder aufgebauten Hausgrundstücks. Das Gebäude hat im Erdgeschoß Geschäftsräume; im ersten bis dritten Stockwerk befinden sich je 68 qm große Wohnungen. Die Wohnungen gehören zu den steuerbegünstigten und frei finanzierten Wohnungen im Sinne von Teil IV des Ersten Wohnungsbaugesetzes (I. WoBauG - in der Fassung vom 25. August 1953, BGBl 1953 I S. 1047, BStBl 1953 I S. 616 -). Nach einer vom Finanzamt eingezogenen Auskunft des Amtes für Wohnungsbau und Siedlungsförderung betrug der Mietrichtsatz im Jahre 1957 für die Stadt N. 1,10 DM/qm, dem im Sinne von § 45 Abs. 2 des I. WoBauG eine Kostenmiete von 150 v. H. = 1,65 DM/qm entspricht. Die beiden Mitglieder der Bgin. bewohnen das erste und zweite Stockwerk. Die Bgin. beantragte, bei der einheitlichen Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für 1957 den Nutzungswert der beiden Wohnungen mit 1,65 DM/qm anzusetzen.

Das Finanzamt setzte einen höheren Wert an. Es wies darauf hin, daß das dritte Stockwerk für 2.448 DM jährlich vermietet sei. Das entspreche einer Miete von 3 DM/qm. Da der Mieter dieses Stockwerks in den Räumen auch einen Spielkartenvertrieb betreibt und nach den Angaben der Bgin. die eigentlichen Wohnräume mit 2 DM/qm berechnet waren, setzte das Finanzamt, weil das dritte Stockwerk ungünstiger liege, für das erste Stockwerk einen Mietwert von 2,50 DM/qm und für das zweite Stockwerk von 2,20 DM/qm an. Das Finanzamt ging davon aus, daß die Eigentümer bei Fremdvermietung ihre beiden Stockwerke nicht billiger vermietet hätten als das dritte Stockwerk. Es sei nicht angängig, mit Fremdmietern über der Kostenmiete liegende Mieten zu vereinbaren und für eigengenutzte Räume den Mietwert nur mit der Kostenmiete anzusetzen.

Das Finanzgericht gab der Berufung statt und setzte den Nutzungswert der beiden Wohnungen entsprechend dem Antrag der Bgin. nur mit 1,65 DM/qm an. Es führte aus, daß für steuerbegünstigte Wohnungen im Sinne des I. WoBauG nach § 45 Abs. 1 a. a. O. eine vom Vermieter selbstverantwortlich gebildete Miete vereinbart werden könne. Solche frei vereinbarten Mieten unterlägen jedoch nach § 45 Abs. 2 a. a. O. insofern einer Beschränkung, als die Mieter die Festsetzung der Kostenmiete mit 150 v. H. der Richtsatzmiete verlangen könnten. Die Richtsatzmiete habe für N. im Jahre 1957 1,10 DM/qm betragen, die Kostenmiete somit 1,65 DM. Diese behördlich festzusetzende Miete sei bei Bemessung des Nutzungswertes der beiden streitigen Wohnungen zugrunde zu legen. Die Miete für die Wohnung im dritten Stockwerk sei eine frei vereinbarte Miete. Aus der höheren qm-Miete dieses Stockwerks und aus dem Umstand, daß der Mieter des dritten Stockwerks keinen Mietherabsetzungsantrag gestellt habe, könne nicht gefolgert werden, daß die Bgin. bei Fremdvermietung des ersten und zweiten Stockwerks eine höhere Miete als die Kostenmiete erzielt haben würde. Jedenfalls hätten Fremdmieter die Herabsetzung einer etwaigen höheren Miete auf die Kostenmiete erreichen können.

Mit der Rb. rügt der Vorsteher des Finanzamts unrichtige Anwendung von § 21 Abs. 2 EStG. Er will jetzt beide Wohnungen mit 2,20 DM/qm bewertet haben. Er meint, der Ansatz der Kostenmiete komme nicht in Betracht. Die Jahresfrist für den Antrag auf Herabsetzung einer etwa vereinbarten höheren Miete sei längst abgelaufen. Zu dem sei bei dem im Jahre 1957 noch herrschenden Wohnungsmangel und bei der Lage der streitigen Wohnungen inmitten der Altstadt unweit des Hauptverkehrszentrums und der Hauptgeschäftsstraßen mit einem solchen Antrag überhaupt nicht zu rechnen gewesen. Außerdem sei bereits im Jahre 1957 bei den mit öffentlichen Mitteln erstellten Wohnungen ein Preis von 1,50 DM/qm zugelassen worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist nicht begründet.

Nach § 21 Abs. 2 EStG gehört zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung auch der Nutzungswert der Wohnung im eigenen Haus. In solchen Fällen muß in aller Regel der Nutzungswert gemäß § 217 AO geschätzt werden. Als gesetzlicher Maßstab bei der Schätzung des Werts solcher Wohnungen können die Vorschriften des EStG und des BewG in Betracht gezogen werden. Nach § 8 Abs. 2 EStG sind Einnahmen, die nicht in Geld bestehen, z. B. die Gewährung freier Wohnung, mit den üblichen Mittelpreisen des Verbrauchsortes anzusetzen. Die Vorschrift kann ihrem Wortlaut nach bei Ermittlung des Nutzungswertes der Wohnung im eigenen Hause im Sinne des § 21 Abs. 2 EStG nicht unmittelbar Anwendung finden, weil die Benutzer einer Wohnung im eigenen Haus insoweit keine "Einnahmen" haben, die ihnen von außen zufließen. Sie ersparen vielmehr Aufwendungen, die Steuerpflichtige normalerweise als Mieter für eine Wohnung machen müssen. Nach § 1 BewG gelten die Bewertungsvorschriften der §§ 2 bis 17 BewG für die Steuern des Bundes, der Länder usw., "soweit sich nicht aus den Steuergesetzen . . . etwas anderes ergibt". Gemäß § 10 Abs. 1 BewG ist im allgemeinen der gemeine Wert zugrunde zu legen, der nach Abs. 2 durch den Preis bestimmt wird, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen ist. Offensichtlich ist auch § 10 BewG seinem Wortlaut nach auf die Bewertung der Nutzung der Wohnung im eigenen Haus nicht anwendbar. Denn eine Vermietung ist keine Veräußerung. Unter diesen Umständen liegt es nahe, auf Grund des erwähnten Vorbehalts in § 1 BewG, wonach Bewertungsvorschriften in den einzelnen Steuergesetzen den Vorrang haben, auf § 8 Abs. 2 EStG zurückzugreifen und diese Vorschrift im Rahmen von § 21 Abs. 2 EStG sinngemäß so anzuwenden, daß der Nutzungswert mit der ortsüblichen mittleren Miete für Wohnungen vergleichbarer Art, Lage und Ausstattung angesetzt wird. Bei Wohnungen in einem Mietwohngrundstück sind in der Regel die Mieten aus fremdvermieteten Wohnungen als Vergleichs- und Schätzungsmaßstab geeignet. Doch sind bei der Schätzung alle wertbeeinflussenden Umstände zu berücksichtigen. Behördliche Auskünfte werden oft einen brauchbaren Anhalt bieten.

Die vom Finanzgericht vorgenommene Schätzung entspricht diesen Grundsätzen. Es hat den Mietpreis für die reinen Wohnzwecken dienenden beiden Stockwerke auf 1,65 DM/qm geschätzt und hat dabei gemäß § 45 Abs. 1 und 2 des I. WoBauG den qm-Preis zugrunde gelegt, den das Finanzamt selbst in einem Schriftsatz als einer Auskunft des Amtes für Wohnungsbau und Siedlungsförderung entsprechend mitgeteilt hatte.

Das Finanzamt legt besonderen Wert darauf, daß für den Mieter des dritten Stockwerks die Jahresfrist für einen Antrag auf Mietherabsetzung lange abgelaufen sei. Dieses Bedenken des Finanzamts greift nicht durch. Fremdmieter des ersten und zweiten Stockwerks hätten mit Aussicht auf Erfolg einen Antrag auf Festsetzung der Kostenmiete stellen können. Ob sie aus persönlichen Gründen vielleicht davon abgesehen hätten, ist kaum festzustellen und muß darum außer Betracht bleiben. Es ist nicht einzusehen, warum bei wirtschaftlicher Betrachtung ein Hauseigentümer gezwungen sein soll, bei Berechnung des Mietwertes seiner eigenen Wohnung die höhere Miete eines Fremdmieters als Vergleichsgrundlage anzusetzen, zumal wenn die höhere Fremdmiete durch besondere Verhältnisse dieses Mieters wirtschaftlich gerechtfertigt ist. Im Streitfall hat der Fremdmieter auch einen Gewerbebetrieb in der gemieteten Etagenwohnung. Bei der Ermittlung des Nutzungswertes gemäß § 21 Abs. 2 EStG unterstellt der Gesetzgeber gewissermaßen, daß der Eigentümer die Wohnung an sich selbst vermietet (Blümich-Falk, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 7. Aufl., Anm. 10 b zu § 21). Dann muß aber auch zugunsten des Eigentümers unterstellt werden, daß er wie ein Dritter bei einem echten Mietverhältnis das Recht auf behördliche Festsetzung der Miete gemäß § 45 des I. WoBauG hat. Die vom Finanzamt betonte günstige Lage der Wohnungen im Stadtzentrum hat bereits in der nach § 45 Abs. 2 des I. WoBauG ermittelten Miete ("vergleichbare Art und Lage") ihren Ausdruck gefunden.

Das Finanzamt trägt weiter vor, bereits im Jahre 1957 sei bei öffentlich finanzierten Wohnungen ein Preis von 1,50 bis 1,70 DM/qm zugelassen worden. Das ist aber ein neues tatsächliches Vorbringen, das in der Rechtsbeschwerdeinstanz nicht berücksichtigt werden kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410818

BStBl III 1963, 334

BFHE 1964, 46

BFHE 77, 45

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